Botho Strauß

Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich

Cover: Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich
Carl Hanser Verlag, München 2003
ISBN 9783446203570
Gebunden, 150 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Ein Buch der Träume, der Verwandlungen, der Abgründe. Jede Nacht träumen wir uns in eine andere Welt, träumen von anderen und werden selbst ein anderer. Strauß führt in die unterirdischen Gänge des Bewusstseins, wo etwas ausgekocht wird, das langsam, aber sicher aufsteigt und unser Verhalten, unseren Blick auf die Welt verändert, ohne dass wir genau angeben können, wie es geschieht. Erzählungen über die Haltbarkeit der Träume und die Brüchigkeit der Realität.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.09.2003

Auch wenn er sich mit "Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich" an eine "stringente Erzählung" wagt, "fixe Momentaufnahmen und Reflexionen", "dionysische Anwandlungen" und "misanthropische Klagelaute" hat Botho Strauß auch weiterhin im Programm, berichtet Rezensent Jürgen Berger. Wie er ausführt, geht es um "Menschenhüllen", die aneinander vorbei leben, genauer: um den "hedonistische Eskapismus" eines Mann um die fünfzig, der sich mehr und mehr in Affären verliert. Obwohl es mit seiner Gattin Julia nicht mehr wirklich klappt, will er sie nicht verlassen, weil ihm natürlich auch bewusst ist, "dass er als Romeo keinen Blumenstrauß mehr gewinnen kann", berichtet Berger. Nach einem Besuch bei einem befreundeten Ehepaar, erleben die beiden - dank der Hormone, mit denen Gastgeberin das Essen angereichert hat - einen dritten Frühling - für Berger eine der "stärksten Passagen" des Buches. Hier streue Strauß scheinbar mühelos weitergehende Reflexionen einer Brave New World hormonell manipulierter Menschen ein, erläutert Berger, und mache deutlich, "dass er sich in letzter Zeit verstärkt der Hormonforschung gewidmet hat." Die "Sehnsucht nach dionysischer Entgrenzung" seines Protagonisten garniere Strauß mit dem obligatorischen "moralischen Zeigefinger". Alles in allem ist Strauß nach Einschätzung Bergers doch irgendwie der Alte geblieben. Zwischendurch träume er von einer Welt, "in der der Mensch noch Mensch sein darf, wenn er verloren geglaubte Werte und Tabus achtet".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 30.08.2003

Nachhaltig beeindruckt zeigt sich Martin Lüdke von Botho Strauß' neuem Büchlein, dass zwar "unaufgeregt, manchmal schon putzig" daherkomme, aber Geschichten mit der Wirkung einer "Splitterbombe" berge. Beeindruckt versucht Lüdke die Vielfalt der kleinen, kurzen Erzählstücke zu beschreiben, die alle mehr oder weniger um die titelgebende Szene gruppiert sind. Von "kühnen Bildern" über Sittengeschichten bis zu "übelsten Wissenschaftsphantasien" - alles da. Das Erzählerische behalte dabei immer die Oberhand über das Essayistisch-Reflektierende , und trotzdem erweist sich Strauß wieder einmal als glänzender Phänomenologe". Die Sprache findet der Rezensent zwar manchmal etwas prunkend und bisweilen sogar angestrengt, nichtsdestotrotz schaffe sie es, die einzelnen Stücke zusammenzuhalten. Angeregt und zufrieden resümiert Lüdke: "Alles da, proper serviert, gut abgehangen. Interessant."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.08.2003

