Marion Poschmann

Chor der Erinnyen

Roman
Cover: Chor der Erinnyen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518431412
Gebunden, 189 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Ihr Mann hat fluchtartig das Haus verlassen, ohne sich näher zu erklären. Eine Freundin aus Kindertagen taucht auf, und ihre sonst so zurückhaltende Mutter übt plötzlich eine geheimnisvolle Macht aus. Mathilda, die Nüchterne, die distanzierte Studienrätin für Mathematik und Musik, wird sich selbst unheimlich. Hat sie von ihrer Mutter das Zweite Gesicht geerbt? Sie muss erleben, wie sich ihre Visionen in der Wirklichkeit zu manifestieren beginnen. Etwas dunkles Inneres meldet sich zu Wort, ihre Handschrift verselbständigt sich, geflügelte Frauen nehmen in ihrem Alltag immer mehr Raum ein. Es kommt zu Waldbränden und skurrilen Heilritualen, zu fragwürdigen Geschenken. Es kommt Wind auf, dessen Flüstern ihr seltsam vertraut erscheint. Hört sie tatsächlich den Chor der Erinnyen?

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.01.2024

C. G. Jung unterscheidet zwischen den seelischen Archetypen Animus für Geist und Gedächtnis und Anima für Wind, Atem und Seele, erinnert Rezensentin Beate Tröger, die in Marion Poschmanns Heldin Mathilda ein Sinnbild der Anima erkennt. Mathilda, Lehrerin und noch immer unter der Knute der strengen Mutter, versucht das Verschwinden des Ehemanns zu verschleiern, bis nach und nach Risse im System auftauchen: Ihr Schriftbild verändert sich, Tassen fallen zu Boden und spätestens wenn Mathilda sich mit Freundinnen in eine Waldhütte zurückzieht, ein gigantischer Sturm aufzieht und endgültig alle Ordnung zusammenbricht, staunt die Kritikerin, wie intellgent, dicht und humorvoll Poschmann das Verdängen der Anima gestaltet: Nicht einfach als simple Darstellung des Geschlechterverhältnisses, sondern als Frage nach allen Facetten des Unheimlichen. Wie Poschmann inneres Erleben und "entfesselte Natur" verknüpft, Verweise und Nebenstränge einflicht und beschreibt, wie alles außer Balance gerät, findet Tröger schlicht meisterhaft.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 14.11.2023

Sehr beeindruckt ist Rezensent Carsten Otte von Marion Poschmanns neuem Roman, der von drei Frauen handelt, die gemeinsam ein Wochenende in einem Forsthaus verbringen. Sie streiten sich untereinander oft, lernen wir, und einmal laden sie drei Männer ein, was zu weiteren Konflikten führt. Vorderhand organisieren die drei ihr Leben rational, führt Otte aus, aber plötzlich treten sonderbare Störsignale in ihr Leben, die auf mythische Ursprünge zu verweisen scheinen. Otte bringt das mit Adorno/Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" in Verbindung, die allerdings invertiert wird, wenn eine der rationalen Protagonistinnen plötzlich ihre innere Mystizistin entdeckt. Jedenfalls bleibt die griechische Mythologie ein wichtiger Referenzraum dieser Prosa, so Otte, und auch die menschengemachte Umweltzerstörung hängt bei Poschmann mit ihr zusammen. Nicht zuletzt handelt dieses manchmal mysteriöse, aber immer reichhaltige Buch auch von einer Rache der Frauen an den Zuschreibungen von Weiblichkeit durch Männer, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.10.2023

Begeistert ist Rezensent Paul Jandl davon, wie Marion Poschmanns Roman die seichten Realismuskonzepte deutscher Gegenwartsliteratur aufsprengt. Eine der Hauptfiguren, Matilda, glaubt sich von ihrer Mutter aus der Ferne beherrscht, außerdem wurde sie soeben von ihrem Mann verlassen, erfahren wir. Gemeinsam mit zwei Freundinnen, die ihre eigenen Probleme mitbringen, macht sie sich auf in ein Haus am Rand des Waldes, wo die drei sich gegenseitig auf die Nerven gehen. Toll, wie Poschmanns Prosa mathematische Begriffe literarisch verfremdet, findet Jandl, und wie in Beschreibungen der Natur die Verlorenheit der Figuren aufscheint. Immer wieder tun sich in diesem mehrdimensionalen Erzählraum neue Horizonte auf, freut sich der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2023

