Pirkko Saisio

Das rote Buch der Abschiede

Roman
Cover: Das rote Buch der Abschiede
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023
ISBN 9783608987256
Gebunden, 304 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. Pirkko Saisios Roman erzählt von einer sexuellen und künstlerischen Befreiung. Ihre Protagonistin sucht in Helsinki nach der Liebe und kämpft um Selbstbestimmung - zu einer Zeit, in der Kunst und Kommunismus eine unheilvolle Allianz bilden und queere Liebe nur im Untergrund stattfindet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.12.2023

Eine Neuentdeckung einer zum Glück noch lebenden Autorin hat Rezensentin Anna Vollmer mit dem Buch der Finnin Pirkko Saisio vor sich, das nicht nur persönliche, sondern auch Landesgeschichte Finnlands seit den 60er-Jahren beinhaltet. Die Protagonistin ist lesbisch, zu einer Zeit, als das in Finnland verboten ist, bekommt eine Tochter, kommt mit ihrer großen Liebe zusammen und trennt sich wieder - davon erzählt sie aus der zeitlichen Distanz der Rahmenhandlung, die einzelnen Bestandteile sind nicht unbedingt chronologisch angeordnet, erfahren wir. Vollmer gefällt das Buch nicht nur deshalb so gut, weil es sich in den Autofiktionalitäts-Trend einreiht, sondern auch, weil die hier verhandelte Frage nach der Identität nicht nur Sexualität, sondern auch politische Orientierung und das Schreiben in den Blick nimmt. Das findet die Kritikerin berührend und überzeugend, da der Roman "Raum für all die Seiten hat, die man nun einmal in sich trägt", wie sie resümiert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.11.2023

Rezensentin Lavinia Kiessler macht mit Pirkko Saisio, in Finnland bereits eine literarische Größe, eine "Entdeckung": Im dritten Teil einer Trilogie, der nun nach 20 Jahren und noch vor den beiden Vorgängerbänden ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt die Schriftstellerin und Theaterprofessorin ihre Geschichte und dabei gleichzeitig eine Geschichte Helsinkis, ihrer Geburts- und Heimatstadt. Gespannt liest Kiessler von Saisios Aufwachsen in einer streng kommunistischen Familie im Arbeiterviertel Helsinkis, von der Entdeckung ihrer Homosexualität und der intellektuellen Untergrundszene der Stadt, in der sie sich zum ersten Mal verliebte, und von den vielen verschiedenen Beziehungen und Abschieden, meist unter Frauen, die das Herz des Romans bilden: die toxische erste Partnerschaft, das komplizierte Verhältnis zur Mutter, oder auch die Beziehung zu ihrer eigenen Tochter. Wie die Autorin all dies in ein weniger kohärentes als assoziativ strukturiertes Geflecht aus Erinnerungen, Zeitsprüngen, Prosa und Lyrik aber auch drehbuchähnlichen Passagen gieße, manchmal sogar "phantastische" Elemente einbaue, findet die Kritikerin herausfordernd und spannend. Sie freut sich schon auf die für kommendes Frühjahr geplante Übersetzung des Vorgängerbandes.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 24.11.2023

Im Jahr 1970 steht Homosexualität in Finnland noch unter Strafe, das Coming-out ist für die finnische Autorin Pirrko Saisio entsprechend schwierig, weiß Rezensent Christoph Vormweg. Davon erzählt ihr autobiografischer Roman, der letzte Teil einer Trilogie, der nun auf Deutsch vorliegt. Die Vorgänger sind noch nicht übersetzt, aber das stört die Lektüre nicht, entwarnt der Kritiker, der schnell in den Sog des fesselnden, "klaren" und "zutiefst existentiellen" Romans gerät. Er liest hier nicht nur, wie Saisios Alter Ego mit Schuldgefühlen nach dem Coming-out, vor allem vor der kommunistischen Mutter, zu kämpfen hat, sondern folgt auch der Geschichte einer Selbstverwirklichung: Große Lieben, ein erster Verlagsvertrag und Worte helfen dabei, resümiert Vormweg. Saisios vielschichtige "Erinnerungsarbeit" steht Annie Ernaux' Roman "Die Jahre in nichts nach, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 04.11.2023

Ein weiterer Schatz aus der Vergangenheit, dessen Hebung wir der Verleihung des Nobelpreises an Annie Ernaux und ihrem Werk verdanken, erklärt Rezensentin Hannah Lühmann. Auch Saisio schreibt in ihrer queeren Emanzipationsgeschichte autofiktional, und doch unterscheidet sich ihr bereits in den 1990ern erschienenes Buch von den Autofiktionen einer Annie Ernaux oder Vigdis Hjorth. "Verspielter" schreibt diese Autorin, erklärt Lühmann, kapriziöser, heiterer, "clownesk im besten Sinne". Schwere und komplexe Themen wie die Selbstbezeichnung als queere Person oder auch die komplizierte Beziehung zwischen der Arbeiterbewegung und der Frauen- und Homosexuellenbewegung, werden hier auf eine kluge, sensible und dennoch erstaunlich leichtfüßige Art verhandelt. Am beeindruckendsten findet die Rezensentin jedoch, wie aktuell viele dieser Themen immer noch sind, was nicht bedeutet, dass man dem Roman sein Alter nicht anmerkt. "Das rote Buch der Abschiede" ist wie eine Flaschenpost, so Lühmanns Vergleich, die uns aus einer anderen Zeit erzählt - manches aus dieser Erzählung ist unterhaltsam, manches lehrreich und einiges eben auch für heutige Debatten noch überaus relevant.