Norman Davies, Roger Moorhouse

Die Blume Europas

Breslau, Wroclaw, Vratislavia. Die Geschichte einer mitteleuropäischen Stadt
Cover: Die Blume Europas
Droemer Knaur Verlag, München 2002
ISBN 9783426272596
Gebunden, 702 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Mit Karten, Plänen und 32 Bildtafeln. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. Breslau liegt in der Mitte zwischen Berlin, Prag, Wien, Budapest und Warschau, im Epizentrum zahlloser politischer und militärischer Ereignisse, die Mitteleuropa erschütterten. Auf tausend wechselvolle Jahre blickt die ehemalige schlesische Hauptstadt, die heutige Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Wroclaw zurück. Eine so lange Geschichte hinterlässt Spuren: in den Namen - Breslau, Wroclaw, Vratislavia - ebenso wie im Stadtbild. Zweimal wurde die Stadt verwüstet: beim "Mongolensturm" 1241 und im Frühjahr 1945 beim monatelangen Kampf um die "Festung Breslau". Hin und her geworfen zwischen Preußen, Böhmen, Österreich, Polen, war Breslau Grenzstadt, Handelszentrum, Schmelztiegel der Völker und kulturelle Metropole.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.02.2003

Um deutsch-polnische Rivalitäten zu vermeiden, wurden mit der vorliegenden Stadtgeschichte Breslaus zwei englische Historiker beauftragt, berichtet Ulrich M. Schmid. Die verschiedenen Namen deuten die verschiedenen nationalen Zugehörigkeiten Breslaus bereits an; man merke es Davies' und Moorhouses Studie an, dass sie sich "in ihrem historischen Porzellanladen mit äußersten Sorgfalt" bewegen, schreibt Schmid hierzu. Tunlichst vermieden sie jede nationale Konnotation und sprächen von der "Blume Europas", ein Begriff, der von dem Barockdichter Nikolaus von Hennenfeld stammt und im 21. Jahrhundert Schmid zufolge genau das ausdrückt, was im kulturell und politisch zusammenrückenden Europa Sinn macht. Die Geschichte Breslaus ist spannend, wenn auch konventinell erzählt, sagt Schmid; konventionell insofern, als dass nur die politische Geschichte mit ihren wechselnden Machtverhältnissen nacherzählt wird, dies allerdings effektvoll und unterhaltsam. Eine sozialgeschichtliche Ausleuchtung des Breslauer Stadtlebens indes fehlt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.09.2002

Erst nach Auflösung der Blockkonfrontation ist es wieder möglich geworden von "Mitteleuropa" zu sprechen, schreibt Richard Heimann und gibt die Definition des englischen Autorenpaars preis, das die wechselhafte tausendjährige Geschichte der Stadt Breslau beispielhaft für die Geschichte Mitteleuropas betrachtet. Ihnen zufolge sei Mitteleuropa eine "Transregion", die von Ost und West politisch wie kulturell gleichermaßen beeinflusst worden ist. Mit dem Namen der Stadt - Inselstadt, Wrotizla, Presslaw, Breslau, Wroclaw - verfahren Davis/ Moorhouse entsprechend: sie nennen die Stadt nach dem jeweiligen Namen der untersuchten Epoche. Die Vorgehensweise ist chronologisch, bis auf eine Ausnahme, die Heimann für einen klugen Schachzug der Autoren hält: in einer Art Prolog zum ersten Kapitel beschreiben sie die Flucht und Vertreibung der Deutschen im Jahr 1945. Es mache großen Spaß, die Geschehnisse so vorurteilsfrei aus britischer Feder geschildert zu sehen, äußert sich Heimann begeistert, dem die rund siebenhundertseitige Stadtgeschichte Breslaus erstaunlich locker und illustrativ geschrieben erscheint. Dank der guten angelsächsische Schule, sagt Heimann; haben Wissenschaftler haben zum journalistischen Stil.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.07.2002

