Wolf Haas

Eigentum

Roman
Cover: Eigentum
Hanser Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783446278332
Gebunden, 160 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen." Mit liebevoll grimmigem Witz erzählt Wolf Haas die heillose Geschichte seiner Mutter, die, fast fünfundneunzigjährig, im Sterben liegt. 1923 geboren, hat sie erlebt, was Eigentum bedeutet, wenn man es nicht hat. "Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin." Für sie bedeutete das schon als Kind: Armut, Arbeit und Sparen, Sparen, Sparen. Doch nicht einmal für einen Quadratmeter war es je genug.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 06.10.2023

Manchmal braucht auch Kult-Krimi-Schreiber Wolf Haas eine Abwechslung vom Krimischreiben, weiß Rezensent Rainer Moritz. Ein Glück für seiner Leserinnen und Leser, und für das so gehypte Genre der autofiktionalen Literatur! In diesem Fall hat Haas allerdings nicht nur die Abwechslung gebraucht, sondern genau dieses Buch - diesen Stoff, der sich ihm gerade zu aufgedrängt hat, weiß Moritz. Als Haas' Mutter im Sterben liegt und beginnt zu erzählen, ihn so zur "externen Festplatte" macht, kann er nicht anders, als tatsächlich festzuhalten, was sie ihm festzuhalten gibt - die Biografie einer Frau, deren kleinbürgerliches Leben vor allem aus arbeiten, sparen und leiden bestand. Wolf Haas fasst diese Biografie in Literatur, und er tut dies mit einer grundlegenden Zuneigung und gleichzeitig mit einer gewissen Distanz, die ihn sowohl vor Larmoyanz als auch vor Sentimentalität bewahrt. Diese Distanz erzeugt er auf die ihm eigene Weise: Durch seinen Sinn für Komik, seine typische Lakonie, seine "(sprach)kritischen Reflexionen" und viel Selbstreflexion. Genau dieses locker lakonische und dennoch berührende Schreiben empfindet der Rezensent als "eine Wohltat" - vor allem vor dem Hintergrund all der Scham und all des zelebrierten Leidens, die das Genre der Autofiktion momentan dominieren.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 29.09.2023

Rezensent Martin Oehlen ist gerührt vom neuen Roman von Wolf Haas. Wie der Brenner-Autor Erinnerungen an und ein Reqiuem für die eigene Mutter mit Überlegungen zur Unzuverlässigkeit der Erinnerung verschneidet, findet Oehlen lesenswert, süffig geschrieben und tragikomisch im Effekt. Die Pointe, dass der nie wahr gewordene Traum der Mutter von eigenem Grund und Boden sich schließlich doch noch in Form der Grabstätte erfüllt, scheint Oehlen so amüsant wie tragisch. So wie der ganze Roman.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.09.2023

Die Mutter des Erzählers, der dem Autor Wolf Haas ziemlich ähnlich ist, liegt im Sterben, dem Sohn passt das gerade nicht so gut, muss er doch noch eine Poetikvorlesung vorbereiten, erklärt Kritikerin Katharina Granzin. So traurig, wie es zunächst klingt, ist das aber nicht, stattdessen nutzt der Protagonist das Leben der 95-jährigen als Inspiration für seine Vorlesung, erzählt davon und kommentiert Erfahrungen zwischen Krieg und begrenztem Wohnraum mit allen melodischen Wiederholungen wie auch Redundanzen, die dem Text seinen besonderen Tonfall "zwischen Dur und Moll" verleihen. Das "Prinzip der fantasievollen Ausschmückung" sorgt für poetische Scherze und Totengespräche, die Granzin in ihrer abgestimmten Mischung zwischen Humor und Ernst gerne liest. Sie fragt sich nur, wie die auf Privatsphäre bedachte Mutter es wohl gefunden hätte, mit ihren Erfahrungen im Zentrum dieses Romans zu stehen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.09.2023

