Haruki Murakami

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

Roman
Cover: Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
DuMont Verlag, Köln 2024
ISBN 9783832168391
Gebunden, 640 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Eine ummauerte Stadt, die nur betreten kann, wer seinen eigenen Schatten zurücklässt: Hier lebt das wahre Ich des Mädchens, in das sich der namenlose Erzähler mit siebzehn Jahren unsterblich verliebt. Er macht sich auf die Suche nach ihm, gelangt in die Stadt und ihre geheimnisvolle Bibliothek, doch das Mädchen erkennt ihn nicht mehr. Unter rätselhaften Umständen gerät der Erzähler zurück in die Welt jenseits der Mauer. Er zieht nach Tokio, arbeitet im Buchhandel, hat wechselnde Freundinnen. Die Erinnerung an das Mädchen und die ummauerte Stadt lässt ihn nicht los. Schließlich kündigt er und nimmt eine Stelle in einer alten Bücherei in der Präfektur Fukushima an. Die Realität gerät knirschend ins Wanken - und der Erzähler muss sich fragen, was ihn an diese Welt bindet.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.02.2024

Zwei Welten durchdringen sich in Haruki Murakamis neuem Roman, führt Rezensentin Katharina Granzin aus. Ausgangspunkt ist eine in Du-Form erzählte Liebesgeschichte, ein 17-jähriger verliebt sich in eine 16-jährige, sie erzählt ihm von einer Stadt, in der ihr wahres Ich lebt, und in die er selbst auch bald einzieht, als Traumleser. Jahrzehnte später treffen wir den Erzähler dann laut Rezensentin in der echten Welt wieder, er zieht aus Tokyo in einen Bergort und arbeitet dort als Bibliothekar. Auch diese Realität ist allerdings, fährt die Zusammenfassung fort, nicht allzu stabil. Dass Murakami selbst einen Erklärungsvorschlag für diese Verschmelzung unterschiedlicher Welten in sein Buch einbaut, wenn er die Figuren über magischen Realismus sinnieren lässt, irritiert die die Rezensentin ein wenig. Sie selbst vergleicht die Erzählung mit japanischen Anime, insbesondere Hayao Miyazakis "Der Junge und der Reiher". Insgesamt hat Miyazaki ein reichlich düsteres Buch geschrieben, schließt die Rezension, aber gleichzeitig eines, das, auch dank der wieder hervorragenden Arbeit seiner Übersetzerin Ursula Gräfe, den typischen, trostreichen Murakami-Sog entwickelt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 22.01.2024

Haruki Murakamis neues, von Ursula Gräfe perfekt ins Deutsche übertragene Buch beginnt mit einer Jugendliebe, stellt Rezensent Tobias Lehmkuhl dar, allerdings mit einer nicht sehr alltäglichen. Denn eine der Liebenden, ein Teenagermädchen, entwirft, so Lehmkuhl, mit einem Satz eine zweite Realität: eine mysteriöse Stadt, umgeben von einer Mauer, und bald darauf spielt auch der Roman dort, wobei sich herausstellt, dass nur Tiere die Mauer durchqueren können. Im weiteren, setzt Lehmkuhl seine Nacherzählung fort, erfahren wir weitere Details über die mysteriöse Stadt, aber auch über das Mädchen, dessen Schatten sich von ihr trennt - ein Motiv, das Murakami ganz beiläufig in seine im Stil eines Jugendbuchs entworfene Erzählung einfließen lässt. Auch tauchen, heißt es weiter, diverse philosophische und literarische Verweise auf, gleichzeitig aber bleibt die Erzählung stets konkret. Es gibt noch eine weitere Erzählebene jenseits der Stadt und ihrer Mauer, erfahren wir, sie ist im realen Tokyo angesiedelt. Insgesamt finden sich viele bekannte Murakami-Motive und auch ein paar Murakami-Schwächen in dem Roman, der freilich Fans des Autoren sowie auch jungen Lesern, die den Reichtum von Literatur entdecken möchten, unbedingt zu empfehlen ist.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 13.01.2024

