Judith Hermann

Wir hätten uns alles gesagt

Frankfurter Poetikvorlesungen
Cover: Wir hätten uns alles gesagt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023
ISBN 9783103975109
Gebunden, 192 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Eine Kindheit in unkonventionellen Verhältnissen, das geteilte Berlin, Familienbande und Wahlverwandtschaften, lange, glückliche Sommer am Meer. Judith Hermann spricht über ihr Schreiben und ihr Leben, über das, was Schreiben und Leben zusammenhält und miteinander verbindet. Wahrheit, Erfindung und Geheimnis - Wo beginnt eine Geschichte und wo hört sie auf? Wie verlässlich ist unsere Erinnerung, wie nah sind unsere Träume an der Wirklichkeit.Wie in ihren Romanen und Erzählungen fängt Judith Hermann ein ganzes Lebensgefühl ein: Mit klarer poetischer Stimme erzählt sie von der empfindsamen Mitte des Lebens, von Freundschaft, Aufbruch und Freiheit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 29.04.2023

Im besten Sinne "ziemlich uncool" findet Rezensent Dirk von Petersdorff Judith Hermanns Frankfurter Poetikvorlesungen, die ihm einen Einblick geben in die schöpferische Kraft, die die Autorin dem Erzählen idealistisch zuschreibt. Dass sie zwischen Erzähldrang und dem nicht Sagbaren einen Kompromiss findet und von ihrer schwierigen Kindheit, einer Psychoanalyse oder einem verstorbenen Freund schreibt und den eigentlichen Kern des Geschehen dabei immer nur umreißen kann, macht für ihn eine große Faszination und Stärke in Hermanns Werk aus. Auch wenn die Vorlesungen private Themen behandeln, sind für Petersdorff dennoch in vielerlei Hinsicht auch allgemeinere Schlussfolgerungen und Gegenwartsdiagnose möglich. Den Auftrag, mit ihren Poetikvorlesungen "Interessantes zur Gegenwartsliteratur" beizutragen, hat sie auf jeden Fall erfüllt, findet er.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.04.2023

Als eine "Virtuosin des Verschleierns" erweist sich Autorin Judith Hermann für Rezensent Roman Bucheli auch in ihrem neuen Buch, das ihre Frankfurter Poetikvorlesungen in einem Band vereint. Hermann schreibt über eine zufällige nächtliche Begegnung mit ihrem früheren Psychoanalytiker, aber auch über ihre zerrüttete Familie, vor allem über den depressiven, cholerischen Vater, so Bucheli. Das Buch ist so zum einen eine psychologische Selbstanalyse, zum anderen ein Nachdenken über das Erzählen selbst, stellt der Kritiker fest. Hermanns Reflexionen verdichten sich dabei zu kunstvollen Erzählungen, lobt Bucheli. Dabei changiert die Autorin zwischen der Preisgabe ihrer Selbst und bewussten Auslassungen, kein Wunder, meint der Rezensent: die erlebten Schrecken der Kindheit entziehen sich dem sprachlichen Ausdruck und können nur als Unausgesprochenes zwischen den Zeilen mitschwingen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 21.03.2023

Endlich sind Judith Hermanns Frankfurter Poetikvorlesungen erschienen, freut sich Helmut Böttiger in einer ausführlichen wie beeindruckten Rezension. Ihn erinnern die drei Texte sehr an die Erzählungen der Autorin, deren Protagonistinnen immer nah an ihr selbst dran sind und die hier nun von der schwierigen Kindheit mit einem depressiven Vater, einer langen Psychoanalyse und einem späteren Wiedersehen mit ihrem Therapeuten schreibt. Immer so, dass Böttiger sich anerkennend fragt, was stattgefunden hat und was ihrer Fantasie entsprungen ist. Im Kreisen darum, Unerzählbares, Prägendes zu erzählen, wird die Autorin ihrem Anspruch, so zu schreiben, "dass am Ende nichts mehr richtig ist, aber alles wahr", absolut gerecht, schließt der begeisterte Rezensent. 

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.03.2023

Rezensent Volker Weidermann trifft sich mit Judith Hermann zum sehr persönlichen Gespräch im Café am Neuen See im Berliner Tiergarten, es ist das erste Gespräch nach Hermanns nun als Buch veröffentlichten Frankfurter Poetikvorlesungen und zu Beginn noch ein wenig holprig, wie Weidermann mitteilt. Bald aber spricht er mit der Autorin über die Traumata der Kriegsenkel, schweigend verbrachte Therapiestunden, den Großvater, der bei der Totenkopf-SS war oder den schwer depressiven Vater, der ihr im Alter von vier Jahren das Lesen beibrachte und nur glücklich war, wenn er an den Krieg erinnert wurde. Es sind diese Themen, die Hermann in ihrer Poetikvorlesung erstmalig veröffentlichte - und nun mit "unglaublicher Energie, Schönheit, Brutalität und Strahlkraft" niedergeschrieben hat, wie der Kritiker bewundernd schreibt. Sicher, die Tatsache, dass die Autorin die Geheimnisse, die den Kern ihres Schreiben bisher ausmachten, nun gelüftet hat, bedeutet eine "Zäsur" - aber die "Notwendigkeit" des Textes ist auf jeder Seite zu spüren - und an Poesie hat Hermann auch nichts verloren, versichert der Rezensent. 

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2023

Rezensentin Emilia Kröger mag den besonderen Judith-Hermann-Sound und freut sich, diesem "unergründlichen" Stil nun auch mit den hier enthaltenen Poetikvorlesungen aus Frankfurt näher auf den Grund gehen zu können. Private Details, etwa zum an Depressionen erkrankten Vater oder zur distanzierten Mutter, spielen im Schreiben ebenso eine Rolle wie die bei der Autorin immer auftretenden Leerstellen im Erzählten, die das Publikum mit der eigenen Fantasie füllen muss, resümiert Kröger. Gern hätte die Rezensentin allerdings mehr von Hermann über die ihr Schreiben bestimmende Kurzform der Erzählung erfahren. Stattdessen denkt die Autorin mehr über Inhalt und Schreibprozess nach, der bei ihr meist mit einem "Initialsatz" einsetzt. Die Kritikerin empfiehlt das Buch allen, die die Geheimnisse um Judith Hermanns Schreibstil, ihre Lücken und die zündenden Sätze ein Stück weit aufdecken wollen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.03.2023

Klugheit und Poesie entdeckt Rezensentin Sigrid Löffler in Judith Hermanns Frankfurter Poetikvorlesungen, die nun als Buch erschienen sind. Die drei Prosastücke lassen sich keinem festen Genre zuordnen, schreibt die Kritikerin. Das Hauptthema der Vorlesungen bildet die Analyse ihrer zerrütteten Familiengeschichte und die Schilderung des an Depressionen leidenden Vaters. Bemerkenswert ist für Löffler die Menge an biografischem Material, das die Autorin in die Texte einfließen lässt. Ein gekonntes "verhüllendes Enthüllungsspiel" treibt die Autorin mit dem Leser, wenn sie gleichzeitig persönliches preisgibt, um es im nächsten Moment als literarisches Konstrukt zu entlarven. So stellen die Texte vor allem eine Reflexion auf das Verhältnis zwischen Kunst und Leben dar. Eine neue "herzzereißende" Seite offenbart die Autorin bei der Schilderung ihres kranken Vaters und schafft es dennoch, nicht in Kitsch abzudriften, lobt Löffler.
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