Christina von Braun

Versuch über den Schwindel

Religion, Schrift, Bild, Geschlecht
Cover: Versuch über den Schwindel
Pendo Verlag, Zürich - München 2001
ISBN 9783858424068
Gebunden, 672 Seiten, 39,88 EUR

Klappentext

Mit 35 Abbildungen. Der Begriff des Schwindels erzählt eine seltsame Geschichte: die "wahre" Geschichte von der Macht der Täuschung. Das Buch verfolgt zwei historische Hauptstränge in ihrer Verschränkung und Verzweigung: die Geschlechterbilder einerseits und den Vergleich zwischen jüdischen und christlichen Denkwelten andererseits. An keinem anderen Beispiel lässt sich so deutlich die Wirkungs- und Wirklichkeitsmacht abendländischer Simulationstechniken aufzeigen. Indem die Autorin zeigt, was das Alphabet mit der Beschneidung zu tun hat, christliche Bilderverehrung mit dem Dogma der Unauflösbarkeit der Ehe, die Kommunikationstechniken des 18. und 19. Jahrhunderts mit der "Krankheit Onanie" Hostie und mystischer Leib Christi mit der modernen Genwissenschaft, eröffnet sie einen neuen Blick auf historische Zusammenhänge.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.10.2002

Um die "Wirklichkeitsmacht des Imaginären", so zitiert Rüdiger Suchsland die Autorin, geht es in diesem knapp 700 Seiten langen "Versuch". Sich dieser Autorin anzuvertrauen und mehr zu erfahren über ihre Lesart der "Kulturgeschichte des Westens", die sie als "dialektische Wechselbeziehung" von "dem Symbolischen und dem Imaginären" versteht, hat ihn auch deshalb gereizt, weil es um eine interdispziplinäre Arbeit geht, in der jemand "über den Tellerrand des Spezialistischen" schaut. Aber dann ist auch die Enttäuschung groß: Zwar müsse man gewisse Reduktionismen bei solchem Vorhaben in Kauf nehmen, schreibt Suchsland, aber bei ihrer "Wortspielerei", wo "Lautähnlichkeit" schon als "Beleg" genommen wird und "'ursprüngliche' Bedeutung" zum "inhaltlichen Dogma" führt, will der Rezensent der Autorin nicht mehr recht folgen. Der Verzicht auf analytisch strenge, kategoriale Wissenschaftlichkeit ist für Suchsland in Ordnung, aber das öfters orientierungslose Dahinschlingern im essayistisch und assoziativ, "dabei aber keineswegs leicht" zu lesenden Buch, hat ihn am Ende frustriert.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.12.2001

Ein Buch, das schön schwindelig macht, meint Schamma Schahadat. Aber auch eines, das schwindelt: schon gleich im Titel, so die Rezensentin. Die Schwindeleien und Schwindelgefühle erklärt Schahadat so: Autorin Christina von Braun befasst sich mit fast allem: Kino und Striptease, Anorexie und Askese, die Diva und das Gehör, Körper und Zeichen, schriftliche und mündliche Traditionen. Das ist ungemein spannend, findet Schahadat, hat aber außer im ersten Kapitel kaum etwas mit einer Theorie des Schwindels zu tun. Schwindel diene Braun in seiner Doppelbedeutung (Schwindel/ Betrug) als Metapher: Schwindel stehe für den Körper, der Betrug hingegen für das Imaginäre, das Zeichen. Daraus leitet die Autorin, so referiert Schahadat, in den folgenden Kapiteln eine Kulturgeschichte der christlichen und der jüdischen Religion ab, deren Unterschiedlichkeit für von Braun im Alphabet, in der symbolischen Ordnung begründet liegt. Um es kurz zu machen: die jüdische Tradition schwindelt insgesamt weniger, resümiert Schahadat, da sie mehr auf Differenz als auf Synthese ausgelegt sei. Klingt spannend, aber auch etwas verdächtig. Denn auch vom "Behagen in der Schuld" ist bei von Braun die Rede.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.11.2001

Wissenschaftliche Diskurse haben die Eigenart, stellt Andreas Cremonini fest, eine Handvoll leitender Begriffe und Namen zu enthalten, die grundsätzlich beim Disputanten Konsens und dann Zuspruch oder Kopfschütteln auslösen. Und die entsprechenden Bücher dazu dürfen sich selbst genügen und vom Leser die passende Loyalität fordern, führt der Rezensent weiter aus. Genau so ein Buch ist das von Christina von Braun: Es sei umfangreich und sich seiner Bedeutung sicher. Damit ist der Rezensent aber nicht einverstanden, denn er traut sich, diesem Selbstverständnis an einigen Stellen zu widersprechen. Etwa, wenn Braun dem Hebräischen mehr Bedeutung und Ursprünglichkeit beimisst als dem Griechischen, die jüdische Schriftkultur überhaupt als die wahrhaft differenzierte einordnet, was beim Rezensenten den Verdacht auslöst, die Autorin habe sich vor lauter Bemühung, antisemitische Stereotype zu dekonstruieren in philosemitischen Behauptungen verloren, anstatt sich aufs Analysieren zu konzentrieren. Schleierhaft ist Cremonini außerdem, welche Methode Braun eigentlich für ihre kulturwissenschaftlichen Betrachtungen gewählt hat. Sowohl historisch-narrative Elemente als auch strukturelle hat er vorgefunden, deren Trennung voneinander dem Rezensenten aber grundsätzlich sehr wichtig erscheint. Für Cremonini ist die Studie ein "unförmiges Dokument kulturwissenschaftlicher Selbsterbauung", die Anlass zu einer Kritik gibt, die sie selbst gar nicht angedacht hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2001

Hans Ulrich Gumbrecht scheint bei der Lektüre insgesamt nicht wirklich klar geworden zu sein, was die Autorin eigentlich beabsichtigt. Zunächst weist er darauf hin, dass sich Brauns Überlegungen auf drei Säulen stützen: 'Gender, Medien und das Verhältnis von jüdischen und christlichen Traditionen'. Darin sieht der Rezensent die Stärke und zugleich Schwäche des Buchs. Zwar lasse sich mit dieser Trias fast alles abdecken, doch gleichzeitig scheint es Gumbrecht, als ob sich die Autorin nur schwer auf ein "thematisches Zentrum" konzentrieren könne. Der Leser fühlt sich dabei ziemlich verloren auf dem "Ozean der Kulturgeschichte", bemängelt Gumbrecht, der auch in inhaltlicher Hinsicht einiges an dem Band auszusetzen hat. So werde nicht einmal der Unterschied zwischen Schwindel "als Zustand der Benommenheit und Schwindel als Täuschungsmanöver" klar unterschieden, allerdings gehe die Autorin im Laufe des Buchs auf dieses Thema ohnehin praktisch nicht mehr ein. Gumbrecht zeigt sich zwar beeindruckt von der enormen Belesenheit der Autorin. Doch die grundlegenden Fragen und Argumentationsstrategien des Buchs sind dem Rezensenten bei der Lektüre weitgehend verborgen geblieben.
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