Wenn's allzu tief wird bei Strauß, wenn es um die "letzten Annahmen über unser Schicksal" geht, dann, wendet der gelegentlich gestelzt, gewunden, geziert formulierende Rezensent Martin Meyer ein, "wirkt sein Stil gelegentlich gestelzt, gewunden, geziert". Und die Suche, sei es als vergebliche, nach einem Ursprung, der mehr wäre als die Splitter und Ruinen des Jetzt, die finde sich schon bei Blake oder George oder Borchardt. Nicht als Philosoph also ist Strauß groß, als Autor aber, so Meyers Überzeugung, umso größer. Als ein Autor, der in der Isolation die Metapher gefunden hat für eine Zerrissenheit zwischen hoffnungsloser Vereinsamung und dem Potenzial mystischer Sammlung, ein Autor, der "Aphorismen, Ereigniszonen, auch einmal Kurioses, ja Komisches aus dem beschädigten Leben" vorführt und zwar in Gleichnissen. Ein Autor auch, der nicht weniger als die "Gesten der Menschheit" durchschaut und doch mehr will, anderes. Eine ganze, eine sich rundende Geschichte, das versteht sich im Fragmentarischen der Strauß'schen Welt von selbst, kann es hier nicht geben, nur ein "Ich", das über sein Ich-Sein erstaunt ist, und zwei Dus (Alice eben und Julia) , die er vielleicht lieben kann. Zum letzten kommt es freilich, wenn wir den Rezensenten recht verstehen, nicht. Auch darin aber zeige sich, meint Meyer, eine letzte Größe des Autors: das Absurde, der Humor, ja, der "Slapstick" seien ihm keineswegs fremd.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.08.2003

Botho Strauß vollbringt es, so manchen Leser seiner Erwartung zu berauben, jubelt Rezensent Ijoma Mangold. Denn hier gibt es weder modische Ironie, noch Boulevard, sondern ein völlig anderes "Mischungsverhältnis zwischen dem Leichten und dem Schweren", das sich "anstrengend", aber "exquisit" ausmacht. Ein relativierendes "Augenzwinkern" suche man daher vergebens, finde aber dafür die wahrhaftige Inkarnation des Boulevards: "Das Ineinander von menschlicher und göttlicher Komödie. Denn nur wo ein Gott dem Menschen das Bein stellt, ist sein Sturz komisch und sublim zugleich." Strauß zeige sich in dieser vermeintlichen Dreiecksgeschichte als "großer Dichter der Anarchie der Gefühle", in der die Menschen ihr eigenes Ausdrucks- und Passionspotential immer wieder verfehlen, und in immer neuen "Metamorphosen" zum Kampffeld werden zwischen triebhaften "Göttern und Dämonen" und der den Menschen nivellierenden Wissenschaft. Das Fazit des begeisterten Rezensenten: Keine "ausbalancierte runde Geschichte", sondern ein in "berückender Verwirrung" und sprachlichen "Sirenengesang" gewundener "Knäuel herrlichster Imaginationen".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.08.2003

Ulrich Greiner lässt in seiner breit angelegten Rezension des Buches keinen Zweifel an seiner Begeisterung aufkommen. Er preist Botho Strauß als einen der bedeutenden zeitgenössischen Schriftsteller, der eine "literarische Alternative" zum verbreiteten "arglosen Narzissmus" zu bieten hat. Auch in seinem neuen Roman, der sich um die "Kehrseite" der Liebe und um die Unmöglichkeit, den anderen und sich selbst wirklich zu kennen, dreht, zeigt sich nach Ansicht des hingerissenen Rezensenten das "erstaunliche Können" des Autors. Die verschiedenen miteinander verknüpften Erzählungen des Romans und die Technik des Autors, seine Figuren entweder ganz aus der Nähe oder aus der Ferne zu betrachten, nie aber in der "konventionalen Totale", verwirre den Leser und mache den Roman nicht zu einer "leichten Lektüre", räumt der Rezensent ein. Es entsteht dabei aber ein "faszinierendes System aus Verweisen und Brechungen", ein "Spiegelkabinett", in dem der Leser manchmal zwar sich selbst oder andere erkennt, manchmal aber auch "gegen das Glas" rennt, so Greiner beeindruckt. Er bewundert die Vielfalt an Themen und Perspektiven, die der Roman zu bieten hat und preist den dort entfalteten "Gedanken- und Bilderreichtum". Nicht immer hält der "narrative Bogen" den Anforderungen der komplexen Erzählweise stand, gibt der Rezensent zu, doch kann das seine Begeisterung angesichts der "anhaltenden Kraft", mit der der Autor seine "andere Welt des Wahrnehmens und Denkens" erschafft, nicht bremsen.
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