Momme Brodersen

Wo die Benjamins zu Hause waren

Verschüttete Erinnerung
Cover: Wo die Benjamins zu Hause waren
Transit Buchverlag, Berlin 2023
ISBN 9783887474072
Gebunden, 180 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Mauern zum Sprechen bringen: Unter diesem Motto hat sich Momme Brodersen, ein intimer Kenner von Leben und Werk Walter Benjamins, eingehend mit der Geschichte eines Hauses im vornehmen Grunewald beschäftigt, das die Familie Benjamin fast ein Vierteljahrhundert lang ihr Eigen nannte. In seinem Buch geht Brodersen den Lebensspuren nach, die hier die ehemaligen Besitzer, aber auch ihre Einlieger und Besucher hinterlassen haben: denen des Bildhauers Harro Magnussen, der das Gebäude einst errichten ließ; denen des Rentiers Emil Benjamin, über dessen Leben und einflussreiches Wirken man hier viel Unbekanntes erfährt; denen seiner Kinder Walter, Georg und Dora, die, in schwierigen wie konfliktreichen Zeiten, entscheidende Jahre ihres Lebens in der Delbrückstraße verbrachten; und nicht zuletzt denen der geschiedenen Ehefrau Walter Benjamins, der Journalistin und Schriftstellerin Dora Sophie Kellner, und ihres gemeinsamen Sohnes Stefan Benjamin. Mit den Nazis wurden die Mauern stumme Zeugen vom Schicksal der jüdischen Besitzer und Mieter, die emigrieren mussten oder am Ende in deutschen KZ's ermordet wurden. 1936 wurde das Anwesen arisiert. Sieben Jahre später legten es alliierte Bomber in Schutt und Asche. Alle Versuche der letzten jüdischen Eigentümerin, Dora Sophie Kellner, für den geraubten Besitz angemessen entschädigt zu werden, endeten mit einer "Wiedergutmachung", die dieses Wort nicht verdient.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 27.01.2024

Rezensentin Elke Schlinsog ist beeindruckt davon, wie Momme Brodersen mit seiner Geschichte eines Hauses deutsche Geschichte, "sogar Weltgeschichte", auferstehen lässt. Zwar hänge der Walter Benjamin-Kenner seine Ausführungen an der Geschichte des langjährigen Wohnsitzes der Familie Benjamin im Grunewald, in der Walter Benjamin selbst von 1911 bis 1930 (mit Unterbrechungen) wohnte, auf: Es geht um den Bau der burgartigen Villa durch den Bildhauer Harro Magnussen, um die Übernahme durch Walter Benjamins Vater und um die spätere Vereinnahmung und Zerstörung des Hauses durch die Nazis. Aber am Interessantesten seien dann doch die Geschichten seiner verschiedenen Bewohner oder Besucher, die Brodersen gekonnt einflechte und anhand derer sich konkrete Zeitgeschichte auftue, so Schlinsog: etwa im Fall der Mieterin Minna Krause oder von Kaiser Wilhelm II., der dort einmal empfangen wurde. Alldem liegen merklich gründliche Recherchen Brodersens zugrunde, so die Kritikerin, die außerdem die Verknüpfungen mit Benjamins Werk lobt. Ein bewundernswert konkretes Buch über Geschichte, schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.01.2024

Weniger Walter Benjamin selbst als dessen Vater Emil Benjamin steht im Zentrum des Buchs von Momme Brodersen über die Villa in Berlin Grunewald, die die Benjamins in den 1910er und 1920er Jahren bewohnten, so Rezensent Lothar Müller. So liest Müller bei Brodersen unter anderem über die Geschäftstätigkeit und die Kunstsammlung des Vaters, aber auch über das schwierige Verhältnis zum Sohn, der lange darauf bestand, vom Vater finanziert zu werden. Noch zahlreiche andere Bewohner des Anwesens tauchen in dem Buch auf, lernen wir, unter anderem Benjamins geschiedene Frau Dora Sophie Kellner, die die Villa nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten billig verkaufen musste, woraufhin diverse NS-Funktionäre einzogen. Besichtigen kann man die Wohnstatt der Benjamins nicht mehr: Ein Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstörte das Gebäude fast vollständig, wie Müller im Anschluss an Brodersen berichtet.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.12.2023

Rezensent Detlev Schöttker bedauert, dass Momme Brodersen in seinem Buch die Chance weitgehend ungenutzt lässt, Verbindungen zwischen Walter Benjamins Wohnungen in Berlin und seinen Texten herzustellen, laut Schöttker ein durchaus vielversprechendes Unterfangen. Immerhin: Brodersens quellenstarke Arbeit verschafft dem Rezensenten neue Erkenntnisse über Benjamins Leben im Grunewald zwischen 1912 und 1930, über das Haus in der Delbrückstraße und seine Geschichte. Dass dieses "Elternhaus" Benjamin die Arbeit als Privatgelehrter überhaupt erst ermöglichte, ist für Schöttker eine nicht unerhebliche Einsicht.
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