Rezensent Peter Praschl genießt scheinbar, sich ein weiteres Mal ganz von Murakamis Schreiben aufsaugen zu lassen. Denn wie in anderen Romanen des Autors beginne auch diese Geschichte wieder im Leser zu "schwimmen", sich im Bewusstsein auszubreiten und dort eine Art Selbsterzählung loszutreten, so Praschl: Es geht dieses Mal um eine junge Liebe zwischen zwei Teenagern; der Protagonist begegnet seiner Angebeteten Jahre später wieder, aber sie erkennt ihn nicht. Dabei schleiche sich eine für Murakami typische Parallel-Zauberwelt in die Erzählung, mit lebenden Toten, sprechenden Tieren, Fabelwesen und einem "beharrlichen", fast unmodernen Glauben an die Liebe, so Praschl. Wie Murakami dabei wieder die Grenze zwischen Leser und Gelesenem aufzuweichen vermöge, im Leser "Assoziationsbrocken lockere" und Erinnerungen hervorrufe - sei es an aufgerufene Werke, hier z.B. Orpheus oder Kafka, sei es an Ereignisse aus dem eigenen Leben -, scheint der Kritiker zu bewundern. Eine verzaubernde Geschichte, die dem Kritiker einerseits vertraut vorkommt, andererseits eine ganz neue Welt eröffnet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 12.01.2024

Rezensentin Judith von Sternburg liest Haruki Murakamis "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer" mit einem speziellen Vergnügen, wenngleich es nicht dessen originellster Roman ist, auch nicht sein packendster und sicher nicht der schlüssigste. Die Geschehnisse folgen scheinbar ziellos aufeinander: Ein junger Mann verliebt sich in ein Mädchen, das Mädchen erzählt von einer geheimnisvollen Stadt, an deren Toren man seinen Schatten abgeben muss, in der die Zeit anders abläuft und die von einer organische Mauer umgeben ist, dann verschwindet das Mädchen, der Mann wird alt, gelangt selbst in die Stadt, unterhält sich mit seinem Schatten, kehrt wieder zurück in das was man in Ermangelung eines treffenderen Begriffs "die Wirklichkeit" nennen kann. Vieles wiederholt sich - Begebenheiten, Personen, Formulierungen - immer nur mit minimaler Abweichung, und der Sinn, den man hinter allem vermutet, ist höchstens ein privater, der sich nur "der Fantasie des Einzelnen" oder der Einzelnen erschließt, so Sternburg. Die Lektüre ist damit auf Dauer wohl etwas trocken, doch nicht ohne Reiz, betont Sternburg. Und diese Trockenheit, diese Kargheit des Abgrundes, den Murakami hier erforscht, hat Programm! Zudem wird man als Leserin oder Leser immer wieder belohnt mit fantastischen Vergleichen, einer feinen Dramaturgie, überraschenden Wendungen, viel Atmosphäre und dem gewohnt kunstvollen Murakami-Stil, den Ursula Gräfe hervorragend ins Deutsche zu übertragen weiß, so die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.01.2024

Rezensent Alex Rühle stellt "Fantastisches" in Aussicht, wenn man sich denn einlassen kann, wenn man den langen Atem aufbringen kann für diesen umfassenden, diesen "hypnotischen", diesen flimmernden Roman, indem Bizarres und Alltägliches ineinander fließen - ein Roman wie ein Möbiusband, so Rühle. Die Qualität eines solchen Romans lässt sich laut Rühle an einer Frage feststellen: Spürt man den Übergang von der einen, der realen in die andere Welt? Ist da ein Stolperstein? In der viel älteren Vorgänger-Erzählung von "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer" scheint der Rezensent diesen Übergang noch zu spüren, sodass die Geschichte eher "Wechselbalg aus Thriller und Fantasy-Stuss" ist als ein elegantes Möbiusband. 40 Jahre später nun hat Murakami es geschafft, diese Unebenheit ganz und gar auszuschleifen, sodass die Lektüre zu einer Art Schwebeerfahrung wird. Und noch etwas wirklich Fantastisches ist dem Autor hier gelungen, glaubt Rühle: Eine von Murakamis großen Stärken waren immer seine so eigenen, so plastischen Charaktere, zumindest die männlichen. Frauenfiguren kamen selten vor, und wenn dann waren sie ziemlich fahle Fantasiegestalten - Gestalten männlicher Fantasie, versteht sich. Nun hat er mit der charmanten Cafébesitzerin, auf die der Erzähler irgendwann spät im Roman trifft, eine realistische, starke Frauenfigur entworfen und zudem eine Liebesgeschichte, die wohl zum Schönsten gehört, was Murakami je geschrieben hat, so der begeisterte Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 12.01.2024

