Paolo Prodi

Eine Geschichte der Gerechtigkeit

Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat
Cover: Eine Geschichte der Gerechtigkeit
C.H. Beck Verlag, München 2003
ISBN 9783406495199
Gebunden, 488 Seiten, 48,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Annette Seemann. Paolo Prodi entwirft ein weitgespanntes Panorama der Gerechtigkeitsvorstellungen, das vom Alten Testament und der griechischen Antike bis in die Gegenwart reicht. Ausgangspunkt sind dabei die religiös geprägten Auffassungen von iustitia, nach denen Gerechtigkeit zwischen den Menschen und Gerechtigkeit Gottes eng miteinander verbunden sind. Ab dem 13. Jahrhundert kommt es jedoch allmählich zu einem Pluralismus der Rechtsordnungen (Kirchenrecht, Naturrecht, Römisches Recht ?) und der Gerichte. In der Folge treten das von verschiedenen konkurrierenden Instanzen gesetzte Recht und die Erfordernisse des nun individuell werdenden Gewissens auseinander. An die Stelle des allwissenden Gottes tritt mehr und mehr der allmächtige und omnipräsente Staat, der nun auch Gewissensfragen rechtlich zu regeln versucht. Und dieser Konflikt zwischen dem Gewissen des einzelnen und dem allgemeinen Gesetz der großen Institutionen bestimmt bis heute die Gerechtigkeitsproblematik, etwa in Fragen der Abtreibung oder der Sterbehilfe.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.08.2003

Paolo Prodis historisch-semantisch angelegte "Geschichte der Gerechtigkeit" hat Rezensent Otto Kallscheuer rundum überzeugt. Wie Kallscheuer berichtet, analysiert Prodi am Leitfaden des Begriffs des "Forums" die Entwicklung kirchlicher Moral- und Rechtsnormen im Kontext ihrer Institutionalisierung. Foren, erklärt Kallscheuer, waren Orte, an denen Entscheidungen nach Regeln (Prinzipien, Gesetzen) fielen, und die zugleich Subjektivität institutionalisierten. So habe der europäische Pluralismus zunächst in einer Mehrzahl von Foren bestanden, vor denen Recht gesprochen und Unrecht sanktioniert wurde - Gerichtshöfe, vor denen zu erscheinen jeder Mensch, Bürger, Christ aufgerufen war, referiert Kallscheuer. Aus diesen Foren entwickelten sich säkulare und spirituale Parteien, entstanden Stände und Verbände. Darauf geht nach Auskunft Kallscheuers der Pluralismus des Abendlandes zurück, er entstehe und bestehe in der Konkurrenz dieser Foren - in ihrer Gewaltenteilung von inner- und außerweltlichen Ängsten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.05.2003

Michael Pawlik feiert dieses Buch von Paolo Prodi, dem langjährigen Leiter, wie wir von Pawlik erfahren, des Instituto storico italo-germanico in Trient, als ein "wundervolles" Buch über die Geschichte des Kampfes um die Grenze zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Prodi schließt seine Untersuchung, erfahren wir, zwar mit der Behandlung des neunzehnten Jahrhundert ab. Dennoch erlaube es dem Autor, den gegenwärtigen Zustand als prekär darzustellen. Der entscheidende Punkt des Buches ist nämlich offenbar, dass es die Ko-existenz von weltlichen und geistlichen "Foren der Gerechtigkeit" als abendländischen Normalfall beweist. Wie Pawlik aus dem Buch zitiert: "Zum ersten Mal stehen wir im Abendland vor lediglich einem Forum, dem des positiven Rechts, der geschriebenen Norm, da all die anderen Gerichtsorte, die fast bis in unsere Zeit nahezu unser gesamtes tägliches Leben geregelt haben, verschwunden sind."
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.03.2003

Gelehrt, aber nicht gelungen, so lautet Magnus Schlettes Urteil über Paolo Prodis Abriss der Rechtsentwicklung. Prodi stellt zwar das im Judentum wurzelnde Spannungsverhältnis von Recht und Moral, auf dem unser Rechtsstaat basiert, mit "stupender Gelehrsamkeit" dar, schreibt Schlette. Aber Prodi hat seiner Ansicht nach die "überbordende Masse seines Stoffes nicht genügend akzentuiert", und so werde der arglose Leser, der "nicht enzyklopädisch gewappnet" ist, von der Woge des Materials überschwemmt. Denn Prodis "fein ziselierte" und "akribische" Argumentation verweigere jegliche Lesehilfe. Und mit Prodis Schlussfolgerung, dass Gewissen ausschließlich auf religiösen Erfahrungen basiert, kann sich der Rezensent mit Blick auf den aktuellen Bedeutungsverlust der Kirchen ohnehin nicht anfreunden.
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