Thomas Hettche

Sinkende Sterne

Roman
Cover: Sinkende Sterne
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2023
ISBN 9783462050806
Gebunden, 224 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Ein einsames Haus in den Bergen und eine Naturkatastrophe, nach der ein Schweizer Kanton sich plötzlich lossagt von unserer Gegenwart: Thomas Hettche erzählt, wie er nach dem Tod seiner Eltern in die Schweiz reist, um das Ferienhaus zu verkaufen, in dem er seine Kindheit verbracht hat. Doch was realistisch beginnt, wird schnell zu einer fantastischen, märchenhaften Geschichte, in der nichts ist, was es zu sein scheint. Ein Bergsturz  hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt und das Wallis zurück in eine mittelalterliche, bedrohliche Welt. Sindbad und Odysseus haben ihren Auftritt, Sagen vom Zug der Toten Seelen über die Gipfel, eine unheimliche Bischöfin und Fragen nach Gender und Sexus, Sommertage auf der Alp und eine Jugendliebe des Erzählers.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.10.2023

Lesen ist immer eine Begegnung mit dem Fremden, hält Rezensent Roman Bucheli nach der Lektüre von Thomas Hettches neuem Buch in seiner umfangreichen Besprechung fest, hier kann man sich zusätzlich aber auch selbst finden. Der Protagonist heißt ebenfalls Thomas und steht vor einer veritablen Lebenskrise, er ist aus seinem Uni-Job entlassen worden, er verhalte sich nicht mehr zeitgemäß, heißt es, und kehrt nach vielen Jahren in das Sommerhaus der Eltern im Wallis zurück, so Bucheli. Für ihn führt der Autor hier viele Fäden geschickt zusammen: Magischer Realismus, Liebesroman, Fragen nach (geschlechtlicher) Identität, das alles wird in der Betonung der Vernunft des Denkens zum "klugen Abgesang auf die Postmoderne", zugleich aber auch zum Loblied auf das Schöpfungspotenzial der Literatur, hält der überzeugte Kritiker abschließend fest, die Mit- und Denkarbeit, die das Buch erfordert, nimmt er gerne auf sich.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 14.10.2023

Ein Bergsturz hat im Wallis die Rhone aufgestaut und etliche Täler geflutet. Die Menschen, die überlebt haben, nutzen die Gelegenheit, sich ganz abzuschotten von anderen, vorzugsweise französischsprachigen Wallisern. Dies ist die Ausgangslage von Thomas Hettches Roman "Sinkende Sterne", erzählt Rezensentin Angela Gutzeit. Der Ich-Erzähler, der nach dem Ferienhaus seiner Eltern sehen will, aber auch die Entlassung von seinem Uni-Job verdauen muss, wird von misstrauischen Soldaten empfangen. Seine Entlassung verdankt er seiner Weigerung, Gender- und Identitätsdiskurse in seinen Vorlesungen so zu berücksichtigen, wie die Leitung es wünscht, erfahren wir. Hettche nimmt die Abgeschiedenheit im Wallis zum Anlass, seinen Protagonisten über Ästhetik und Kulturkritik nachdenken zu lassen und vermischt das mit einer teils phantastischen Handlung, erklärt Gutzeit. Ihr gefällt die "Lebendigkeit" von Hettches Überlegungen, aber irgendwann ermüdet sie. Interessante Themen, aber zu viel davon, ließe sich ihre Kritik resümieren.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.10.2023

Tief beeindruckt ist Rezensent Hubert Winkels vom Roman Thomas Hettches, eines Autors, der, so führt er aus, Wissen stets gemeinsam mit dem Mysteriösen, dem Irrationalen denkt. Das neue Buch setzt, lernen wir, mit Reflexionen übers Wetter ein und auch damit, dass der Protagonist, der heißt wie der Autor, bei seiner Rückkehr ins Haus seiner Eltern die Tür nicht öffnet sondern schließt. Das Haus steht im Schweizerischen Wallis, führt Winkels aus, die Gegend drum herum hat sich erdrutschbedingt in ein Katastrophengebiet verwandelt, in dem nun dämonische Kräfte hausen. Die gut sortierte Schweiz gibt es nicht mehr, heißt es weiter, stattdessen durchmisst Hettches kunstfertige Prosa ein Reich der Mythen, in dem die Frage nach Gründen und Ursachen grundsätzlich ins Leere läuft. Auch Natur- und Erdgeschichtliches wird im Buch verhandelt, so Winkels. Dass es dem Autor gelingt, all das und dann auch noch diverse literarische Anspielungen in eine fließende, sinnliche Prosa zu integrieren, begeistert den Rezensenten.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.09.2023

Restlos begeistert ist Rezensentin Cornelia Geißler von Thomas Hettches neuem Roman, dessen Erzähler wie der Autor heißt und zu Beginn des Buches ins Wallis gerufen wird, wohin er als Grundbesitzer gerufen wird. Hettches Buch zeigt, findet Geißler, was Sprache leisten kann. Es werden, lernen wir, eine Reihe von viel diskutierten Themen, etwa bezüglich Klima, Gender und Sprechverbote, aufgerufen, aber in Hettches Buch sind das eben nie bloße Schlagworte. Der Erzähler hat seinen Unijob verloren, weil seine Themen nicht mehr in die Zeit passen, heißt es weiter, während sich das Wallis wiederum dystopisch verändert hat. Weitere Figuren tauchen auf, und auch Popkulturelles, führt die Rezensentin aus, es geht um Schönheit und den Bedeutungsverlust der Männlichkeit. Man kann diese dichte Gedankenwelt regelrecht bewohnen, so das Fazit der enthusiastischen Besprechung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.09.2023

Tief dringt Rezensent Philipp Theisohn in Thomas Hettches neues Buch ein, in dem wieder, wie wir lernen, ein Ort eine besondere Rolle spielt. Und zwar ein Walliser Chalet, das dem Erzähler aus der Kindheit vertraut ist und in das er nun zurückkehrt. Und das außerdem, führt Theisohn aus, von den Witterungsbedingungen bedroht wird, was Hettches Buch aber keineswegs automatisch zum Klimaroman macht. Jedenfalls kapselt sich in den Alpen eine Gemeinschaft von ihrer Umgebung ab, heißt es weiter, und das Wallis wird zu einem Reich der Allegorie, in dem Hettche poetologische Fragen verhandelt. Es tauchen auch Figuren auf, die an gegenwärtige Kulturkämpfe - Stichworte Corona, political correctness - erinnern, was dem Rezensenten nicht gar so gut gefällt, weil dadurch interessantere Fragen in den Hintergrund zu rücken drohen. Denn tatsächlich handele das Buch vom Schreiben als einer Macht des Nichtidentitären und des Selbstverlusts. Am Ende geht es allerdings vor allem, schließt die dem Buch insgesamt äußerst zugetane Rezension, um den Vater des Erzählers.
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