Stephanie Bart

Erzählung zur Sache

Roman
Cover: Erzählung zur Sache
Secession Verlag, Zürich 2023
ISBN 9783966390781
Gebunden, 550 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Erscheint am 28. August 2023. Wir tauchen ein in die Atmosphäre der Bundesrepublik des Jahres 1972 und verfolgen aus der Subjektive von Gudrun Ensslin, was es bedeutet, wenn sich ein junger Mensch mit einem intakten Gewissen dazu entscheidet, die faschistische Kontinuität der Bundesrepublik nicht hinzunehmen. Mit ihrer Sprache, deren Wucht wir aus der Ästhetik des Widerstands von Peter Weiß kennen, lässt die Autorin in einer trommelnden, singenden, rhythmischen Komposition aus historischem Dokumentenmaterial und Schlüsselzitaten der linken Theorie die Figur der Gudrun Ensslin vor unserem inneren Auge lebendig werden: von den bunten, gewaltfreien Protesten in der APO über die Baader-Befreiung (Gründung der RAF) und die 5 ½ Jahre ihrer Inhaftierung bis zu ihrem Tod im Stammheimer Gefängnis am 18. Oktober 1977.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.03.2024

Nicht immer wohl fühlt sich Rezensent Stephan Wackwitz mit Stephanie Barts Roman, der sich der Weltsicht der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin widmet. Wackwitz zeichnet nach, wie die RAF-Ideologie von der hellenistischen Gnosis-Religiosität geprägt ist, deren Kern die Ablehnung der real existierenden Welt als eine durch und durch verworfenen bildet. Bart vollzieht unter anderem diese Denkstruktur nach und wählt dafür die Form der freien indirekten Rede, erklärt der Kritiker, dem nicht immer klar ist, welche Gedanken der Figur und welche der Autorin zuzuordnen sind. Das ist beeindruckend, mitunter aber moralisch fragwürdig, findet Wackwitz mit Blick auf die realen RAF-Verbrechen. Besonders ambivalent erscheint ihm in dieser Hinsicht das Ende, das man als Affirmation des RAF-Stammheim-Mordmythos lesen könne. Ein kraftvolles Buch, aber gut, dass wir nicht mehr in den 1970er leben, denkt sich Wackwitz.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2023

Rezensentin Meike Feßmann ist absolut hingerissen von diesem Roman, der von einem Anschlag der RAF auf die US-Militärbasis in Heidelberg erzählt (bei dem drei Menschen starben, aber das muss man schon googeln, Feßmann erzählt es nicht) und vom Prozess gegen die RAF. Dass sich Autorin Stephanie Bart ganz in die Denkungsweise der RAF im Allgemeinen und Gudrun Ensslins im Besonderen hinein begibt, ohne Distanzierung, ja in "Träumen" ihre Ideen noch weiterspinnend, hat Feßmann mächtig beeindruckt: literarisch, aber offenbar noch mehr politisch. Dass die imaginierte Ensslin vom "Mord" an den Stammheim-Häftlingen spricht, obwohl es Selbstmord war, lässt Feßmann, eh schon beeindruckt von der hier beschriebenen "vernichtenden Wirkung" der Isolationshaft, als "legitimes Verfahren" für einen Roman durchgehen, zumal der Selbstmord ja "möglicherweise von staatlicher Seite toleriert oder sogar erwünscht" war, wie sie glaubt. Wie wenig sie das Buch jedoch als Roman gelesen hat, wird im letzten Satz ihrer Kritik deutlich, wenn sie Barts Buch als "Projekt linker Geschichtsschreibung" feiert. So empathielos wird der Terror in einer Buchkritik selten geschluckt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2023