Rezensentin Katharina Borchardt ist dankbar, dass Haruki Murakami seine gleichnamige Kurzgeschichte aus dem jahr 1980 nochmal angefasst und zum Roman ausgeweitet hat. Denn erst so entfaltet sie ihre ganze Wirkung, versichert die Kritikerin, die hier anhand von zahlreichen typischen Murakami-Motiven ins eigene Innere vordringt. Erzählt wird von einem zunächst siebzehnjährigen Mann, der seiner plötzlich verschwundenen Jugendliebe in eine mysteriöse, labyrinthische Bibliothek  unter der Erde folgt, wo jene Freundin ihm alte Träume in Eiform überreicht. Sein Schatten, im Diesseits geblieben, beordert den jungen Mann aber bald zurück, gelangweilt im Buchhandel tätig befreundet er sich mit einem Geist und einem autistischen Jungen, resümiert die Rezensentin. Nicht nur Murakami selbst, auch Freud lässt im Roman immer wieder grüßen, erkennt Borchardt, die sich durch die geradezu "meditativ" wirkenden Wiederholungen auf dieser "Textfläche" immer weiter lockert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.01.2024

Als "Triumph des Erzählens" bezeichnet Rezensent Tilman Spreckelsen diesen neuen Roman von Haruki Murakami: Zwei Teenager verlieben sich ineinander, sie bleiben beide namenlos, verrät Spreckelsen, das Mädchen aber kann sich nicht ganz einlassen auf diese Beziehung. Der Grund ist, dass ihr "wahres Ich" in einer mysteriösen Stadt gefangen ist, erfahren wir - doch Murakami spielt mit dem Erzählten, sodass nicht immer ganz klar ist, was jetzt "wahr" ist und was nicht. Damit kann er den Kritiker, der die faszinierenden "Gegenwelten" schon aus anderen Büchern des Autors kennt und schätzen gelernt hat, begeistern.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.01.2024

Einen typischen Murakami-Roman hat Haruki Murakami geschrieben, so Rezensent Ronald Düker. Inklusive typischer Murakami-Hauptfigur, die diesmal keinen Namen trägt und ein Junggesellenleben lebt, zunächst in einem Plattenladen, später in einer Provinzbibliothek arbeitet. In letzterer stimmt etwas nicht, stellt sich laut Düker heraus, was sich unter anderem darin niederschlägt, dass ihr Direktor keinen Schatten wirft. Auf diesem Weg nimmt die Hauptfigur Kontakt auf zur Welt jenseits der ungewissen Mauer, eine traumartige Gegenwelt, in der der Protagonist auch seine große Liebe vermutet, jene mysteriöse Frau, die Murakami-Männer fast immer und auch hier suchen. Wie gewohnt, führt Düker aus, ist die Erzählwelt in Bedeutung gedrängt, jedes noch so kleine Objekt wird von der Hauptfigur psychisch vereinnahmt, und auch die Referenzen auf Pop- und Hochkultur spielen eine Rolle, unter anderem geht es um Kant, Kafka, E.T.A. Hoffmann, The Matrix und Computerspiele. Der Rezensent fühlt sich gut unterhalten von dem Roman, an dem Murakami schon seit Jahrzehnten arbeitet und dessen Geschichte er vorher in zwei aus Autorensicht unfertigen Versionen veröffentlicht hatte, merkt aber an, dass das alles ziemlich dicht und bedeutungsschwanger konstruiert ist.