Rezensentin Marie Schmidt erkennt in Marion Poschmanns neuem Roman, der eine Fortsetzung der "Kieferninseln" ist, aber auch ohne dessen Kenntnis gelesen werden kann, einmal mehr das Talent der Autorin, das "Geistige in der Natur" darzustellen. Ganz glücklich wird die Kritikerin dennoch nicht mit der Geschichte um die stets kontrollierte Ehefrau Mathilda, die ihrer etwas aus den Fugen geratener Ehe durch einen Ausflug mit Freundinnen in eine Waldhütte entflieht und dort zunehmend durchlässiger für die Natur wird: Sie verschmilzt mit "Nebel und Wind" oder lauscht dem titelgebenden "Chor der Erinnyen", resümiert die Kritikerin, die sich allerdings fragt, weshalb ausgerechnet der Bourgeoisie in der Midlife-Crisis bei Poschmann "übersinnliche" Fähigkeiten zuerkannt werden. Besonders sympathisch erscheint ihr das Milieu auch nicht. Und ob Poschmanns Stil nun besonders "raffiniert" oder doch eher "preziosenhaft" ist, wird der Leser selbst entscheiden müssen, meint die Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2023

Rezensent Andreas Platthaus liest Marion Poschmanns Fortsetzung ihres Romans "Die Kieferninseln" mit Freude. Schon der hohe sprachliche Ton ist für ihn Balsam auf die von der ansonsten eher schnöden Gegenwartsliteratur gebeutelte Rezensentenseele. Und dann gelingt es der Autorin laut Platthaus auch noch, dem Vorgängertext ein sozusagen feministisches Gegenstück hinterherzuschicken, indem sie nun die vormals vernachlässigte Frauenfigur in den Vordergrund holt: Mathilda. Dazu ein Füllhorn weiterer, ausnahmslos weiblicher Figuren. Alle gemeinsam schicken sie den flüchtigen Gatten Mathildes nun sozusagen in den Wald, erklärt Platthaus begeistert. Eine große "Allegorie aufs Frauendasein" heutzutage, schwärmt der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 19.09.2023

Begeistert ist Rezensent Helmut Böttiger von Marion Poschmanns neuem Roman. Wieder gelingt es der Autorin, so Böttiger, ein fesselndes Buch zu schreiben, obwohl die Figuren nicht besonders sympathisch sind. In diesem Fall sind das drei Frauen, die in einer Waldhütte Zeit miteinander verbringen. Voller kulturhistorischer Verweise ist das Buch laut Rezensent, aber sie sind stets eng mit der realistisch entworfenen Handlung verwoben. Humorvolle, düstere aber auch naturromantische Töne halten sich zumeist die Waage, heißt es weiter. Die drei Frauen werden dann, fährt die Rezension fort, mit einem Waldbrand konfrontiert, der über sich hinaus auf größere Probleme verweist. Insgesamt ein großartiges, beziehungsreiches Buch, das nicht von der Welt weg sondern zu ihr hin führt, jubelt Böttiger.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.09.2023

Ganz hingerissen ist Rezensentin Judith von Sternburg von Marion Poschmanns neuem Roman, in dem sie eine alte Bekannte wiedertrifft: Die Protagonistin Mathilda kennt sie schon aus dem Vorgänger "Die Kieferninseln", hier steht sie im Zentrum einer Geschichte, die sich in ihrer Vielfältigkeit einer eindeutigen Zuordnung entzieht, wie auch die assoziativ gehaltene Besprechung deutlich macht. Mathilda ist Lehrerin, ein Besuch im Ballett mit SchülerInnen bietet Anlass, das eigene Leben zu reflektieren, konstatiert Sternburg: Ein bisschen Geistergeschichte, ein bisschen griechische Mythologie, ein bisschen feministischer Befreiungskampf sind dabei, das alles in einem reduzierten und gleichzeitig hochpoetischen Tonfall, der das Buch zum "Kleinod" werden und die Kritikerin wundernehmen lässt, warum es dieses "Zauberkunststück in Form und Inhalt" nicht auf die Nominiertenliste des Deutschen Buchpreises geschafft hat.