Maxim Biller

Mama Odessa

Roman
Cover: Mama Odessa
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2023
ISBN 9783462004861
Gebunden, 240 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Die Welt der russisch-jüdischen Familie aus Hamburg, um die es in Maxim Billers neuem Roman "Mama Odessa" geht, ist voller Geheimnisse, Verrat und Literatur. Wir lesen aber auch ein kluges, schönes und wahrhaftiges Buch über einen Sohn und eine Mutter, beide Schriftsteller, die sich lieben, wegen des Schreibens immer wieder verraten - und einander trotzdem nie verlieren. Biller spannt einen Bogen vom Odessa des Zweiten Weltkriegs über die spätstalinistische Zeit bis in die Gegenwart. Alles hängt bei der Familie Grinbaum miteinander zusammen: das Nazi-Massaker an den Juden von Odessa 1941, dem der Großvater wie durch ein Wunder entkommt, ein KGB-Giftanschlag, der dem Vater des Erzählers gilt und die Ehefrau trifft, die zionistischen Träumereien des Vaters, der am Ende mit seiner Familie im Hamburger Grindelviertel strandet, wo nichts mehr an die jüdische Vergangenheit des Stadtteils erinnert - und wo er aufhört seine Frau zu lieben, um sie wegen einer Deutschen zu verlassen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.10.2023

Äußerst angetan ist Rezensent Volker Weidermann von Maxim Billers Roman. Leicht verfremdet erzählt dieser die Lebensgeschichte von Rada Biller, der Mutter des Autors. Die war, lernen wir, selbst Schriftstellerin, hatte jedoch lange nicht die Möglichkeit, ihre Texte zu veröffentlichen. Weidermann nennt das Buch eine Liebesgeschichte, in der es auch darum gehe, wie der Sohn sich gegen eine feindliche Umwelt schützt, indem er seinen Hass kultiviert. Die Mutter im Buch freut sich laut Kritiker, dass der Sohn an ihrer statt zum Schriftsteller wird, findet aber auch, dass er ihr gelegentlich die Themen stiehlt, etwa wenn es um seinen Vater geht. Vielschichtig und ehrlich ist dieses Buch, lobt der Rezensent, im Blick auf die Mutter, die oft allein und einsam bleibe, und auf den Sohn, der lerne, seiner Umwelt gegenüber hart zu werden. Es ist dieses Wechselspiel von mütterlicher Prosa und Fortschreibungen des Sohnes im Leben, das Weidermann besonders für das Buch einnimmt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.08.2023

Um die Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens auch angesichts historischer Schrecken dreht sich laut Rezensentin Judith von Sternburg Maxim Billers neuer Roman. Unter anderem geht es, führt sie aus, um Briefe, die ihre Adressaten nicht erreichen, aber trotzdem gelesen werden wollen. Und um eine Schreibkonkurrenz: Der Erzähler Mischa ist Schriftsteller, seine Mutter meint, er habe ihr einen Stoff für ihr eigenes Buch geschrieben. Tatsächlich, führt Sternburg aus, wird die Mutter im hohen Alter ebenfalls noch Schriftstellerin, wie auch Billers eigene Mutter Rada, die über 70 Jahre alt war, als sie ihr Romandebüt veröffentlichte. Als einen Roman über eine schreibende Familie liest von Sternburg Billers Buch gern, als "Schlüsselroman" über den Literaturbetrieb weniger. Insgesamt ein "gut gearbeitetes Mosaik", resümiert die angetane, aber nicht restlos begeisterte Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.08.2023

Rezensentin Emilia Kröger entdeckt nichts Neues in Maxim Billers neuem Roman. Das Thema der Emigration und des Leidens an der ungeliebten neuen Heimat Deutschland, dazu ein rühriger wie bissiger, mit allerhand autobiografischen Details gespickter Blick auf die jüdische Familie, der Verletztheit signalisiert - alles wie gehabt, meint sie. Doch auch nicht so schlecht, scheint sie zu denken. Dieser "Biller-Evergreen" in Episoden ist kurzweilig und unterhaltsam, so Kröger.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.08.2023

Rezensent Ulrich Gutmair will Maxim Billers Roman gar nicht aus der Hand legen. Wie in vorherigen Romanen lässt Biller hier Teile seiner Familiengeschichte miteinfließen, lesen wir. Was Fiktion und was Fakt ist, lässt sich irgendwann kaum mehr auseinander halten und so lässt der Autor die Frage nach der Authentizität des Geschilderten "elegant ins Leere" laufen, freut sich Gutmair. Es geht um Mischa, dessen Familie aus dem Ostblock nach Deutschland emigrierte. Dieser erzählt aus der Ich-Perspektive von seiner Mutter, deren später Berufung zur Schriftstellerin und ihrer komplizierten Beziehung zum Vater. So viele überraschende Wendungen und unterschiedliche Perspektiven gibt es hier, dass dem Rezensenten beinahe etwas schwindlig wird, das ist aber positiv gemeint. Das Leben ist schließlich genau so komplex, meint Gutmair. In diese Welt lässt es sich vorzüglich eintauchen, aber gleichzeitig wird man als Leser angehalten, die eigenen Entscheidungen zu reflektieren: das "radikal unmoralische" Buch eines "großen Moralisten", so der beeindruckte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.08.2023

