Viktor Jerofejew

Der Große Gopnik

Roman
Cover: Der Große Gopnik
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783751809351
Gebunden, 614 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Beate Rausch. Viktor Jerofejews epischer Roman ist ein Schelmenstück, das vom Aufstieg Putins handelt, der als Großer Gopnik das verkörpert, was eigentlich nicht möglich sein sollte: einen Halbstarken, einen Rowdy, einen Proll, der nicht nur bis in die höchste Machtzentrale vordringt, sondern sich dort auch hält. Das kann sich nur jemand ausgedacht haben! Aber wer? Jemand, der von seiner Mutter für talentlos gehalten wird und dessen Vater wegen der Veröffentlichung eines kritischen Texts seinen Posten als hochrangiger Diplomat verliert, ein Autor, der niemals so radikal wie seine Schwester O. sein wird, die dem postsowjetischen Russland mithilfe der Pornografie den Spiegel vorhält, und der trotzdem mehr als einmal aus dem Schriftstellerverband fliegt und heute im Exil in Deutschland lebt. Und so erzählt Jerofejew die Geschichte des heutigen Russlands aus der Perspektive des Schriftstellers - dem es freisteht, sich durch Zeit und Raum zu bewegen, Figuren auf- und abtreten zu lassen, Dinge dazuzuerfinden und Erlebtes, Gehörtes und Gesehenes als Schwindel zu entlarven. "Der Große Gopnik ist eine Bewegung durch Zeit und Raum, in der sich Stalin, Putin und die Eltern des Schriftstellers, seine Schriftstellerkollegen und seine Frauen wie zum Abendessen an einem Tisch wiederfinden, um die eine unlösbare Frage zu stellen: Wie konnte es nur so weit kommen?

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 14.11.2023

Die Titelfigur des neuen Romans Viktor Jerofejews, der große Gopnik, ist niemand anderes als Wladimir Putin, stellt Rezensentin Angela Gutzeit fest. Jerofejews Roman präsentiere Putin als Nachfolger, beziehungsweise in einer Szene buchstäblich als Ausgeburt Stalins und zeichne auch ansonsten Russland als ein moralisch komplett bankrottes Land. Nicht Putin selbst steht im Zentrum, stellt die Rezensentin klar, vielmehr geht es um die russische Mentalität, die historisch kaum einmal mit der Idee der Freiheit in Berührung gekommen ist. Auch der Autor selbst spielt mitsamt seiner familiären Herkunft eine wichtige Rolle in dem Roman, in dem diverse Fiktionen, Visionen und auch Essayistisches sowie Reflexionen über den Ukrainekrieg wild durcheinandergeworfen werden, wie Gutzeit erläutert. Auch Jerofejews intellektueller Werdegang wird reflektiert, und schließlich verdoppelt sich der Autor, indem er sich selbst eine Schwester erdichtet, die als Pornoregisseurin so radikal mit der Gesellschaft bricht, wie er selbst es nie vermochte. Nicht wenige Spuren führen in diesem Monstrum von einem Roman außerdem zu Dostojewski, so die Rezensentin, die kritisch anmerkt, dass das Buch bei all dem nicht frei ist von Eitelkeit und Sexismus. Toll findet sie das Ergebnis immer dann, wenn Jerofejew seiner wilden, wütenden Fantasie freien Lauf lässt.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 11.11.2023

Rezensentin Angela Gutzeit wirkt insgesamt beeindruckt von Viktor Jerofejews Roman, hat aber auch ein paar Einwände. Verdienstvoll scheint sie zunächst zu finden, wie sich der Autor, in gewohnt wütend-rasanter Manier, über seine Heimat Russland und eine um sich greifende Dummheit auslässt, über den Emporkömmling Putin, der hier in einer grotesken Szene von Stalin geboren wird, schimpft und sich mokiert. Gewinnbringend und erzählerisch anspruchsvoll verschränkt werde diese Ebene zudem mit der Biografie Jerofejews selbst, der mit dissidenten intellektuellen Aktivitäten seinen Vater um seinen Job als hoher Diplomat brachte. Dabei gehe es zwar auch merklich "eitel" zu, meint Gutzeit, schätzt aber, wie gekonnt der Autor mit der Schnittstelle zwischen Erzählerinstanz und der eigenen Person spiele. Schließlich gibt sie zu bedenken, dass sich in Jerofejews Schreiben immer wieder auch misogyne und anderweitig abwertende Bemerkungen schleichen, die für sie die differenzierte Gesellschaftsanalyse zum Teil "unangenehm übertönen". Umso besser gefällt ihr dafür die "irrwitzige" Ironie, mit der hier manche Szenen bis ins "Absurde Theater" getrieben würden - ein "trotz kritischer Einwürfe faszinierender Roman", schließt sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2023