Norman Davies ist einer der "erfolgreichsten Historiker Großbritanniens", weiß Andreas Krüger. Doch Erfolg schützt nicht vor Fehlern, ist der Rezensent überzeugt. Das zeige auch das neue Buch von Davies und seinem Schüler Roger Moorhouse über Breslau. Gegen den Ansatz der Autoren, "verkrustete nationale Blickweisen" aufzubrechen und die Geschichte der Stadt unter möglichst vielen Blickwinkeln zu analysieren, hat Krüger gar nichts einzuwenden. Doch stört ihn vieles an der Umsetzung. Der "600 Seiten starke Wälzer" sei zwar detailreich, aber auch detailverloren und trotz der Fülle an Informationen mag sich bei Krüger kein klares Bild über Breslau und seine Einwohner ergeben. Ökonomische, soziale und regionale Kontexte blieben außerdem weitgehend außen vor. Weitere Kritik übt der Rezensent daran, dass Geschichte eben nicht aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert und manch "eigenwillige Schwerpunktsetzung" vorgenommen werde, die Krüger in ihrer Eindimensionalität gar an Ernst Noltes Thesen zum Faschismus erinnern. Und für ganz und gar inakzeptabel hält Krüger schließlich die Fülle an Ungenauigkeiten und Fehlern in diesem Buch. Warum, grübelt der Rezensent, gibt es bei Büchern ab einer gewissen Anzahl von Fehlern nicht eine "Rückrufaktion", so wie im Falle von technischen Mängeln bei Autos?

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.07.2002

Der Prolog erzählt vom traumatischsten Moment in der Geschichte der Stadt: der "Zerstörung der Festung Breslau 1945". Angestrebt wird im Fortgang die Einbettung in den "größeren historischen Kontext" - lobenswert im Ansatz, irritierend in der Ausführung, so der Rezensent Godehard Weyerer. Man erfährt viel über vieles, zu Breslau ist eher wenig darunter, der Stil ist noch dazu der eines "historischen Seminars". Weyerer stellt sich Fragen nach dem Alltag im Mittelalter, nach Handel und Reisen, Verstädterung, Entwicklung des Nationalismus. Kaum etwas davon kommt vor. Interessant dagegen scheinen dem Rezensenten die Einleitung, die Erhellendes zum Begriff "Mitteleuropa" zu bieten hat, und das letzte Kapitel, das die Folgen der Vertreibung schildert. Hier, aber nur hier, kann er "Lebendigkeit und Authentizität" ausmachen, insgesamt jedoch hat ihn das Buch enttäuscht.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.06.2002

Karl Schlögel ist der Meinung, dass vielleicht nur von dritter - in diesem Fall: britischer - Seite, ein so unparteiisches wie engagiertes Buch über diese "vergessene deutsche Stadt" geschrieben werden konnte, die jahrhundertelang im Schnittfeld der Interessen der polnischen, preußischen, habsburgerischen und tschechischen Krone lag. Davies und Moorhouse sind von dem deutsch-polnischen Rivalitätsdenken unbeeindruckt und geben Breslau somit seinen mitteleuropäischen Status zurück, meint Schlögel. Die wechselhafte Geschichte Breslaus lässt sich an den vielen verschiedenen Namen ablesen, die die Stadt im Laufe ihrer tausendjährigen Geschichte hatte; sie dienen als Leitfaden. Anders als in Davies' früheren Büchern wird die Stadtgeschichte diesmal ganz konventionell und chronologisch geschrieben, berichtet Schlögel, was das Buch fast zu einer Art Enzyklopädie werden lasse, in der alle relevanten Aspekte abgehandelt seien. Das ist dem Rezensenten manchmal fast etwas zu ausgewogen, er vermisst Davies' Kunst der Pointierung und Verdichtung thematischer Zusammenhänge. Stattdessen berge das Buch wunderbare Fundstücke und Quellentexte, die ausführlich zitiert würden. Auch die Einordnung in die großen Zusammenhänge sei stets gegenwärtig, die Stadt selber, der Stadtkörper, stehe - leider? - nicht im Mittelpunkt.

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