Fernand Braudel

Geschichte als Schlüssel zur Welt

Vorlesungen in deutscher Kriegsgefangenschaft 1941
Cover: Geschichte als Schlüssel zur Welt
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013
ISBN 9783608948431
Gebunden, 232 Seiten, 22,95 EUR

Klappentext

Braudels Vorlesungen in deutscher Kriegsgefangenschaft sind ein Schlüssel zur Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. Ein unerlässliches Buch für das Verständnis eines der bedeutendsten Historiker. 1940 geriet Leutnant Fernand Braudel in deutsche Kriegsgefangenschaft. Fünf Jahre lang, zuerst in Mainz, dann in einem Lager bei Lübeck, wartete der Historiker auf die Befreiung und füllte gleichzeitig hunderte Notizhefte. So entstand sein berühmtes Buch "Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II.", das die Geschichtsschreibung revolutionierte. Aber Braudel hielt auch Vorträge im Rahmen der "Lageruniversitäten".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.08.2013

Den Menschen im Zentrum sieht Kim Priemel in Fernand Braudels Versuch der Grundlegung einer neuen Geschichtswissenschaft. Braudels erstmals auf Deutsch erscheinendes in "sorgsamer" Übertragung vorliegendes und mit hilfreichem Nachwort und Anmerkungen versehenes Buch lässt Priemel staunen: über die unverbissene Verve und Farbigkeit der Diktion, wie über das revolutionäre Programm zu einer mit der konventionellen Historiografie brechenden, empirisch und interdisziplinär arbeitenden Geschichtsschreibung. Dass ihre Grenzen nicht immer klar zu erkennen sind, nimmt Priemel als genuinen Ausweis ihres utopischen Charakters.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.07.2013

Achim Landwehr erinnert an die besondere Form der deutschen Kriegsgefangenenlager für Offiziere im Zweiten, die nicht zu vergleichen waren mit Konzentrationslagern oder anderen Ortend es Schreckens. Dennoch genossen die Inhaftierten dort nur geringe Freiheiten, denen die Geschichtswissenschaft aber einige der wichtigsten Werke von Fernand Braudel verdankt, der in dieser aberwitzigen Situation sogar eine Einführungsvorlesung "in der 'Kriegsgefangenen-Universität'" entwickelte, berichtet der Rezensent. Diese ist nun unter dem Titel "Geschichte als Schlüssel zu Welt erschienen. Was Landwehr wirklich erstaunt, ist die Position, die Braudel darin vertritt. Trotz der Umstürze seiner Zeit, spricht sich der Historiker gegen eine Orientierung an einzelnen Ereignissen aus, wolle die Disziplin ernsthaft wissenschaftlich arbeiten, "nieder mit dem Ereignis" also, lernt der Rezensent, stattdessen sollen die großen Strukturen und ihre Gesetze erforscht werden. Der Einfluss Braudels kann kaum überschätzt werden, weiß Landwehr.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.07.2013

Kenntnisreich erklärt Daniel Jütte die Bedeutung dieser Vorlesungen des französischen Historikers Fernand Braudel, die während dessen Kriegsgefangenschaft in Deutschland in einer geradezu absurd anmutenden Szenerie zustande gekommen sind: Aufgrund der guten Beziehungen von Vichy zum nationalsozialistischen Deutschland wurden den französischen Offizieren etliche Vorrechte gewährt, weiß Jütte, wozu eben auch eine Lageruniversität, eine Bibliothek und Braudels Recht als Rektor gehörten, von seinen Bewacher als Magnifizenz angeredet zu werden. Braudel hat die Historie der "longue durée" begründet, die Großereignisse und einzelne Protagonisten in den Hintergrund rückte, und Jütte fragt sich, ob vielleicht auch die Passivität der Gefangenschaft Braudels Perspektive beeinflusst hat ("Nieder mit dem Ereignis, vor allem wenn es unangenehm ist!"). Aber er erkennt in den Vorlesungen auch einen kämpferischen Historiker, der auf eine "neue, imperialistische und sogar revolutionäre Wissenschaft" hofft, die in anderen Wissensgebieten hemmungslos plündert.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.06.2013

Dass die Geschichtswissenschaft abgerückt ist von der Fokussierung auf einschneidende Ereignisse sowie die Taten großer Männer und sich heute eher den Wirkungsweisen bestehender und sich wandelnder Strukturen und Rahmenbedingungen zuwendet, ist auch das Verdienst von Fernand Braudel, erklärt Micha Brumlik mit einiger Freude darüber, dass sich mit dem vorliegenden Band nun auch ein Einblick in die Entstehung dieser Art, Geschichte zu denken, bietet. Zentral ist dabei Braudels deutsche Kriegsgefangenschaft von 1940 bis 1945, schreibt Brumlik weiter, um nur gleich zu unterstreichen, dass Braudels Alltag in der Gefangenschaft im Grunde recht moderat ausfiel: So waren ihm Seminare genauso gestattet wie der Zugriff auf die Bestände deutscher Bibliotheken. Unter diesen Bedingungen entstanden die vorliegenden Vorlesungen, in denen Brumlik das Programm Braudels späterer Forschungen in nuce angelegt sieht. Bisweilen kurios und sonderbar unpolitisch wollen dem Rezensenten manche Passagen allerdings schon erscheinen: Braudels Ausführungen zum Verlust der Dehnbarkeit der Welt nach dem Abschluss einer globalen Landnahme und seine Vorstellungen von der Einheit der Welt wirken auf den Rezensenten wie ein "Blick vom Mond" auf die Erde.