Georgi Demidow

Fone Kwas oder Der Idiot

Roman
Cover: Fone Kwas oder Der Idiot
Galiani Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783869712888
Gebunden, 208 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Irina Rastorgueva und Thomas Martin. Sie war beschlagnahmt, blieb verschwunden und wurde erst ein Jahrzehnt später wiederaufgespürt: eine unglaubliche Geschichte, eines Kafka oder Borges würdig, in der Realität und Wahnsinn auf immer neue Weise die Rollen tauschen.   Ein bedeutender Wissenschaftler wird in einer sowjetukrainischen Provinzstadt wegen Zugehörigkeit zu einer ihm unbekannten Organisation verhaftet. Ihm droht Folter, und er ahnt, dass er das nicht durchhalten wird. Er entwickelt die Idee, vor den NKWD-Offizieren den "Fone Kwas" (ein jiddischer Ausdruck für einen Narren oder "Trottel") vorzutäuschen, wirre und unglaubliche "Geständnisse" zu machen - in der Hoffnung, schnell verurteilt zu werden, dann aber Berufung einzulegen und zu zeigen, dass alles, was er gestanden hat, technisch und wissenschaftlich vollkommen unhaltbar ist, so dass er schlussendlich wegen "irrtümlicher" Verhaftung entlassen werden wird. Er setzt sein Vorhaben um. Er erzählt von sagenhaften Sabotageakten, malt wirre Diagramme. Je irrer und bizarrer seine Ausführungen werden, desto gebannter hört sein Ermittler zu und desto erfreuter zeigt er sich. Und am Ende kommt alles ganz anders, als der Angeklagte erwartet hat. Die wahnsinnige Realität des stalinistischen Terrors wird die fabrizierten Phantasmen des "Fone Kwas" bei Weitem übertreffen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 25.01.2024

Ein wichtiges Buch über den stalinistischen Terror ist Georgi Demidows 1964 fertiggestellter und nun erstmals auf Deutsch erschienener Roman laut Rezensentin Gisa Funck. Hauptfigur ist Rafail Belokrinitskij, ein Industrieller, der - eine biografische Parallele zum Autor, so die Rezensentin - in den 1930er Jahren von sowjetischen Schergen inhaftiert wird und sich zunächst mit den unmenschlichen Haftbedingungen arrangieren muss. Dass es nicht um die Ermittlung von Schuld geht, sondern um die Erpressung falscher Geständnisse, lernt der Protagonist schnell, so Funck. Freilich legen die Stalinisten Wert darauf, dass die erfundenen Beichten auch glaubwürdig sind, was für Funck die Absurdität des Terrorsystems offenbart. Belokrinitskij selbst begeht schließlich einen tragischen Fehler, lernen wir, weil er an die Vernunft im Wahnwitz glaubt, er wird, worauf bereits der Titel deutet, zum "Fone Kwas" - jiddisch für "Trottel". Als eine eindringliche Warnung vor dem Irrsinn des selbstzweckhaften Terrors ist dies ein zeitloses Buch, resümiert beeindruckt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.12.2023

"Erschütternd" findet Rezensent Ulrich M. Schmid diesen Kurzroman von Georgi Demidow, der hier aus eigener Erfahrung von der Haft in einem sowjetischen Gulag erzählt. Warlam Schalamow, der im Gegensatz zu Demidow nach dem Ende der Sowjetunion zur einiger Bekanntheit gelangte, wie Schmid erinnert, bezeichnete den Autor, der sein Mithäftling war, als 'klügsten und ehrenhaftesten Menschen', den er jemals getroffen habe. Es geht um einen Ingenieur, der maßgeblich zur "Elektrifizierung der sowjetischen Industrie" beiträgt, so Schmid, dann aber denunziert und verhaftet wird. Am meisten beeindruckt hat den Kritiker in dieser Geschichte die Verurteilungsszene: der Ingenieur, der durch einen Trick seiner Anklage entgehen will, wird zum Tode verurteilt und erkennt, dass er ein "Fone Kwas", ein Trottel, ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.2023

