Michael Köhlmeier

Das Philosophenschiff

Roman
Cover: Das Philosophenschiff
Carl Hanser Verlag, München 2024
ISBN 9783446279421
Gebunden, 224 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Zu ihrem 100. Geburtstag lädt die Architektin Anouk Perleman-Jacob einen Schriftsteller ein und bittet ihn darum, ihr Leben als Roman zu erzählen. In Sankt Petersburg geboren, erlebt sie den bolschewistischen Terror. Zusammen mit anderen Intellektuellen wird sie als junges Mädchen mit ihrer Familie auf einem der sogenannten "Philosophenschiffe" auf Lenins Befehl ins Exil deportiert. Nachdem das Schiff fünf Tage und Nächte lang auf dem Finnischen Meerbusen treibt, wird ein letzter Passagier an Bord gebracht und in die Verbannung geschickt: Es ist Lenin selbst.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.03.2024

Rezensentin Emilia Kröger empfiehlt gern den neuen Roman von Michael Köhlmeier. Gekonnt, so die Rezensentin, sind die Rahmen- und die Binnenerzählung miteinander verwoben. Der Text handelt von der Architektin Anouk Perleman-Jacob, die den anfangs wenig interessierten und leicht misstrauischen, doch bald auf eigene Faust weiter recherchierenden Erzähler um die Aufzeichnung ihrer Familiengeschichte bittet. In regelmäßigen Sitzungen berichtet sie von der 86 Jahre zurückliegenden Ausweisung ihrer Eltern aus Sowjetrussland und der Fahrt auf einem "Philosophenschiff", mit dem den Bolschewiken unliebsame Intellektuelle deportiert werden. Dabei werden laut der Rezensentin historische Begebenheiten fiktionalisiert, ohne dass allen Details reale Ereignisse zugrunde lägen: Besagte Schiffe gab es tatsächlich; Lenin, dem die damals junge Perleman-Jacob an Bord begegnet, ist damit nicht ausgereist. Kröger lobt den gelungenen Spannungsbogen des Romans. Allein der ausufernde, allzu anekdotische Stil der Gespräche mindert ihr zufolge das Lesevergnügen ein wenig.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.02.2024

Eine ausführliche Besprechung widmet Rezensent Paul Jandl dem neuen Roman von Michael Köhlmeier, der zwischen "historia" und "fabula" oszilliert. Der Erzähler trägt den gleichen Namen wie der Autor und soll die Lebensgeschichte der hundertjährigen Anouk Perleman-Jacob aufschreiben, sie war als Jugendliche gemeinsam mit ihren Eltern auf einem der sogenannten "Philosophenschiffe" aus Russland exiliert worden. Diese Schiffe hat es wirklich gegeben, lernt Jandl, sie sollten in der noch jungen Sowjetunion dazu dienen, die unliebsame Intelligenzia außer Landes zu bringen. Dass Anouk auf diesem Schiff auch auf den gealterten Lenin trifft, ist Produkt der Köhlmeier'schen Fantasie,  das aber in seiner Beschäftigung mit den Gefahren von Revolution und Macht voll und ganz zu überzeugen weiß, schließt der Kritiker.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.02.2024

In seinem neuen Roman lässt Michael Köhlmeier den Schriftsteller Michael auf die hundertjährige russisch-jüdische Architektin Anouk treffen, die ihn überraschend zu ihrem Geburtstag eingeladen hatte, resümiert Rezensentin Judith von Sternburg. Anouk will von Michael, einem im besten Sinne als fabulierend geltenden Schriftsteller, dass er ihre Lebensgeschichte aufschreibe. Anouk wurde mit ihren Eltern 1922 mit anderen Intellektuellen per Schiff aus Russland deportiert. Auf dem befindet sich auch der schwerkranke Lenin, der mit Anouk ein reges Gespräch über Macht beginnt. Köhlmeier gelinge es in diesem Buch die Grundstruktur des Terrors zu erfassen: dieser funktioniere nur mit der Zerstörung des Verstands, resümiert die Kritikerin. Auch gegenwärtige linksradikale Strömungen stellt er dem lenistischen und stalinistischen Terror gegenüber. Ein anregendes Buch, urteilt die Kritikerin abschließend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.02.2024

