Lauren Groff

Die weite Wildnis

Roman
Cover: Die weite Wildnis
Claassen Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783546100359
Gebunden, 288 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs.  Ein Mädchen allein, frierend, auf der Flucht. Hinter ihr liegen Hungersnot und die Brutalität der Menschen, unter denen sie aufgewachsen ist; um sie herum fremdes Land und seine Bewohner, die sie fürchtet, weil sie es so gelernt hat; vor ihr das Unbekannte. Nordamerika im frühen 17. Jahrhundert: Englische Siedler, fromm, überheblich und fähig zur schlimmsten Gewalt, nehmen das Land in Besitz. Das Mädchen gehörte zu ihnen, doch nun ist sie allein. Die Wildnis ist hart, sie kämpft ums Überleben und beginnt, infrage zu stellen, was man ihr beigebracht hat. Haben die Menschen hier nicht ihre eigenen Götter, ihre eigenen Namen für die Dinge? Wozu brauchen sie die Europäer? Ist sie nicht selbst nur ein fremdes, zerbeultes Wesen in einer Welt, die ihrer nicht bedarf? Und während sie die Natur zu lesen lernt, wächst etwas Neues in ihr: ein anderer Sinn, eine Liebe, die nicht besitzergreifend ist.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 14.12.2023

Brandaktuell ist Lauren Groffs Roman über den Weg eines 16-jährigen Mädchens in die amerikanische Wildnis für Rezensentin Dorothea Westphal. Dabei ist die Handlung im 17. Jahrhundert angesiedelt, die Hauptfigur hat bereits ein entbehrungsreiches Leben hinter sich und vor allem Männer kennen und fürchten gelernt, erfahren wir. Die Protagonistin lernt die Natur laut Westphal fürchten, aber sie genießt auch die Freiheit, die sich ihr offenbart. Der Roman greift Themen der klassischen Abenteuerliteratur auf, wendet sie aber konsequent ins Weibliche, wodurch die Gewalt der Landnahme durch die Siedler, insbesondere auch gegen die Ureinwohner, in den Blick kommt, lobt die Rezensentin. Ganz eins wird auch Groffs Hauptfigur nicht mit der Natur, führt Westphal aus, aber sie ermöglicht den Blick auf ein anderes, utopisches Pioniertum.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.10.2023

Rezensentin Susanne Romanowski porträtiert sowohl Lauren Groffs neues Buch als auch deren Arbeitsprozesse: So hat die Autorin ihr neuestes Werk insgesamt neun Mal geschrieben, jeweils handschriftlich, die vorherigen Textversion schaut sie nie wieder an, es soll nur das bleiben, was wirklich gut ist, erklärt sie Romanowski. Der Roman handelt von einem jungen Mädchen, genannt Lamentatio, die 1610 in der Kolonie Jamestown Gewalt, Patriarchat und Hunger erfährt, erfahren wir, schnell flieht sie und muss sich in einem Überlebenskampf durchschlagen, der die Kritikerin bisweilen an Marlen Haushofers "Die Wand" erinnert. Die Perspektive auf den Kolonialismus sagt ihr weniger zu, zu sehr Projektionsfläche, meint sie, die intensive Sprache droht nur momenthaft in Kitsch abzutauchen, aber der "Kontrast zwischen Kindergebeten und Pragmatismus" geht Romanowski nahe. Sie ist schon gespannt, wie Groff diesen zweiten Band einer als Triptychon geplanten Reihe fortsetzen wird, schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.10.2023

Rezensentin Sarah Pines freut sich über "einen hinreißenden Roman", der endlich auch die Kehrseite der amerikanischen Siedler- und Gründungsmythen in den Blick nimmt, wie sie meint. Lauren Groffs Protagonistin ist die Leibeigene einer Londoner Familie, die mit nach Virginia übersiedelt, Lamentatio heißt sie, und flieht vor Hungersnot und Gewalt - auch von diesem Überlebenskampf handelt das Buch. Im Gespräch mit der Autorin erfährt Pines, dass diese dem Narrativ der menschlichen Naturbeherrschung eine Geschichte davon entgegensetzen wollte, wie es ist, ein Teil der Natur zu werden, fast animalische Züge anzunehmen - und sich mit weiblicher Wut auch männlicher Verfügungsgewalt zu widersetzen. Zu ausbeuterisch ist Groff das Verhalten der Menschen, erklärt die Rezensentin, darum ist auch dieser zweite Teil einer als Triptychon angelegten Reihe die "Geschichte einer Unsichtbaren", resümiert die Kritikerin.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 10.10.2023

"Schrecklich schön", nennt Rezensentin Tanya Lieske den neuen Roman von Lauren Groff, der allerdings nichts für zarte Gemüter ist, wie die Kritikerin vorwarnt. Sie folgt hier einem namenlosen Waisenmädchen im 17. Jahrhundert durch die titelgebende Wildnis: Jenes Mädchen war als Londoner Findelkind in ein Fort der Britischen Siedler geraten, hatte tödliche Krankheiten, Hunger und Kannibalismus erlebt und irrt nun, von Halluzinationen getrieben, durch die Natur, erfahren wir. Allein wie Groff die Sprache des Mädchens - ein elisabethanisches Englisch -  oder die Diskurse der theologischen Neuzeit gestaltet, ringt Lieske Anerkennung ab. Vor allem aber ist dieses Ausnahmewerk "klug gestaltete Bewusstseinsprosa", die den Leser ganz in ihren Bann zieht, versichert die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 30.09.2023

Ein "riskantes Unterfangen" nennt Rezensent Wieland Freund den erzählerischen Ansatz in Lauren Groffs neuem Romen - riskant sowohl für seine junge Protagonistin, die sich hier, ganz auf sich allein gestellt, auf eine Reise durch die Wildnis begibt, um hoffentlich an einem besseren Ort wieder herauszukommen. Riskant aber auch für die Autorin, bedient sie doch mit "Die weite Wildnis" ein gewichtiges und ein herausforderndes Genre - die Robinsonade. Doch auch wenn sich Freund mit explizitem Lob zurückhält, spricht aus seiner knappen Interpretation doch eine Menge Bewunderung dafür, wie es Groff gelingt, sich die Form der Robinsonade anzueignen und sie zu aktualisieren. Zum ersten ist ihre Hauptfigur kein Mann im besten Alter, sondern ein Mädchen. Noch wichtiger jedoch: Im Gegensatz zu Daniel Defoes Version steht hier am Ende nicht der Triumph der Kultur über die Natur, die Beherrschung der Wildnis durch den Menschen, sondern umgekehrt: Das Eingehen des Subjekts in die Natur. "Persönliche Auswilderung" nennt Freund das. Damit stellt Groff die klassische Defoe'sche Robinsonade sozusagen auf den Kopf - oder sollte man besser sagen: Vom Kopf auf die Füße?