Uwe Timm

Alle meine Geister

Cover: Alle meine Geister
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2023
ISBN 9783462005493
Gebunden, 288 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

In seinem neuen Buch erzählt Uwe Timm von seinen Lehrjahren als Kürschner im Hamburg der Fünfzigerjahre. Von kuriosen Erlebnissen im Beruf und der Welt der Mode, von besonderen Freundschaften und den Büchern, die sein Leben verändert haben. Hamburg 1955 - der noch 14-jährige Uwe wird von seinem Vater, dem Inhaber eines Pelzgeschäfts, in die Kürschnerlehre gegeben. Im Takt der Stechuhren lernt der junge Mann die kreative Präzision, die das heute fast ausgestorbene Handwerk erfordert, schult den Blick für das Material, die Kundinnen, die Tücken und Geheimnisse dieser Kunst. Er lauscht den Geschichten der Kollegen, schließt Freundschaften, bekommt Bücher empfohlen, entdeckt die Stadt und den Jazz. Der Lehrling, der vom Schreiben träumt, liest heimlich im Sortierzimmer Salinger und Camus, begleitet den "roten Erik" auf die Reeperbahn, erkundet mit dem Kollegen Johnny-Look, reichlich schüchtern noch, die Liebe, wird von Meister Kruse politisch initiiert und streitet sich nun umso intensiver mit dem Vater über die NS-Zeit. Inzwischen ist auf dem Pelzmarkt ein Preiskampf ausgebrochen, das Kürschnergeschäft der Familie floriert nicht mehr, und als der Vater plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt, muss der 18-Jährige ein völlig überschuldetes Geschäft sanieren. Die harte Arbeit und die großen Sorgen bringen ihn nicht ab von der Vorstellung eines ganz anderen Lebens.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.01.2024

Nicht abschrecken lassen sollte man sich von dem auf den ersten Blick wenig glamourösen Setting dieses Erinnerungsbuchs Uwe Timms, meint Rezensent Florian Eichel. Denn es gelingt Timm, so erläutert Eichel, die 1950er Jahre, in der der spätere Schriftsteller zunächst das Handwerk des Kürschners erlernte, aufregend darzustellen. Timm schreibt darüber, erfahren wir, wie er bei einem Pelzhändler in die Lehre ging, nebenbei die Widersprüche seines Wohnorts Hamburg kennenlernt und vor allem zur Literatur findet, der er sich dann zu Beginn der 1960er endgültig zuwendet. Es geht also, führt Eichel aus, um prägende Leseerfahrungen von Kafka bis Henry Miller, aber auch darum, wie die Arbeit mit Pelzen auf Timms spätere Arbeit an Texten verweist. Das alles ist hervorragend montiert und bereitet beim Lesen viel Freude, schließt der äußerst angetane Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.10.2023

Ein sinnliches Erlebnis ist die Lektüre von Uwe Timms neuem Buch für den Rezensenten Helmut Böttiger: Gerne liest er über die Kürschnerlehre des Autors in den 50er Jahren, die nicht nur die Basis für das Pelzhandwerk bildet, sondern auch für das spätere literarische Arbeiten, das ebenso Präzision und kunstvolle Arrangements erfordert, lernt der Kritiker. Timm webt dabei auch erste Begegnungen mit Jazz und mit Literatur ein - und mit den titelgebenden "Geistern", den Menschen, die er in der Kürschnerstube kennenlernt und die ihn geprägt haben, wie eine hübsche Blondine, in die er sich verliebt, erzählt Böttiger. In dieses fein gestrickte Netz finden auch gesellschaftliche Entwicklungen Eingang, wie er lobt, etwa die Freundschaft Timms mit Benno Ohnesorg oder die rigiden Kontrollen, denen romantische Beziehungen zu der Zeit unterlagen. Für den Kritiker ein "sehr schönes Buch, das die Gegenwart auf wunderbare Weise aufhebt" und dabei genau die richtigen Lücken lässt, die das Lesepublikum selbst füllen darf.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.09.2023

Die Kunst dieses Buches liegt darin, dass ein Kunstanspruch nicht "angestrengt forciert wird", hält der sachliche, aber letztlich doch mitgerissene Rezensent Markus Schwering fest. Die kunstlose Kunst Timms öffnet ihm einen umso präziseren Blick in die versunkene Welt der fünfziger Jahre, in die Finessen des fast ausgestorbenen, politisch längst nicht mehr korrekten Kürschnerhandwerks und in die Geisteswelt des jungen Uwe, der Kürschner lernte, bevor er Autor wurde, und der als heute 83-Jähriger nicht ohne Ironie auf sein jüngeres Ich zurückblicke. Kürschnermeister Kruse, der als linker Sozi im Widerstand gewesen war, wies den Lehrling Timm auf Eugen Kogons Buch "Der SS-Staat" hin, erzählt der Rezensent, und so wurden Grundlagen für den "zähen Streit über die Vergangenheit" gelegt, der die Familie Timm wie die gesamte Bundesrepublik bis heute prägt. Als Archäologie in eigener Sache ist das Buch für Schwering ein Muss in diesem Bücherherbst.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.09.2023

