Nicolas Nova

Ein Bestiarium des Anthropozäns

Über hybride Mineralien, Tiere, Pflanzen, Pilze ...
Cover: Ein Bestiarium des Anthropozäns
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783751802239
Gebunden, 254 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Wenn Adler vom Militär zur Drohnenjagd abgerichtet und in Laboren synthetische Steaks und würfelförmige Melonen gezüchtet werden, wenn Pilze radioaktiv strahlen, künstlicher Schnee in Gebirgslandschaften kanoniert wird und mikroplastikgesättigte Meerestiere durch die Ozeane treiben, dann ist es unmöglich geworden, zwischen Natürlichem und Künstlichem noch länger zu unterscheiden. Wir leben in einer hybriden Welt, in der Organisches und Synthetisches zusammengewachsen und der globale Einfluss des Menschen auf die Biosphäre allgegenwärtig und geologisch nachweisbar ist. Weil im Zeitalter des Anthropozäns die herkömmlichen Naturführer versagen, hat Nicolas Novas zusammen mit dem Kollektiv DISNOVATION dieses Bestiarium entworfen, das unsere postnatürliche Gegenwart in 60 Einzelporträts von Antennenbäumen bis Wolkenimpfung vor Augen führt. Dieses neuartige Bestiarium teilt mit den mittelalterlichen Bestiarien die enzyklopädische Lust, die reiche Bebilderung - und nicht zuletzt das moralische Anliegen: Denn die hybriden Kreaturen, die die Verschmelzung von Bio- und Technosphäre hervorbringt, sind keine Einhörner, sondern reale Monster, erschaffen nicht vom menschlichen Geist, sondern durch menschliche Taten.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 30.09.2023

Neugierig blickt Rezensent Volkart Wildermuth auf Nicolas Novas in Kooperation mit dem Künstlerkollektiv Disnovation.org entstandene Neuinterpretation des "Bestiariums". Ganz im Stile dieser alten Darstellungsform, so Wildermuth, zeigt auch Novas Buch auf der linken Seite ein Bild eines Wesens, rechts eine kurze textliche Einordnung - nur, dass es sich in diesem Fall um besondere "Wesen" handelt: um Hybride aus Natur und menschlichem Eingriff, wie zum Beispiel in Glühbirnen hausende Einsiedlerkrebse, ein künstliches Gestein aus Lackablagerungen der Ford-Werke, genannt "Fordit", oder auch eine Box voll Chicken Wings - an deren Hühnerknochen wird die zukünftige Archäologie unsere Existenz nachverfolgen können, wie Wildermuth schaudernd liest. Die beunruhigende Einsicht, dass nichts mehr auf der Welt "natürliche Natur" ist, selbst die Banane, wird ihm von den Autoren und Zeichnern anschaulich vermittelt. Schade findet er, dass dem Bestiarium noch zehn theoretisch überhöhte Textbeiträge angehängt sind - das hätte er nicht gebraucht -, und dass die aufwendige Gestaltung mit silberner Schrift auf schwarzem Papier die Lektüre etwas erschwert. Nichtsdestotrotz ein spannendes Experiment, meint er.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 29.09.2023

"Wildnis" ist ein Anachronismus - so der Grundgedanke hinter dem Begriff des Anthropozäns, und so auch die Message, die Rezensent Volkart Wildermuth aus der Lektüre des vorliegenden Buches mitnimmt. Abgesehen von dem großen Unbehagen, das die Bilder und deren Beschreibungen bzw. Einordnungen beim Leser auslösen. Und damit haben der Sozialanthropologe Nicolas Nova das Künstlerkollektiv Disonnovation.ord eigentlich schon erreicht, was sie mit ihrem "Bestiarium des Anthropozäns" erreichen wollten: Unruhe stiften, oder wie sie es ausdrücken: "Dinge bemerkenswert machen" - und mit "Dingen" meinen sie kulturell (um-) geformte Natur: Fordit, Chicken Wings, Einsiedlerkrebse, die in Glühbirnenfassungen leben. Leider belassen die Herausgeber und Herausgeberinnen es nicht bei dem wirksamen Prinzip des Bestiariums, sondern hängen ihrer Sammlung konkreter Beispiele noch einie ausschweifende, abstrakt theoretische Betrachtungen im höchsten Akademikerinnendeutsch an. Den ersten Teil des Buches will Wildermuth trotzdem unbedingt empfehlen, und selbst aus dem unglücklichen Anhang lässt sich doch noch mindestens ein wichtiger und sehr verständlicher Appell ziehen, den man so zusammenfassen könnte: Die Geister, die wir riefen, werden nicht wieder verschwinden. Was wir Menschen verzapft haben, darüber müssen wir nun und dauerhaft Verantwortung übernehmen. Ein Zustand "natürlicher" Natur lässt sich nicht wieder herstellen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.08.2023

Rezensent Helmut Mayer kanns leider nicht immer gut entziffern, was das Kollektiv aus Wissenschaftlern und Künstlern um Nicolas Nova & Disnovation.org hier zusammenkompiliert hat (liegt an der Buch-Ästhetik): Nach Art des mittelalterlichen Bestiariums kommen Mikroplastik, Kunstschnee und Viren als Ausdruck der Verschränkung von Künstlichem und Natürlichem in den Blick und werden in knappen Begleittexten laut Mayer auf bewährte Weise beschrieben, wenngleich nicht stets konzis. Meist aufschlussreich aber und auf jeden Fall ästhetisch originell, befindet der Rezensent wohlwollend.
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