Peter Handke

Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos

Roman
Cover: Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518413104
Gebunden, 759 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

In der Sierra de Gredos erstreckt sich von Ost nach West eine bis in den Frühling hinein verschneit, fast zweihundert Gratkilometer lange Gipfelflur. Dorthin macht sich die Bankfrau, von deren Abenteuern dieser Roman handelt, aus einer nordwestlichen Flusshafenstadt auf den Weg, um einen Autor zur treffen, mit dem sie einen klassischen Lieferantenvertrag geschlossen hat: Sie bezahlte den Autor und kümmert sich um seine Geldgeschäfte; und er erzählt im Gegenzug ihre Geschichte nach vorgegebenen Regeln...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.01.2002

Opus magnum oder signum malum? Irgendwo dazwischen siedelt Martin Lüdke den neuen Handke in seiner Besprechung an. Ein Abenteuerroman, so schreibt er, sei das, voller Demut und Energie, sanft, gewaltig, brutal, poetisch, gedankenreich, riskant, "voller Dramatik, aber erzählt, im emphatischsten Sinn des Wortes". Und damit meint Lüdke das Beharren auf dem "utopischen Gehalt der Literatur", das er als Konstante im Werk Handkes bezeichnet, vom Dichter mit "grundverschiedenen Mitteln und Verfahrensweisen" behandelt und in diesem Buch - Handkes "wahrem Hauptwerk", wie der Rezensent, etwas übereilt vielleicht, mitteilt -, ganz gut erlebbar. Der "geduldige Leser" also, verkündet Lüdke, müsse begeistert sein. Und der weniger geduldige? Der stößt sich womöglich weniger an den von Lüdke entdeckten Stilblüten, Ungenauigkeiten und "beinharten Hass- Ausbrüchen" Handkes (gegen Joschka Fischer etwa) als vielmehr daran, "dass sein 'Hass' Eingang in die Konzeption des neuen Romans gefunden hat". Was das allerdings im einzelnen bedeutet, diese Information bleibt uns der Rezensent weitgehend schuldig. Sein Hinweis, das zentrale Motiv vom Bildverlust bleibe im Buch widersprüchlich und werde von den vielen "betörenden Bildern" selbst dementiert, ist einfach zu wenig.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 26.01.2002

Peter Handke schenkt uns mit seinem neuen 759 Seiten langen Roman ein "Stück bedeutender Literatur", jubelt Martin Meyer in seiner eingehenden Rezension. Meyer sieht die Wanderung der Finanzmagnatin durch die Sierra de Gredos als eine "Bildungs- und Entwicklungsreise" voll von merkwürdigen Begebenheiten. Das ist stark von Cervantes inspiriert, findet Meyer, fehlen doch weder Cervantes "Geist der Skurrilität", noch seine "romantische Beweglichkeit von Sprache und Sprachsinn". Die Welt, die Handke in seinem neuen Roman eröffnet, habe etwas Magisches, Allegorisches an sich. Für Meyer zeigt sich das auch in der Ästhetik Handkes, so etwa in den "substantivierten Verben", die ins "Zuständliche ausgreifen", in den "eingeschobenen Gedanken, die den Grundton kühn Unterlaufen" oder in " Staccato- Dialogen, die keinerlei Gemütlichkeit aufbereiten". Auch wenn Meyer auf den 759 Seiten bisweilen "Lässliches oder Loses" oder -in Anführungszeichen!- "Langweiliges" findet, kommt er nichtsdestoweniger zum Schluss: "Aus einem Buch so viel Schönes auch und noch Unentdecktes zu erhalten, ist Glücks genug."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 24.01.2002