Rezensentin Julia Encke setzt Maxim Billers neues Buch mit einem Text in Beziehung, den der Autor kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 und damit vor dem besprochenen Roman verfasst hat. Der nun erschienene Roman, stellt Encke klar, wurde auch nachträglich nicht angepasst, um die aktuellen Ereignisse in der Ukraine zu reflektieren. Eben darin offenbart sich für Encke die Macht der Literatur, Vergangenheit jenseits der Verwerfungen der Gegenwart zu verhandeln. Erzählt wird eine Mutter-Sohn-Geschichte, die damit beginnt, dass der Sohn einen alten, nicht abgeschickten Brief der Mutter findet. Ausgehend von dieser verspätet übermittelten Botschaft entfaltet sich eine die politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts und insbesondere das Schicksal der europäischen Juden reflektierende Familiensaga zwischen Hamburg, Odessa und Tel Aviv, die Encke fast durchweg begeistert. Besonders schwärmt sie von Billers Fähigkeit der poetischen Verdichtung, die etwa in seiner hochgradig reduzierten Darstellung des Tolbuchinplatz-Massakers in Odessa im Jahr 1941 durchschlägt. Lediglich eine Passage im Stil der "Unter den Linden"-Kolumne des Autors, in der eine Ulf Poschardt nachempfundene Figur auftaucht, stört Enckes ansonsten außerordentliches Leseglück.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 18.08.2023

Rezensent Carsten Hueck kennt derzeit keine vergleichbar zärtliche Mutter-Sohn-Story wie diese von Maxim Biller. Dabei bietet Billers neuer Roman eigentlich wenig Neues. Wie immer erzählt Biller laut Hueck von den kleinen und großen Dramen in einer Familie, die in der jüdischen Diaspora lebt und sich dauernd zurücksehnt in ihr Schtetl. Von dieser Sehnsucht und diesem Schmerz weiß allerdings keiner so eindringlich und witzig zu erzählen wie Biller, versichert der Rezensent. Protagonist Mischa, der Romane schreibt, um seinem Dasein Stabilität zu verleihen, verkörpert die romantische Sehnsucht wie kein Zweiter, findet Hueck.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.08.2023

Ein Meisterwerk ist Maxim Billers neuer Roman für Rezensentin Marlene Knobloch, soviel verrät bereits der Teaser zu seiner Kritik. Der äußerst produktive Literat nimmt ja im Allgemeinen selten ein Blatt vor dem Mund, meint die Rezensentin; das neue Buch allerdings ist für sie der beste Beweis dafür, dass Biller keineswegs als lautsprecherischer Polemiker abgestempelt werden darf. Es ist vielmehr gerade das leise und zarte, was Knobloch an der Geschichte begeistert. Über alle Maßen angetan ist sie insbesondere vom Romaneinstieg. Schlichtweg großartig findet sie, wie Biller auf wenigen Seiten eine vielschichtige und historisch beziehungsweise Familiensaga andeutet, die im Folgenden in leisen Tönen und mit viel Gespür für die Figuren aufgefaltet werde. Erzählt wird aus der Perspektive von Mischa, der meist nicht viel mehr macht, als auf dem Sofa zu liegen und über seine Mutter zu reflektieren. Diese Mutter, Aljona Grinbaum, ist mit ihrer von Migration und politischer Verfolgung geprägten Biografie das eigentliche Zentrum des Buchs. Nie verläuft sich der Roman, führt die durchweg begeisterte Rezensentin aus, in der durchaus komplexen historischen Gemengelage - und zwar, weil es Biller gelinge, all die diversen narrativen Stränge, die unter anderem zum KGB, zu den Nazis und nach Israel führen, stets auf die zentrale Mutter-Sohn-Konstellation zurück zu binden.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.08.2023

Rezensent Roman Bucheli hofft inständig, dass Maxim Biller sein Gelübde, er werde nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nichts mehr schreiben, nicht einhalten wird. Denn dieses Buch, dass der Autor kurz vor dem Krieg fertig stellte, ist laut Bucheli von einer "existenziellen Wucht", wie sie ihm noch selten untergekommen ist. Der Erzähler des autobiografisch geprägten Romans ist in Odessa geboren und emigriert als Kind mit seiner Familie nach Deutschland, lesen wir. In einer "späten, fast rabiaten Liebeserklärung" an seine Mutter, die am Schmerz über den Verlust der Heimat beinahe zu Grunde geht, arbeitet der Protagonist sein schwieriges Verhältnis zu ihr auf. Billers Roman ist gleichzeitig ein "Hymnus" auf die von den russischen Bomben bedrohte Stadt Odessa. Ein Text, der von "großem Humanismus" zeugt, schließt der beeindruckte Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 12.08.2023

Rezensentin Marianna Lieder scheint erleichtert, dass Maxim Biller doch noch schreibt, obwohl er immer gerne laut von der Sinnlosigkeit der Literatur spricht. Der neue Roman erinnert sie an Billers frühere Texte, weil der Autor wieder an seiner Biografie entlang schreibt, wenn er seinen Ich-Erzähler Mischa die Geschichte seiner einst aus Odessa nach Hamburg ausgewanderten Familie erzählen lässt. Genauer geht es laut Lieder um ein "Mutter-Sohn-Drama", um Paranoia und Rivalitäten und um ein bisschen Zärtlichkeit auch. Das ganze ist bei Biller natürlich gespickt mit literarischen Referenzen von Philip Roth bis Böll und hat jede Menge Witz und Traurigkeit, versichert Lieder.