Hilary Mantel

Sprechen lernen

Erzählungen
Cover: Sprechen lernen
DuMont Verlag, Köln 2023
ISBN 9783832168162
Gebunden, 160 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen Werner Löcher-Lawrence. In 'Sprechen lernen' folgen wir Hilary Mantels Figuren ins England der Fünfziger- und Sechzigerjahre, betreten abgelegene Dörfer und Schrottplätze, besuchen altmodische Kaufhäuser und Klosterschulen. Es sind diese unscheinbaren, "von rauen Winden und derben Klatschmäulern geplagten Orte", die zum Schauplatz eben jener Momente werden, die den jungen Protagonisten und Protagonistinnen noch lange in Erinnerung bleiben. Momente, die ihr Leben für immer prägen werden: das Verschwinden des leiblichen Vaters, die neue Identität der Mutter, das plötzliche Verlorengehen und das mühsame Sprechenlernen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.2023

Rezensentin und Literaturwissenschaftlerin Tina Hartmann empfiehlt den Erzählband der 2022 verstorbenen Autorin Hilary Mantel wärmstens. Es geht darin um die Erfahrung des Aufwachsens eines irischstämmigen Mädchens im englischen Arbeitermilieu der 50er und 60er Jahre, um das Zurechtfinden im eigenen Geschlecht und in der Sprache der Erwachsenen, die einem vorschreibt, welche Wörter zu benutzen sind und welche besser nicht. Auch generell fällt der Kritikerin der reflektierte Umgang mit Sprache positiv auf. So konstatiert sie etwa eine ausgeprägte Poesie in der kindlichen Perspektive oder bewundert, wie sich manche Elemente gerade dem sprachlichen "Zugriff entziehen" - so finde etwa das Thema des häuslichen Missbrauchs nur als eine solche Leerstelle Eingang in die Geschichten. Auch andere inhaltliche Leerstellen wie ein versunkenes Dorf oder verschwindende Hunde umkreisen die Erzählungen "virtuos" und auf gespenstisch-unheimliche Weise, die durch Milieubeschreibungen und ein "kohärent erzähltes Sozialgefüge" ergänzt werde, analysiert Hartmann beeindruckt. Ein fesselndes, "schonungsloses" und schwarzhumoriges Buch voller "linguistischer Finesse", schwärmt sie.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 23.09.2023

Mit Gewinn liest Rezensentin Tanya Lieske Hilary Mantels Geschichten, in denen es "wenig heiter" zugeht: In der tristen Kulisse der Provinzstadt Derbyshire in Nordengland, wo die Autorin auch selbst geboren wurde und eine schwierige Kindheit verbrachte, geht es um dysfunktionale Familienstrukturen in ärmlichen Verhältnissen, um herumgeisternde Geschichten, die man als Kind erzählt bekam, oder um Erinnerungen an Verstorbene - stets dominiere dabei eine kindliche Wahrnehmung, auch wenn hier Erwachsene erzählen, hält Lieske fest. In vielen der Geschichten sieht die Kritikerin auch Mantels eigene Biografie durchschimmern und spricht zudem von einer "Poetik der ungelebten Version", die sie aus einem Zitat der Schriftstellerin über den "autoskopischen" Blick auf das eigene Dasein ableitet. Geschichten mit einem "Hang zur Groteske und zum dunklen Humor", die sich tiefgreifend mit Herkunft, Religion und Sprache auseinandersetzen, lobt Lieske.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.08.2023

Im Original schon vor zwanzig Jahren erschienen, kommt jetzt auch das deutsche Lesepublikum in den Genuss von Hilary Mantels autofiktionalen Erzählungen, freut sich Kritiker Hernán D. Caro. Eines der zentralen Motive ist das Verschwinden des Vaters, das er schon aus ihrer Autobiografie kennt, doch nie steht es offensiv im Mittelpunkt, erst im Laufe der Geschichten wird ihm klar, dass es sich vor allem im Gefühl der Bedrohung und der Unsicherheit artikuliert. "Mit beeindruckender Schärfe" berichten die meist kindlichen Erzählfiguren von seltsamen Nachbarn und Mutter-Tochter-Verhältnissen, vergessen aber dabei nicht die Empathie und den feinen Humor, der ebenfalls in diesen von Mantels Biografie geprägten Texten steckt, wie Caro anerkennend bemerkt. Für ihn eine große Empfehlung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.08.2023

Rezensentin Petra Pluwatsch spürt die ganze Enge und Bigotterie von Hilary Mantels Kindheit und Jugend im Norden Englands in diesen sechs autobiografischen Geschichten, die im Original bereits vor 20 Jahren erschienen sind. Klatsch, Kleinmut und Armut prägen das Leben dort in den 1950er und 60er Jahren, stellt sie fest und fühlt, wie es ihr beim Lesen die Kehle zuschnürt. Wie ein Liebhaber der Mutter die Erzählerin in der Schule zur Außenseiterin macht, liest sich für Pluwatsch bedrückend. Eignet sich gut als Ergänzung zu Mantels Autobiografie, findet sie.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 05.08.2023

Hilary Mantel tritt in "Sprechen lernen" immer noch "auf der Stelle", zitiert Rezensent Richard Kämmerlings die inzwischen verstorbene Autorin. Sie tritt auf der Stelle, und das im allerbesten Sinne des allegorischen Wortes - im Morast zwischen Historie und Mythos, zwischen Familiengeschichte und Familiengeschichten. Denn da ist etwas in ihrer eigenen Vergangenheit, das sich nicht aussprechen lässt, lesen wir. Ein "Schrecken", der ihrem faktengetreuen Erzählen den festen Boden entzieht, sodass sie ihn niemals ganz und gar hinter sich lassen kann. Ein Glück auch für uns als Leserinnen und Leser. Dann dabei fördert sie Erstaunliches zu Tage.Immer wieder ringen die Gestalten, die aus dem Morast aufsteigen und Mantels Autofiktionen bevölkern, um die richtigen Worte - Worte, die ihre proletarische Herkunft verschleiern, magische Worte, die zur Handlung werden und damit eine Ohnmacht aufheben. Die Konflikte, das Milieu und die Verhältnisse in den autofiktionalen Geschichten dieses Bandes dürften Fans der Autorin bekannt sein, vor allem aus Mantels Biografie. Man könnte sagen: Sie kreisen um dasselbe Zentrum, aber in einem weiteren Orbit. Damit bilden sie eine wertvolle Ergänzung zum autobiografischen Erzählen in "Von Geist und Geistern", so der beeindruckte Rezensent.