Ivo Vodsedalek

Am Esstisch

Totaler Realismus und Peinliche Poesie II
Cover: Am Esstisch
Ketos Verlag, Wien - Prag 2023
ISBN 9783903124264
Gebunden, 192 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Ausgewählt, aus dem Tschechischen und Nachwort von Ondřej Cikán. Der Band "Am Esstisch" bietet einen Querschnitt durch das dichterische Werk von Ivo Vodseďálek zwischen den 1940er und den 1980er Jahren und konzentriert sich dabei auf die Stile des Totalen Realismus und der Peinlichen Poesie. Das Nachwort beschreibt den literarischen und historischen Kontext. Ivo Vodseďálek (1931-2017) hat in den 1950er Jahren gemeinsam mit Egon Bondy und Jana Krejcarová eine der ersten Samizdat-Editionen herausgegeben, die Edition Půlnoc (Mitternacht). Die meisten Bände erschienen in nur vier Stück. In dieser stalinistischen Zeit entwickelten Vodseďálek und Egon Bondy poetische Stile, die in Opposition zum damals einzig erlaubten Sozialistischen Realismus standen: den Totalen Realismus und die Peinliche Poesie.
Vodseďáleks Gedichte, die erst nach der Wende 1989 in Buchform veröffentlicht werden konnten, sind sehr lustig, wenn auch oft mit einem bitteren Beigeschmack. Sie sind heute besonders aktuell, und zwar nicht nur aufgrund des ungebrochenen russischen Imperialismus, der 1950 mit einer ähnlichen Rhetorik gearbeitet hat wie heute, sondern auch deshalb, weil sich in Vodseďáleks Gedichten auf eigenartige Weise die zeitgenössische westliche Gesellschaft spiegelt: Einerseits war der Sozialistische Realismus, den Vodseďálek aufs Korn nimmt, zutiefst "gesellschafts-politisch engagiert" und erfüllte also vieles von dem, was heute von ernstzunehmender Kunst verlangt wird. Andererseits hat Vodseďálek seine ironisch-idyllischen, peinlichen, total realistischen Gedichte ab den 1970er Jahren zunehmend in Westdeutschland (oder Österreich) verortet und mit einem Feindbild gespielt, das von den kommunistischen Machthabern gepflegt wurde.
Die Übersetzung wurde durch ein Stipendium des BMKÖS gefördert, die Gesamtherstellung durch das Kulturministerium der Tschechischen Republik.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.02.2024

Rezensent und Slawist Urs Heftrich freut sich sehr über die zweibändige Wiederentdeckung der tschechischen Dichter Egon Bondy und Ivo Vodseďálek, die mit ihrem "Totalen Realismus" und ihrer "Peinlichen Poesie" (beides Abspaltungen des Surrealismus, weiß Heftrich) gegen Stalins Faschismus anschrieben. Dabei kann der Kritiker nur staunen, wie bruchlos "Banalität und Bestialität" hier ineinander übergehen: Wie sich das Surreale schon aus einer bloßen Abbildung der Realität ergibt - "Ich sticke einen wunderschönen Gobelin für unser Rathaus / mit dem Portrait des Generalissimus Stalin", zitiert er etwa -, findet er höchst eindrücklich. Zur "dissidenten Heldensaga" taugen die Lebensläufe der beiden Dichter zwar nicht, aber mindestens schreibt Heftrich Bondy einen "Groll auf das Sowjetimperium" zu, auch wenn er dem System lieber als IM diente statt ins Gefängnis zu gehen. Vodseďálek wiederum liebte den Stolz der "Margeriten in der Ukraine". Beides macht die Texte für den Rezensenten umso aktueller: Bondy beispielsweise erkannte schon früh die faschistischen Züge der Sowjetunion. Dass sich der Verleger, Übersetzer und Kommentator Ondřej Cikán des Kētos Verlags dieser Wiederentdeckung im Alleingang angenommen hat, ist für den Kritiker das Sahnehäubchen dieser verdienstvollen Publikation. Wenige kleine Lücken im Kommentar verzeiht er da sofort.
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