Silke Scheuermann

Die Stunde zwischen Hund und Wolf

Roman
Cover: Die Stunde zwischen Hund und Wolf
Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783895613715
Gebunden, 171 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Zwei Schwestern treffen nach Jahren wieder aufeinander. Ines, die kapriziöse Malerin, bittet um Hilfe, stößt aber auf Kälte und Ablehnung. Ihre Schwester möchte einen Schlußpunkt setzen: Nicht schon wieder will sie in das Muster der ewig Helfenden zurückfallen. Sie will mit der Welt ihrer Schwester nichts zu tun haben und ist doch zunehmend fasziniert. Als sich eine Affäre mit Kai, Ines Freund, anbahnt, verliert sie sich in einen fragwürdigen, rauschhaften Glückszustand, der sie eigenartigerweise zu ihrer Schwester zurückführt. "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" erzählt von der Desorientierung in einer Gesellschaft, die höchste Ansprüche stellt, selber jedoch an Alltäglichkeiten scheitert. Scheinheilige Entwürfe halten die Fiktion einer Geborgenheit aufrecht, selbst der Umgang mit der Vergangenheit wird auf sinnentleerte Bilder reduziert; manchmal ist vom Leben kaum mehr übrig als ein kalter Entzug.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.07.2007

Rezensentin Petra Kohse ist Silke Scheuermanns Roman recht gewogen. "Abendfüllend" findet sie ihn allerdings nicht. Von Form und Struktur her handle es sich bei der Geschichte zweier Schwestern eher um eine Novelle, die die Rezensentin mit einer inhaltlichen Ausweitung auf diverse Themenbereiche zu weiten versuche. Dies gelingt nach Einschätzung der Rezensentin jedoch nur in Maßen. Denn Scheuermanns Stärke, ihr Händchen für ausdrucksstarke Momentaufnahmen nämlich, ist aus Kohses Sicht gleichzeitig die größte Gefahr für diese Prosa. Der Rezensentin fehlt eine "unterfütternde Gefühls- und Gedankenwelt", ein existenzieller Boden, auf dem sich das alles abspielt. Vieles ist der Rezensentin inhaltlich auch zu simpel und "treuherzig" gedacht. Insgesamt ist das Buch für sie dennoch nicht ohne Reiz: es sei eine Art "Neue Sachlichkeit", die Silke Scheuermann hier präsentiere. Ein "Erleben in Außenansichten", was Kohse gestalterische Disziplin verrät und ihr daher grundsätzlich nicht unsympathisch ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.03.2007

Mit einigem Enthusiasmus bespricht Rezensentin Sandra Kerschbaumer diesen Roman, den sie nicht nur insgesamt als überaus "stimmig" empfindet, sondern der sie auch im Detail mit "kühlen, manchmal beobachtenden, immer bereichernden" Beobachtungen begeistern kann. Es geht, wie Kerschbaumer schreibt, um zwei Schwestern, deren Beziehungsgefälle sich umkehrt. Denn die bewunderte Ältere ist Alkoholikerin geworden. Doch nach Ansicht der Rezensentin nutzt die Autorin diese Konstellation, um darüber hinaus über ein generationsbedingtes Gefühl eines Mangels an Freiheit und Gestaltungsmöglichkeit für das eigene Leben zu schreiben. Mit großer Bewegung folgt sie den elegischen und dennoch hochzeitgemäßen Beschreibungen Frankfurts, sieht Hoffnungen und Liebesgeschichten zerbrechen und schließlich eine Protagonistin am Ende in einer Lache aus Alkohol, Blut und Scherben liegen. Überhaupt begeistert sie, wie bei Silke Scheuermann, dieser Meisterin der "kurz aufleuchtenden Bilder" und "vorbeifliegenden Szenen", der Zustand des Betrunkenen zum ästhetischen Phänomen wird. Aber auch Scheuermanns Schilderung der Schwesternbeziehung fesselt die Rezensentin immer wieder.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.02.2007

Helmut Böttiger muss eingestehen, dass dieser Roman durchaus gut gemacht und handwerklich solide ist. In der Geschichte um zwei Schwestern, in der vieles im Dunkeln bleibt und die in einem kühlen, sachlichen Ton daherkommt, geht es weder zu gefühlsduselig noch zu subjektiv zu, so der Rezensent anerkennend. Er würdigt die Autorin als Meisterin des Verschweigens und attestiert dem Roman atmosphärische Dichte. Doch bei all dem Lob kann er sich dennoch nicht richtig freuen. Das Buch ist vor allem dem realistischen Erzählen verpflichtet und darin insgesamt zu durchschaubar, mäkelt Böttiger. Irgendwie, bei allen schönen Einfällen und gelegentlichen mythischen Untertönen bleibt der Roman zu "gutbürgerlich", so der Rezensent unzufrieden und er befürchtet, dass er in der Erinnerung seiner Leser nicht lange fortleben wird.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.01.2007

Sehr gute Noten vergibt Rezensentin Antje Korsmeier an diesen Roman über eine komplexe Beziehung zwischen zwei Schwestern, die durch eine Hassliebe miteinander verbunden sind. Silke Scheuermanns Beschreibung dieser Beziehung beeindruckt die Rezensentin mit "dichten Momenten" und "poetischen Sprachbildern", mit der Gekonntheit, die sie bei der Zeichnung des Personengefüges ihres Romans, der "Ökonomie der Gefühle" und der Freilegung ihrer Strukturprinzipien an den Tag legt. Auch wenn aus Sicht der Rezensentin der Metapherngebrauch nicht immer überzeugen kann, lobt sie das Buch insgesamt doch als eine seltene Mischung aus Anteilnahme, Kälte und Schonungsloskeit, mit der die Defizite und Sehnsüchte der Protagonisten beschrieben würden.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.01.2007

Rezensent Ulrich Greiner ist bewegt und begeistert vom ersten Roman der Leonce-und-Lena-Preisträgerin für Lyrik des Jahres 2001. Mit dem Buch, das ihn besonders durch die heißkalte Beobachtungsgabe und "aphoristische Gabe" der Autorin beeindruckt, hat sich Silke Scheuermann aus seiner Sicht in die vorderste Reihe der Gegenwartsliteratur geschrieben. Der Roman, der Greiner zufolge die komplizierte Beziehung zweier Schwestern behandelt, die denselben Mann lieben, erinnert den Rezensenten manchmal an die luxuriösen Alltagsprobleme der Figuren Judith Herrmanns. Allerdings schreibe Scheuermann lakonischer und ironischer, und erzähle am Ende auch nicht von "Befindlichkeitsstörungen", sondern entfalte "ein großes altes Thema", die Liebe nämlich, anrührend neu. Unterschwellig geht es Greiner zufolge aber auch über die Skepsis, die Scheuermanns Generation generell Gefühlen gegenüber hege, weil alles tausend mal vorexerziert und abgebildet wurde, bevor man etwas selbst erleben und fühlen konnte. Die hochemotionale "Beobachtungskälte" der Autorin rückt Scheuermann für Greiner sogar fast in Rilkes Nähe.