Julia Schoch

Mit der Geschwindigkeit des Sommers

Roman
Cover: Mit der Geschwindigkeit des Sommers
Piper Verlag, München 2009
ISBN 9783492052528
Gebunden, 150 Seiten, 14,95 EUR

Klappentext

Vor allem die Frauen waren übermütig, ihre Gesichter leuchteten, und ihr Lachen hörte man die ganze Nacht hindurch. Als hätte ihnen nun der Lauf der Geschichte, die Auflösung unseres Staates, ein Argument für ein eigenes Leben gegeben. Meine Schwester aber, die in der Abgeschiedenheit der Kiefernwälder und des Stettiner Haffs von der Freiheit geträumt hatte, hatte noch nichts, das sich zu verlassen lohnte. Nur die Familie, den Ehemann. Aber sie blieb, traf sich wieder mit ihrem alten Liebhaber und gab sich fast schwärmerisch der verlockenden Vorstellung hin, dass in diesem anderen Staat ein anderer Lebenslauf für sie bereitgestanden hätte. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich ihre verhängnisvolle Entscheidung vielleicht rückgängig machen können.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.03.2009

Etwas "taub" kommt der Rezensentin Katrin Hillgruber dieser Roman von Julia Schoch vor. Hierin, erfahren wir, lässt die Autorin ihre namenlose Ich-Erzählern den Versuch unternehmen, den Tod ihrer älteren Schwester nachzuvollziehen, die sich in New York das Leben genommen hat. Zum ersten Mal hatte diese Schwester, die sich nie hat einfinden können in das desillusionierte Deutschland der Nachwendezeit, die "gespenstische" Garnisonsstadt im tiefen Osten verlassen. Und damit auch den Mann, die Kinder, den Geliebten. Durch den tastenden und stockenden Erzählstil, den Schoch der zurückgelassenen Schwester in den Mund legt, fühlt sich die Rezensentin erinnert an den Nouveau Roman. Aber obwohl Hillguber einige Beobachtungen entdecken kann, die ihr "beinah lyrisch" vorkommen, findet sie die Autorin sprachlich zu zurückhaltend. Auch die Figuren sind der Rezensentin zu prototypisch angelegt, um wirkliches Interesse zu wecken.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.2009

Das Desinteresse der Autorin an psychologischer Plausibilität und der konsequente Verzicht auf Namen von Orten und Personen in diesem Roman können Jochen Hieber den Lektüregenuss nicht verderben. Zu bestechend erscheint ihm die von Julia Schoch mit "emphatischer Lakonie" geschaffene Atmosphäre. Die Vagheit der Schicksalsgeschichte um zwei Schwestern und eine vergangene Liebe in der Mecklenburger Provinz verwandelt sich dank des in Hiebers Ohren unverwechselbar tönenden strengen und sensiblen Schoch-Sounds in "existenzevidente" Prosa. Für Hieber wird das Buch so zum Nachruf auf eine aus freien Stücken aus dem Leben geschiedene Frau und ein ohne Nostalgie verhandeltes Stück ostdeutscher Kindheit und Jugend.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.03.2009

Rainer Moritz ist "ungemein" beeindruckt von Julia Schochs zweitem Roman. Hierin, teilt der Rezensent mit, betrauert eine Frau den Tod ihrer Schwester, die in New York Selbstmord begangen hat. In reflektierenden Erinnerungen versucht die Ich-Erzählerin nun, die Tat nachzuvollziehen; sie erinnert sich an die Kindheit in einer ostdeutschen Stadt nahe der polnischen Grenze, die Enge der DDR, die Euphorie von 1989 und die Desillusionierung, die folgte. Während die Erzählerin die Welt bereist, so erfahren wir, ist die Schwester stets in der Heimatstadt geblieben, mit Mann und Kindern, schließlich mit einer Affäre. Das alles, findet Moritz, erzählt Julia Schoch dicht und "poesiegeladen", auf intensive, aber nicht angestrengte Weise.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.03.2009

Jochen Schimmang bewundert die geschliffene und präzise Prosa, mit der Julia Schoch die Geschichte einer Frau ins Werk setzt, die sich mit dem Fall der Mauer um ihren Lebensentwurf gebracht sieht und sich bestürzend konsequent in der Postwendezeit im fernen New York für den Freitod entscheidet. Der knappe und dichte Roman bezieht seine fragile Atmosphäre nicht zuletzt aus dem soldatisch geprägten Milieu einer mecklenburgischen Garnisonsstadt, deren untergegangene Tristesse die Autorin zum Leuchten bringt, so der Rezensent, der sich an Benns Ausruf: "Nichts Träumerisches als eine Kaserne!" erinnert fühlt. Schoch schildere mit diesem "todtraurigen, überaus schönen Buch" auf merkwürdig geräuschlose Weise den gewaltsamen Abbruch von Beziehungen zwischen den namenlos bleibenden Individuen und dem Fortgang der Welt, so Schimmang.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.03.2009

Iris Radisch fröstelt es gewaltig bei dieser Geschichte zweier ostdeutscher Schwestern, von denen die eine nach dem Mauerfall gen Westen entschwindet, während die andere in einem trostlosen Hausfrauenleben verharrt, das weder Liebhaber noch Flucht nach New York vor dem Selbstmord bewahrt. Aufgewachsen sind die Schwestern als Töchter eines NVA-Offiziers in einer künstlich aus dem Boden gestampften Militärsiedlung, ein biografischer Hintergrund, der auch auf die Autorin zutrifft, wie die Rezensentin weiß. Die Atmosphäre des Kalten Krieges und der "Ereignislosigkeit einer historischen Zwischenkriegszeit" prägen diesen Roman, der in den Augen Radischs vor allem vom kühlen, distanzierten Blick der Erzählerin lebt, der in auffälligem Gegensatz zum "menschelnden Thema" stehe. Eindringlich führe die unterkühlte Erzählweise die "Auslöschung des Nestgefühls" in einem von zwei aufeinander folgenden Diktaturen gezeichneten Land vor Augen, lobt die Rezensentin, die hier ein beeindruckendes Gegenstück zur "ausladend heimatkundlichen" Romanwelt eines Uwe Tellkamp erkennt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.03.2009

Höchstes Lob spendet Ijoma Mangold Julia Schochs Roman "Mit der Geschwindigkeit des Sommers". Darin erzählt eine namenlose Ich-Erzählerin, deren biografischer Hintergrund dem der Autorin nicht unähnlich sei, die Geschichte ihrer Schwester, deren Leben mit dem Untergang der DDR aus dem Lot geraten ist und Jahre später im Selbstmord endet. Großartig schildere die Autorin die trostlose Welt der Plattenbausiedlung für NVA-Angehörige und ihre Familien in einem dünn besiedelten Landstrich in Mecklenburg-Vorpommern, und es gelinge ihr, gänzlich unsentimental die wechselseitige Durchdringung von Landschaft und Zeitgeschichte anschaulich zu machen, preist der Rezensent. Weder die DDR noch das wiedervereinigte Deutschland hat die Sympathien der Erzählerin und nach Ansicht Mangolds schlägt die Autorin gerade aus diesem Zwiespalt intellektuelle Funken. Schoch glückt mit diesem Roman ein überzeugendes "Psychogramm" vieler Ostdeutschen im wiedervereinigten Deutschland, lobt Mangold nachdrücklich, der es deshalb nicht gravierend findet, dass die individuelle Geschichte der Schwester viel weniger interessant ist als die "politische Geschichte dieser Landschaft".
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