Necati Öziri

Vatermal

Roman
Cover: Vatermal
Claassen Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783546100618
Gebunden, 304 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

"Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie der letzte Sommer meiner Jugend war, bevor fast alle meine Freunde verschwunden sind. Du sollst wissen, wie es war, als deine alten Freunde mir auf die Schulter klopften und sagten, ich würde irgendwann werden wie du: Held einer gescheiterten Revolution. Ich werde diese Geschichten aufschreiben."Necati Öziri schreibt eine Familiengeschichte über einen Sohn, eine Mutter und eine Schwester, deren Leben und Körper gezeichnet sind von sozialen und politischen Umständen. Und er schreibt über einen abwesenden Vater.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 13.10.2023

"Salopp", wie mal eben elegant aus dem Ärmel geschüttelt, so wirkt Necati Öziris "Vatermal" auf Judith von Sternburg - zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten erkennt die Rezensentin, dass es sich tatsächlich um eine sorgfältig durchdachte Erzählung handelt, die eine bedrückende und "hochdramatische" Geschichte auf erfrischend humorvolle Weise erzählt. In locker lakonischem Ton, mit brillanten Dialogen durchsetzt, berichtet der sterbende Ich-Erzähler Arda aus seinem Leben und dem seiner Familie, die seit dem Verschwinden des Vaters immer weiter auseinanderbricht. Von der Alkoholsucht der Mutter zu lesen, ihrem Versuch, "deutscher als jede Deutsche" zu sein, von seiner Schwester, die sich von ihrer Familie abgewandt hat, von Ardas Ambitionen und vom Fehlen des Vaters, der im Buch vor allem als Leerstelle erscheint, das ist erschütternd und berührend, weil es authentisch ist. Und zwar nicht, da man einige Parallelen zwischen seinem Erzähler und seinem Autor vermuten darf, betont die hingerissene Rezensentin, sondern weil dieser Roman auf wahrhaft Wahrhaftiges erzählt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.10.2023

Necati Öziri kennt Rezensentin Jolinde Hüchtker schon als Theaterautor, sein erster Roman zeigt ihr, dass er auch die erzählende Sparte beherrscht: Im Zentrum steht Arda, Sohn türkischer Einwanderer, sein Vater kann das Leben in Deutschland irgendwann nicht mehr ertragen und geht zurück in die Türkei, obwohl dort ein Haftbefehl auf ihn wartet. Der abwesende Vater, der Hüchtker durchaus an Protagonisten von Fatma Aydemir und Deniz Utlu erinnert, ist dabei aber "nur der Umweg", über den Öziri eigentlich von den Müttern und Kindern erzählt. Es sind Geschichten über Rassismus, über jugendliche Träume und übers Alleingelassenwerden, die der Kritikerin in ihrer, wie sie lobt: lebensechten Sprache nahegehen. Auch die Rap-Bezüge, die für die Hauptfigur so wichtig sind, findet sie gelungen in den Roman eingebunden, der jetzt für den Deutschen Buchpreis und den Aspekte-Preis nominiert ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.09.2023

Rezensent Tilman Spreckelsen ist sehr angetan von Necati Öziris Roman über eine Jugend im Ruhrgebiet. Unter anderem geht es um Probleme, die die deutschen Behörden der Hauptfigur Arda bei dessen Einbürgerung bereiten und um die Art und Weise, in der Arda gleichzeitig die formalen Anforderungen fürs Deutschsein erfüllt und die fremdenfeindlichen Vorurteile, die ihm entgegenschlagen, aufgreift. Jahre später, so der Kritiker, sitzt der Protagonist am Bett seines sterbenskranken Vaters, den er nie richtig kennengelernt hatte. Von hier aus entfaltet sich der Roman laut Spreckelsen als ein Erinnerungsbericht, in den auch Unsicherheiten und Selbstbefragungen des Erzählers einfließen. Die Bedeutung des sterbenden Vaters, erst zentral für den Erzähler, verschiebt sich im Laufe des Romans zunehmend hin zu Mutter, Schwester und Freundinnen, registriert Spreckelsen, der hofft, dass wenigstens zu dritt noch eine richtige Familie aus ihnen wird.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 09.08.2023

Für die Rezensentin Shirin Sojitrawalla ist Necati Öziris Roman weit mehr als "postmigrantische Literatur". Erzählt wird die Geschichte von Arda, dessen Eltern zunächst ohne die Kinder nach einem Erdbeben in der Türkei nach Deutschland flohen. Der Vater geht später zurück in die Türkei, die Mutter schlägt sich in einem Imbiss durch und zieht die Kinder in prekären Verhältnissen allein groß, resümiert Sojitrawalla. Allein wie Öziri von Abhängen in Jungscliquen, erster Liebe, Prügeleien und dem Verticken von Drogen erzählt, findet die Rezensentin gar "hollywoodesk". Vor allem aber bewundert sie die Empathie, mit der der Autor seinen Helden schildert, dessen deutsch-türkischer Hintergrund eben nicht im Fokus der Erzählung steht. Und so empfiehlt sie einen bewegenden Familienroman, der sie mitunter an Wolfgang Herrndorf erinnert.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 05.08.2023

Schon jetzt ein Klassiker - Rezensent Stefan Mesch ist begeistert von Necati Öziris Debütroman. Darin reflektiert der Erzähler Arda, der zwanzigjährig auf der Intensivstation liegt, über das Verhältnis zu seinem Vater, einem früheren Gastarbeiter, der wegen Mord im Gefängnis gesessen hat und jetzt in Istanbul lebt, erfahren wir. Dann sind da noch die alkoholabhängige Mutter Ümran und die Schwester des Erzählers, Aylin, die nicht mehr miteinander sprechen - Arda denkt auf seinem Krankenbett dennoch über eine mögliche Versöhnung von Mutter und Tochter nach, resümiert Mesch. Öziri versteht es in die Handlung Themen wie Rassismus, Sucht und Angst vor dem Ausländeramt intelligent einzubauen, ohne dass es aufgesetzt wirkt, lobt Mesch. "Preiswürdig" ist dieses Buch - es sollte Schullektüre werden, jubelt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.07.2023

Gelungen findet Rezensent Burkhard Müller, wie der Dramatiker Necati Öziri sein Stück "Get deutsch or die tryin'" von der Bühne in einen Roman überführt hat, auch wenn dabei immer das Problem entstehe, eine Erzählstimme für das im Theater einfach sichtbare Geschehen zu finden. Entschieden habe sich Oziri für eine nüchterne Standardsprache, um aus der Perspektive des unheilbar immunerkrankten Arda dessen Familien- und Lebensgeschichte als Deutschtürke zu erzählen, mit all ihren Verheerungen: nachdem der Vater die nach Deutschland geflohene Familie aus Heimweh verlassen hat und in der Türkei wegen Mordes im Namen der Blutrache verhaftet wurde, versinkt die Mutter in Apathie. Wie Öziri von langwierigen Einbürgerungsprozessen und "demütigenden Tagen" im Ausländeramt erzählt, scheint der Kritiker wahrhaftig und packend zu finden. Bissig werde es zudem, wenn Arda in seinem deutschen Pflichttext für die Einbürgerung in 300 Zeichen erklärt, er werde "eure Töchter vögeln, bis sie arabisch sprechen" usw. - danach ist er "officially Kartoffel", gibt Müller schmunzelnd wieder. Ein Roman mit "lebendigen" und "emotional starken" Szenen, der seine Kraft vor allem aus seinem "Sprachhabitus" zieht, lobt Müller.
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