Rezensent Paul Jandl scheint gerührt von Wolf Haas' Muttergeschichte, auch wenn sie möglicherweise nur ein "Prokrastinationsprojekt" ist. Gelungen findet er, wie sich Haas der Mutter auf ihren letzten Metern nähert, ihrer Demenzerkrankung, ihrer Geschichte, einem von Verzicht geprägten Arbeitsleben. Der Ton ist für Jandl ein Mix aus verhaltener Zuneigung und der bekannten Haas'schen Flapsigkeit. Das "Mutterdrama" als Drama der Sprache kann der Autor dem Rezensenten überzeugend vermitteln.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.09.2023

Rezensent Andreas Platthaus bespricht die gleichzeitig erschienenen neuen Bücher zweier stilistisch vergleichbarer AutorInnen. So sei Nele Pollatscheks Roman "Kleine Probleme" in Sachen (schwarzer) Humor und Jargon zumindest dem bisherigen, aus den Brenner-Krimis bekannten Haas-Tonfall sehr ähnlich, aber auch dessen neues, "ganz anderes" Buch über seine Mutter zeigt dem Kritiker, dass Pollatschek noch nicht ganz mit Haas mithalten könne: Gewohnt brillant findet Platthaus, wie der österreichische Schriftsteller hier gleichzeitig humorvoll und "tiefernst" vom Leben seiner Mutter und ihrem Tod erzählt. Wie in den beiden sich abwechselnden Erzählperspektiven die "Besessenheit" der Mutter immer mehr von der Sprache des Sohnes Besitz ergreife, findet der Kritiker beeindruckend; dass man "nolens volens" Produkt seiner Eltern ist, zeigt ihm dieser Roman eindrücklich. Einen zusätzlichen Reiz gewinnt das Buch für ihn dadurch, dass es beim zweiten Lesen noch "feine Verästelungen der Familien- und Zeitgeschichte" offenbart. Ein gleichzeitig "beglückender" und trauernder Roman, der den Kritiker für sich einnimmt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.09.2023

Höchst angetan ist Rezensent Andreas Lesti von Wolf Haas' Buch über seine Mutter - und das trotz der anfänglichen Befürchtung, die "Hochkultur" des intellektuellen Sohnes könne die Mutter, die ihr ganzes Leben im österreichischen Bergdorf Maria Alm verbrachte, als "schlichte Bergbäuerin" bloßstellen. Aber ganz im Gegenteil: Berührend und literarisch meisterlich findet der Kritiker, wie Haas im Gegeneinander seiner eigenen und der mütterlichen Erzählperspektive deutlich werden lasse, wie im Grunde der alltägliche Umgang mit Sprache auf das eigene Denken "abstrahle" und nicht andersherum. So habe Haas schon als 5-Jähriger und lange vor Goethe oder Nietzsche vom Singsang seiner Mutter gelernt, dass Sprache eigentlich Musik ist, wie Lesti liest. Ein zugleich "einfühlsames", "wütendes" und - trotz der Entstehung kurz vor und nach dem Tod der Mutter - "humorvolles" Buch, schwärmt Lesti, der sich keine schönere Würdigung vorstellen kann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.09.2023

Durchaus angetan begibt sich Rezensentin Julia Rothhaas gemeinsam mit Wolf Haas auf eine Erinnerungsreise. Nacherzählt wird, von deren Sterbebett aus, die Lebensgeschichte der Mutter des Erzählers. Haas verarbeitet in dem Buch laut Rothhaas, wie schon in seinen letzten Arbeiten, persönliche Erfahrungen, insbesondere auch solche, die nicht unbedingt nur angenehm sind. Die Geschichte der Mutter führt, lernen wir, in deren Geburtsjahr 1923 zurück. Als die Inflation wütete. Auch danach, fährt die Rezension fort, ist dieses Leben von Armut und Entbehrung geprägt, zeitlebens sehnt sich die Frau nach Besitz, aber ein Haus, für dessen Bau sie viele Entbehrungen auf sich nimmt, bleibt unfertig. Erst auf dem Friedhof, weiß Rothhaas zu berichten, verwirklicht sich der Traum vom Eigentum. Zärtlich ist da wenig, weder von Seiten der Mutter noch von Seiten des Sohnes, so die Rezensentin. Umso mehr berührt sie der Versuch des Buchs, trotz allem Nähe herzustellen.
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