Hat sich der Autor in seiner Sierra doch glatt verlaufen. Ulrich Greiner schlägt die Hände überm Kopf zusammen: Handlung, Figuren, Dramatik, Abenteuer - alles verschwindet in den "Schluchten der Mystifikation", den "Staubwüsten des Schwadronierens". Da hilft es wenig, dass dem Rezensenten bei der Lektüre hin und wieder aufgeht, was dieser Autor eigentlich kann (Intensität vermitteln, Seh-, ja Lebenshilfe geben); alles hier ist mühsam, "als habe Handke alles hineingepackt, was ihm einfiel". Ebenso wenig freilich hilft es Greiner, dass die Verwirrung, wie er erklärt, in diesem Buch Methode hat und die Auflösung der herkömmlichen Perspektive wie jene der vertrauten Dimensionen von Zeit und Ort zugunsten des durch den Roman mäandernden Bewusstseinsstroms betrieben werden. Wo die "obligaten Bestimmungen" durch "Fragezeichen-Orgien" vervielfältigt bzw. neutralisiert werden, müssen 759 Seiten einfach reichlich lang erscheinen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.01.2002

Recht feierlich ist Thomas Steinfeld bei dieser schnell geschriebenen Kritik zumute. "Der Bildverlust", so schließt er seine Kritik, die zwei Tage vor Erscheinen des Romans in der SZ gedruckt wurde, sei "das große Gegenbuch zu unserer aktuellen Literatur", nicht mehr und nicht weniger. Gemeint ist damit einen Gegenentwurf zu einer vom Journalismus infizierten Literatur, zur allgegenwärtigen Gestalt des Reporters, der nurmehr einen flüchtigen Blick auf das werfe, was er für die Realität hält, ein Plädoyer für die "lange Dauer" auch. In sie gestellt sieht sich eine Finanzexpertin, die ihre Großstadt verlässt, um die Sierra de Gredos, jene Landschaft, in der der "Don Quijote" spielt, zu durchwandern und auf einen Erzähler zu stoßen, der ihr womöglich sagt, wer sie ist. Den "Don Quijote" liest Steinfeld als Parallelbuch und Referenz zu Handkes großem Roman. So wie sich Don Quijote an den Bildern einer vergehenden Epoche mit ihren Ritterromanen abarbeitet, so scheint auch Handke in diesem Buch einen Epochenwechsel annoncieren zu wollen. Wie genau diese neue Epoche, in der die Medien ihre Übermacht offensichtlich verloren haben, aussehen soll, erfährt man bei Steinfeld nicht - aber neugierig macht seine Kritik schon.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.01.2002

An Anfang war noch Hoffnung. Dass Handke Handke bleiben würde nämlich, 759 Seiten lang, bis zum Schluss. Und weil Frauke Meyer-Gosau nur ganz hinten nachgesehen hat, ob alles gut geht, und weil es tatsächlich ein schönes Happy-End gibt, hat sie sich drauf eingelassen, auf diese ganze "Mordsmarathonpapierstrecke" und - ist enttäuscht worden. Na ja, enttäuscht. Zunächst mal sind da ein paar hundert Seiten Leseglück. Die Lebensgeschichte einer erfolgreichen Frau, "hinreißend erzählt von Peter Handke". Das geht gut, bis die Heldin dieses von Meyer-Gosau als "ein utopischer Abenteuer-, ein Reise- und Liebesroman" bezeichneten Buches ihren Ort der Läuterung, das Zentrum des "Bildverlusts" ("ein tiefes, düsteres Tal in der Sierra") betritt. Da dämmert der Rezensentin dann so einiges: Das hier verbratene "wohlbekannte Modell" von der mächtigen, aber schuldbeladenen Frau auf der Suche nach dem "wirklichwahren Leben" etwa. Dann dass Handkes "Frau" nichts anderes ist als "ein Sprachrohr für die Empörung und Resignation über eine fortschreitende Dekadenz, den Verlust der Ideale" usw., aus dem die sich überschlagende Stimme des Autor- Predigers tönt. Und schließlich dass, was gut anfängt, noch lange nicht gut weitergehen muss, und wenn es auch gut endet.
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