Eine Literaturkritik ist das nicht: Der Rezensent Rupert von Plottnitz war seinerzeit Strafverteidiger des RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe und später Grünen-Politiker, Mitglied von "Attac" und sogar Hessischer Minister der Justiz und für Europaangelegenheiten. Bei der Lektüre seines Textes kann man sich fragen, ob es nicht eine Schnapsidee der FAZ-Literaturredaktion war, die Besprechung dieses Romans einem damals Beteiligten zu überlassen. Problematisch ist es vor allem deshalb, weil Plottnitz zwar ein bis zu einem gewissen Grad anschauliches Bild des Romans gibt, als Jurist aber die literarischen Strategien der Roman-Autorin nicht zu erfassen vermag: Er erwähnt zwar, dass die Autorin Passagen aus Originaldokumenten der Zeit mit eigener Prosa vermischt und die Grenzen nicht kenntlich macht, problematisiert es aber nicht. Welche Position bezieht die Autorin mit ihrer Totalversenkung in die "ferne und fremde Sprache der RAF"? Geht es um die Exhumierung einer heute bizarr wirkenden, damals aber totalen ideologischen Raserei? Identifiziert sich die Autorin mit der Terroristin? Gibt sie ihren Positionen Legitimität? Man wird den Roman selber lesen müssen - falls man an der derart versunkenen Epoche noch Interesse hat.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 20.09.2023

Mit großem Interesse liest Rezensent Stefan Mesch dieses Buch von Stefanie Bart über die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. "Der rhythmische, bittere, hochpräzise Text" geht auf Ensslins Zeit im Gefängnis ab 1972 ein und versucht ihre Gedankenwelt nachzuzeichnen, erklärt der Kritiker. Bart interessiere sich jedoch nicht für die Radikalisierung Ensslins: Es geht in diesem Buch vielmehr um die Herabwürdigung durch das Gefangen-Sein und Ensslins anti-kapitalistische Überzeugungen, so der Kritiker, den diese Auffassung voll zu überzeugen scheint. Denn Bart verschließe zwar nicht gänzlich die Augen vor den Taten Ensslins, doch interessiere sie sich weit mehr für Fragen wie die Sinnhaftigkeit von Strafanstalten. Herausgekommen ist ein "linksradikales Plädoyer", mit dem Bart und Ensslin den Mächtigen "mit Verve ins Gesicht" spucken, so der erfreute Rezensent, dem nicht bewusst zu sein scheint, dass diese radikale Verachtung des deutschen Staates von jedem Rechtsextremisten geteilt wird.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 30.08.2023

"Ein echtes Sprachkunstwerk" sieht Rezensent Enno Stahl in Stephanie Barts Roman über die erste Generation der RAF. Die Autorin wählt für den größten Teil ihres Romans die Perspektive Gudrun Ensslins und beleuchtet ihre Zeit während des Stammheim-Prozesses, so Stahl. Dabei kommen Ensslin, andere RAF-Mitglieder, aber auch ihre Ankläger in inneren Monologen zu Wort. Bart schafft es, die Gefühle Ensslins während ihrer Haft darzustellen - zu gut, bemerkt der Rezensent. Bart scheint sich stark mit ihrer Hauptfigur identifiziert zu haben. So sind einige Passagen, die den deutschen Staat in Frage stellen, nicht Ensslin, sondern Bart zuzuschreiben. Und die Behauptung Barts, Ensslin sei letztendlich durch staatliche Hand gestorben ist, ist pure RAF-Legendenschreibung, meint Stahl. Die "detailwuchernden Fülle", die sich aus Barts Verwendung von vielen Originaldokumenten ergibt, macht die Lektüre für den Rezensenten zudem "etwas anstrengend", moniert Stahl, der dem Buch gleichzeitig bescheinigt, ein "echtes Sprachkunstwerk" zu sein. Dass er dem Leser am Ende die Wahl lässt, ob er der Autorin folgen will, ist da nur konsequent: Seine Rezensenion hilft dabei jedenfalls kaum weiter.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.08.2023

Rezensent Andreas Platthaus empfiehlt Stephanie Barts Roman über Gudrun Ensslin und die Ideenwelten der RAF zum besseren Verständnis der Aktivisten der Letzten Generation. Das ist politische Literatur at its best, findet er, nicht nur, weil sich hinter einem recht "spröden" Titel eine Kampfesschilderung aus idealistischer Sicht vom Kaliber eines Peter Weiss verbirgt, sondern auch, weil der Leser es mit einer realen Figur der Zeitgeschichte zu tun bekommt, genauer mit deren Verzweiflung. Ensslins Leben in Bruchstücken, ein Prozesstag in Stammheim, aus Mitschnitten verdichtet, der laut Platthaus an absurdes Theater erinnert, dazu ein "Chor der Geschichte" als übergeordnete Instanz, die an die damalige Zukunft anknüpft - so etwas hat der Rezensent noch nicht gelesen.
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