Nicolas Berg (Hg.)

Der Berliner Antisemitismusstreit

Eine Textsammlung von Walter Boehlich
Cover: Der Berliner Antisemitismusstreit
Jüdischer Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783633543113
Gebunden, 544 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Im Sommer 1965 erschien "Der Berliner Antisemitismusstreit", eine Sammlung von Dokumenten, Reden, offenen Briefen aus den Jahren 1879/80 über die Frage nach der Zugehörigkeit der Juden zur deutschen Nation. Herausgeber war Walter Boehlich (1921-2006), der legendäre Lektor des Suhrkamp Verlags, der einen kritischen Blick auf Heinrich von Treitschke, den Wortführer der Agitation, warf und auf die eigene Gegenwart Mitte der sechziger Jahre. Zur Zeit der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt und gegen die landläufigen Vorurteile dokumentierte Boehlich den Antisemitismus nicht als Einstellung der "dummen Kerle" (August Bebel). Dieses Buch zeigt vielmehr, dass die Anfeindungen gegen die Juden im späten 19. Jahrhundert längst zu einer Sache der gebildeten Leute geworden war - der Universitätsgelehrten, Theologen und Intellektuellen. Ihre Sprache der Agitation mobilisierte die Vorurteile, Feindbilder, Verschwörungserklärungen und den Hass der Vielen. Der Berliner Antisemitismusstreit führt auch die Ressentiments vor Augen, das "Vokabular dieser Kultur" (Shulamit Volkov), das Demagogen bis heute für ihre judenfeindlichen Zerrbilder verwenden, wie der Herausgeber der Neuausgabe eindrucksvoll zeigt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.07.2023

Rezensent Willi Winkler beschäftigt sich zunächst mit der Stellung des Autors Walter Boehlich im Suhrkamp-Verlag. Siegfried Unseld hat Boehlich dessen Mitwirkung am Streit über die Mitbestimmung von Lektoren nicht verziehen, weshalb die Verdienste des ehemaligen Cheflektors lange unzureichend gewürdigt wurden, lesen wir. Insbesondere hat sich Boehlich um linke Positionen bei Suhrkamp verdient gemacht, wofür seine eigene, nun neu herausgegebene Quellensammlung über akademischen Antisemitismus in Deutschland ein hervorragendes Beispiel ist, so Winkler. Boehlichs ursprünglich 1965 erschienene Arbeit legt unter anderem das unselige Wirken von Gestalten wie Heinrich von Treitschke offen, einem Historiker, der bereits 1879 den Slogan "Die Juden sind unser Unglück" prägte: In klassisch demagogischer Manier stachelten Treitschke und andere den Hass gegen Juden an, liest Winkler. Er lernt außerdem, dass Antisemitismus nicht nur eine Sache des naiven Volkszorns war und in deutschen Universitäten nicht erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 Einzug hielt: Tatsächlich sind einige Nachwirkungen, wie die Benennung einer Münchner Straße nach Treitschke, bis heute nicht behoben, so der Kritiker.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.06.2023

Kluge Einordnungen und reiche Information entnimmt der hier rezensierende Historiker Alexander Gallus der neuaufgelegten Quellensammlung zum berüchtigten "Berliner Antisemitismusstreit", also jener Debatte über "Judentum und Deutschtum" von 1879/1880, in der Heinrich Treitschke so hässlich polemisierte ("Die Juden sind unser Unglück") und Theodor Mommsen die Liberalität gegen das "Evangelium der Intoleranz" verteidigte. Die Sammlung der damaligen Debattenbeiträge wurde erstmals 1965 von Walter Boehlich herausgegeben, der mit seiner damaligen Edition vor allem auch die Frage antisemitischer Kontinuitäten aufwerfen wollte, erklärt Gallus. Die aktuelle von Nicolas Berg besorgte Neuausgabe schätzt der Rezensent nicht nur wegen der drei zusätzlich aufgenommen Texte, sondern auch wegen ihrer Nüchternheit, die in den Augen des Rezensenten das Niveau der Historisierung und Kontextualisierung durchaus zu steigern vermochte.  Manch übertriebene Lobhudelei nimmt er in Kauf.
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