Ganz hingerissen schwärmt Rezensent Tilman Spreckelsen von Uwe Timms neuem Buch, das nicht nur inhaltlich viel mit dem Kürschnern zu tun hat: Uwe Timm hat in den Fünfzigern eine Ausbildung als Kürschner gemacht und musste nach seinem Abschluss das Geschäft des verstorbenen Vaters wieder auf Vordermann bringen. Davon erzählt das Buch auf eine Art, die der Arbeitsweise des Pelzmachers eng verwandt ist, freut sich Spreckelsen: die Erinnerungen sind verbunden durch "auftrennbare Nähte", die immer wieder neu vernäht werden können. Die Erzählkunst lernt der Protagonist in der Werkstatt, die sich dem Kritiker als "Mikrokosmos der Nachkriegsgesellschaft" präsentiert, wo Veteranen vom Krieg und Pelzmantelträgerinnen von der Flucht erzählen. Nicht zufällig werden auch literarische Verweise von der Odyssee bis zu Camus gestreut, ist doch auch das Lesen wichtiger Teil dieses "fabelhaften" Buches, das sowohl inhaltlich als auch formal von gelungenem Handwerk zeugt, lobt Spreckelsen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 08.09.2023

In seinem Erinnerungsbuch erzählt Uwe Timm - laut Rezensent Jan Drees einer der "wichtigsten" deutschsprachigen Schriftsteller - aus den ersten drei Jahrzehnten seines Lebens, aber er erzählt auch von einem poetischen Prinzip - seiner Poetik, und ihrer Nähe zum Handwerk, dem Handwerk des Kürschners um genau zu sein. Sowie der Kürschner das leblose Tier zu Pelzen, zu Handtaschen und Mützen verarbeitet, ihm eine neue Form gibt, so bearbeitet Timm auch als Schriftsteller sein Material und haucht ihm durch die literarische Bearbeitung neues Leben ein, erklärt Drees. Seine Stoffe gewinnt der Autor aus Beobachtungen, Erzählungen, Berichten, aus der Literatur natürlich und den eigenen Erinnerungen. So beschreibt er hier ein wenig ausführlich, wie seine Familie während des Krieges aus Hamburg floh und schließlich wieder zurückkehrte, wie sein Vater nach dem Krieg eine Kürschnerei eröffnete und wie Timm selbst durch seinen Vater den Kürschner-Beruf erlernte. Dabei widmet er jedem seiner damaligen Begleiter - sowohl den literarischen als auch all den Freunden, Meistern und Gesellen ausführliche Porträts. Viele der Anekdoten in diesem Buch werden Timm-Leserinnen und -Lesern aus anderen Büchern bekannt vorkommen. Dennoch lohnt sich die Lektüre allemal, findet der Rezensent - vor allem für Kennerinnen und Kenner dieses Autors - als "'Summa' des Timm'schen Werkes" und zugleich als Beginn einer interessanten Autobiografie.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.09.2023

Begeistert ist Rezensent Holger Gertz von Uwe Timms Erinnerungsbuch, in dem der Beruf des Kürschners, des Pelzbearbeiters, im Zentrum steht. Timm hat diesen Beruf selbst gelernt und ausgeübt, das Buch ist dementsprechend detailliert und wunderbar kenntnisreich geschrieben, schwärmt der Rezensent, während er von Feh (Eichhörnchens Winterfell) liest oder Pumpf (dem Fell direkt vor dem Schweif). Timm machte seine Lehre im Hamburg der Nachkriegszeit, als es langsam wieder aufwärts ging. Die Lehre war Teil davon, ebenso wie die Bücher, die er - unter einer Leseschwäche leidend, aber angeregt durch seinen Berufsschullehrer - entdeckte: Brehms Tierleben, Humboldt, Salinger oder Camus, erfahren wir. Man spürt wie beeindruckt Gertz von diesem Leben ist, das so stark in der Realität eines Gewerbes ankert und gleichzeitig begierig ist, seinen Blick zu weiten. Auch das Nachkriegsdeutschland nimmt so für den Kritiker Gestalt an. Das perfekte Gegengift gegen die Oberflächlichkeit unserer Zeit im Allgemeinen und der sozialen Medien im Besonderen, findet Gertz, der diesen Roman wärmstens empfiehlt.
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