Tief beeindruckt ist Rezensent Tilman Spreckelsen von diesem wiederentdeckten Roman eines Autors, der das, worüber er schreibt, selbst aus nächster Nähe kennt: Georgi Demidow war wie sein Protagonist Belokrinitskij im stalinistischen Lager und hat es nur knapp überlebt. Ein "irritierendes Miteinander von Form und Chaos" liest Spreckelsen in den Schilderungen der Erfahrungen, die der Protagonist, dessen Perspektive wir einnehmen, mit dem NKWD macht - entwürdigende Gemeinschaftszellen, ständige Verhöre, und immer die Unsicherheit, was noch kommen mag. Für den Kritiker ein schonungsloser und wichtiger Blick auf den Totalitarismus im Allgemeinen und den Stalinismus im Besonderen, schließt er.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.11.2023

Großartig findet Kritiker Dirk Knipphals, dass der Schriftsteller Georgi Demidow dank des Galiani-Verlags nun endlich auch auf Deutsch entdeckt werden kann: Demidow war eigentlich Physiker, wurde denunziert und saß im Gulag ein, später dann wurde er vom Geheimdienst verhaftet, wie auch sein Protagonist Rafail Belokrinitskij. Die Umstände in der Haft sind entsetzlich, lesen wir, Demidow legt den Finger in die Wunde, die Sprache ist dabei so mitreißend, dass der Rezensent gar nicht anders kann als immer weiterzulesen, auch wenn der Inhalt, die Hoffnungslosigkeit, die der "Fone Kwas", der titelgebende Idiot, erleben, seinem Bericht nach niederschmetternd sind. Für Knipphals ein großer Gewinn, dass dieser Roman nun endlich zugänglich ist und so vielleicht ein wenig des Unrechts der sowjetischen Zensur und Unterdrückung wieder gut gemacht wird.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.11.2023

Ein unverwechselbarer, wichtiger Beitrag zur Gulag-Literatur liegt mit dieser ersten Übersetzung von Georgi Demidov vor, bekundet Rezensentin Stephanie von Oppen. Der Autor wurde selbst im Zuge der stalinistischen "Säuberungen" inhaftiert, die Erfahrungen hat er in diesem Band fiktional nur leicht verfremdet aufgezeichnet, auch dieses Werk ist vom Geheimdienst beschlagnahmt worden und konnte erst nach seinem Tod erscheinen, erfahren wir. So decken sich die Erfahrungen des Protagonisten Rafail Belokrinitskij ziemlich mit denen des Autors, der NKWD steckt ihn in eine schmutzige Zelle, wo ihm Verwahrlosung und Folter droht. Rafail will unbedingt entkommen - am Ende muss er allerdings erkennen, dass er selbst wie der titelgebende "Fone Kwas", der Idiot, gehandelt hat, heißt es. Ein Buch, das wieder einmal Zeugnis ablegt von stalinistischen Grausamkeiten und deshalb so dringend gelesen gehört, schließt Oppen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.10.2023

Regelrecht hymnisch bespricht Rezensentin Anna Prizkau Georgi Demidows Buch über die Schrecken und Absurditäten stalinistischer Schauprozesse, das nun erstmals auf Deutsch erscheint. Die Hauptfigur des Romans, Rafail, hat eigentlich eine gute Stellung im Sowjetstaat, lernen wir, und glaubt nach seiner Verhaftung im Jahr 1937 deshalb zunächst an einen Irrtum. Bald lernt er, zeichnet Prizkau nach, dass es bei dem Verfahren, in das er geraten ist, keineswegs um Wahrheitsfindung geht, außerdem macht er mit der brutalen, entmenschlichenden Gefängnishierarchie Bekanntschaft. Auf jeden Fall dürfe man diese Veröffentlichung nicht auf einen Kommentar zum aktuellen Krieg in der Ukraine reduzieren, bittet die Rezensentin. Vielmehr sei dies ganz große, zeitlose Literatur, zum Beispiel wenn es um Freundschaften geht, die Rafail im Gefängnis knüpft. Der Titel des Buchs wiederum, führt die Kritikerin aus, hängt mit einem Plan zusammen, der Rafail aus seiner Lage befreien soll und der darauf hinausläuft, den Lügen seiner Ankläger mit Gegenlügen zu begegnen. Er wendet also, heißt es weiter, die Waffen seiner Ankläger gegen sie selbst und begibt sich so gerüstet in die Verhöre. Man liest dieses Buch schnell, meint Prizkau am Ende, aber für die kurze Zeit der Lektüre macht es einen sehr glücklich.