Hymnisch bespricht Rezensent Karl-Markus Gauß den neuen Roman von Michael Köhlmeier, der ihn auf eines der sogenannten Philosophenschiffe führt, die auf Lenins Anordnung unliebsame Wissenschaftler, Künstler und Ärzte außer Landes bringen sollten. Auf jenem Schiff aber, das Köhlmeier mit zwei Dutzend Passagieren in See stechen lässt, befindet sich Lenin höchstselbst, verrät der Kritiker. Er folgt hier einem Alter Ego des Autors, der sich mit der berühmten Architektin Anouk Perleman-Jacob trifft. Anouk, inzwischen hundert Jahre alt und von Köhlmeier mit biografischen Details der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky ausgestattet, erzählt dem von ihr einberufenen Schriftsteller ihre Lebensgeschichte: Im Alter von vierzehn Jahren befand sie sich selbst mit ihren bolschewistischen Eltern auf dem Schiff, entdeckte dort als einzige Passagierin Lenin, dem sie Nächte lang lauschte - bis Stalin ihn ins Meer werfen ließ, resümiert Gauß. Allein wie Köhlmeier Fakten und Fiktion verwebt, findet der Rezensent "furios". Darüber hinaus aber verfällt er ganz dem Sog des so klugen wie eleganten Erzähltons Köhlmeiers. Dass der Autor die Kunst des Erzählens nicht nur beherrscht, sondern in seinem "durchtriebenen Spiel von Wahrheit und Erfindung" auch immer wieder thematisiert, ist für Gauß ein zusätzlicher Gewinn dieses virtuosen Romans.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.02.2024

Ein interessantes Spiel mit den Möglichkeiten der Fiktion liest Rezensent Michael Eggers in Michael Köhlmeiers neuem Roman, in dem ein namenloser Ich-Erzähler, von Beruf Schriftsteller, die Lebensgeschichte der hundertjährigen Anouk Perleman-Jacob aufzeichnen soll. Die alte Dame weiß genau, dass ihr Biograf es mit der Wahrheit nicht immer allzu genau nimmt, erfahren wir, und genau deshalb erzählt sie ihm, wie sie 1922 als 14-jährige mit einem der sogenannten "Philosophenschiffe" aus Russland exiliert wurde. Der Rezensent sieht in diesen Exodus-Bewegungen auch Parallelen zum Ukraine-Krieg. Dass Perleman-Jacob auf diesem Schiff den todkranken Lenin trifft, hat nun wiederum der reale Autor Köhlmeier seiner Geschichte angedichtet - dieses Spiel mit Historia und Fabula macht den Roman kraftvoll und für den Kritiker hochspannend.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 31.01.2024

Der Autor Köhlmeier ist nicht dafür bekannt, sich an historische Wahrheiten gebunden zu fühlen, erklärt Rezensentin Verena Auffermann. Dies sei auch in diesem Buch der Fall: die hundertjährige russische Architektin Anouk verlangt von ihm, dass er ihr Leben aufschreibe, besonders in der Zeit zwischen 1918 und 1922, in der sie und ihre intellektuelle Familie die Auswirkungen der Sowjet-Diktatur zu spüren bekamen und auf ein Schiff verschleppt wurden, referiert Auffermann. Dort trifft Anouk auf eine kranken, aber geisteswachen Lenin und unterhält sich mit ihm über Macht und Liebe. Während alle anderen Intellektuellen auf dem Schiff schweigen, versucht Köhlmeier zu ergründen, ob etwas "hinter der Lenin-Fassade" steckt, bemerkt Auffermann. Gleichzeitig zeichne er ein stimmiges Bild vom Scheitern der großen Idee des Kommunismus, auch wenn er Lenin zwei Jahre zu früh sterben lässt. Nun ja, dass Lenin mit einer 14-Jährigen über Macht diskutiert, ist ja auch nicht sehr wahrscheinlich. Aber so viel Flunkerei kann die Wahrheit schon vertragen, findet die amüsierte Kritikerin.