Mit Viktor Jerofejew und seinem neuen Roman lernt Kritikerin Kerstin Holm den Begriff des Gopnik kennen: Ursprünglich wurden so "kriminell sozialisierte Bürgerkriegskinder" bezeichnet, mittlerweile versteht man darunter Gestalten vom Schlag Putins, der hier fast wie der Große Gatsby eingeführt wird, ohne dass sein Name je fällt, erklärt Holm. Der Roman dreht sich um das Alter Ego des Autoren, dessen Vater Diplomat war, und der den Kreml wie seine Westentasche kennt und deshalb so treffende Bilder von nur geringfügig veränderten, realen Personen zeichnen kann, vermutet die Rezensentin. Die Gopniks bilden eine archaische, verrohte Regierung, die an das Recht des Stärkeren glaubt und auch deshalb die Ukraine überfällt, erfahren wir, in den schrillen Schilderungen des Buchs scheint es keine Hoffnung zu geben, dass Russland sich vom Gopnik-Syndrom befreien und statt eines Mafia-Kodexes wieder den Gesetzen folgen kann. Für die Rezensentin "der Roman der schicksalhaften Stunde".
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 14.10.2023

Ist das Satire? Ja, schon, meint Rezensent Joseph Wälholz, allerdings lasse sich bei Jerofejew die Realität schon immer schwer von der Ironie trennen. Und so scheint sich der Rezensent beim Lesen über sehr unsicheren Boden bewegt zu haben. Dazu hat wohl auch beigetragen, dass der ganze Roman ein großes bric-a-brac ist, Politik, literarische Phantastik, Autobiografisches schwirrt durcheinander, und das oft durchaus brillant, wie der Kritiker anerkennt. Der große Gopnik ist ganz klar Putin, und das passt, meint Wälholz, erkennt man so doch ganz gut, dass das Banditentum der Hinterhöfe im Kreml eingezogen ist. Ganz groß findet Wälholz die Beschreibung der Begegnung Jerofejews mit Putin, dann wieder liest er ganze Passagen, die ihn an ältere Romane des Autors erinnern. Am Ende erkennt er vor allem eins in diesem Roman: Einen Nihilismus, der ihn an den russischen Satiriker Michail Saltykov-Shedrin erinnert.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.10.2023

Rezensent Ijoma Mangold hat sich mit Viktor Jerofejew zum O-Saft im Prenzlauer Berg getroffen, dort lebt der russische Schriftsteller, seit er Russland erst kurz nach Kriegsausbruch mit seiner Familie verlassen hat. Mangold porträtiert Jerofejew als mutigen Putin-Kritiker, dessen Temperament sich auch in seinen Romanen widerspiegele. Und der jüngste Roman strotzt nur so vor Kraft, verspricht der Kritiker, der den "Großen Gopnik" gleich zu einem "Meilenstein der russischen Literatur" erhebt. Gopnik - so werden im Russischen Hinterhof-Schläger bezeichnet, klärt uns Mangold auf. Und mit dem großen Gopnik ist Putin gemeint, auch wenn er nie namentlich genannt werde. Aber wenn ihm Jerofejew von einem geschichtslosen, fatalistischen Land erzählt, in dem sich Grauen und Tyrannei von Iwan dem Schrecklichen bis hin zu Putin zyklisch wiederholen, erkennt der Kritiker: Dieser Roman ist eine meisterhafte, "phantasmagorische" Abrechnung mit Putin. Unzählige einzigartige Szenen enthält er laut staunendem Rezensenten, etwa wenn Jerofejew sich an Stalins Außenminister Molotow erinnert oder ein zufälliges Zusammentreffen zwischen Putin und russischen Schriftstellerin im Élysée-Palast schildert. Was mitunter wie literarische "Fieberträume" erscheint, ist doch pure Wirklichkeit, die in dieses Buch wie eine "gewaltige Ozeanwelle kracht", fährt der Kritiker fort, der noch einen besonderen Vorzug dieses Romans preist: Jerofejew, der sich selbst als Schüler de Sades betrachtet, schert sich nicht um politische Korrektheit - und so ist dieses Buch auch alles andere als ein Lobgesang auf den fortschrittlichen Liberalismus des Westens, schließt Mangold.