Zadie Smith

Betrug

Roman
Cover: Betrug
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2023
ISBN 9783462005448
Gebunden, 528 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Tanja Handels. Zadie Smith überrascht mit einem literarischen historischen Roman, der sich um einen der bekanntesten Gerichtsfälle Englands dreht: Der Tichborne-Fall, der Arm gegen Reich aufwiegelte. London 1873. Mrs. Eliza Touchet ist die schottische Haushälterin und angeheiratete Cousine des einstmals erfolgreichen Schriftstellers William Ainsworth. Eliza ist aufgeweckt und kritisch. Sie zweifelt daran, dass Ainsworth Talent hat. Und sie fürchtet, dass England ein Land der Fassaden ist, in dem nichts so ist, wie es scheint. Mit ihrer Schwägerin besucht sie die Gerichtsverhandlungen des Tichborne-Falls, in der ein ungehobelter Mann behauptet, der seit zehn Jahren verschollene Sohn der reichen Lady Tichborne zu sein. Andrew Bogle, ehemaliger Sklave aus Jamaika, ist einer der Hauptzeugen des Prozesses. Eliza und Bogle kommen ins Gespräch und der Wahrheit näher. Doch wessen Wahrheit zählt?

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.12.2023

Rezensentin Nele Pollatschek versucht, sich einen Reim darauf zu machen, dass Zadie Smith 2023 ausgerechnet einen viktorianischen Roman veröffentlicht hat, was angesichts der aktuellen Krisen auch als Verfehlung betrachtet werden könne. Überraschend kommt es für die Kritikerin aber angesichts des ausgeprägten Kultur- und Literaturpessimismus Smiths aber nicht, dessen Entwicklung seit 9/11 sie hier nochmals ausführlich rekapituliert. Der neue Roman nun, der um den historisch belegten Tichborne-Fall herum von der adeligen Erbin Eliza Touchet und dem Sohn eines ehemaligen Sklaven erzählt, greife mit zweifelhaften Erbgeschichten, Schilderungen von jamaikanischen Sklavenplantagen und moralischen Verwicklungen zwar einerseits ganz typische Themen aus dem viktorianischen Roman auf, und auch die "Multiplot"-Erzählform mit kurzen Kapiteln und verzahnten Erzählsträngen entspreche dem. Andererseits hätten, etwa mit der Akzeptanz von Homosexualität oder der postkolonialen Perspektive, auch eindeutig jüngere Paradigmen hier Einzug gehalten. In dieser Mischung und in Smiths differenzierter Verhandlung moralischer, nicht politischer, Fragen liefere die Autorin zwar an keiner Stelle Antworten auf aktuelle Probleme, aber plädiere für ein "humanistisches" Schreiben im Stile George Eliots, schlussfolgert die Kritikerin.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 18.12.2023

Einen raffinierten Roman über fingierte und geheim gehaltene Identitäten hat Zadie Smith laut Rezensentin Sigrid Löffler geschrieben. Die zentrale Hochstaplerfigur ist, lernen wir, Roger Tichborne, ein historischer Betrüger, der im London der 1870er Jahre Schlagzeilen machte, als er sich als Nachkommen einer Adelsfamilie inszenierte. Dabei war er tatsächlich Metzger, führt Löffler aus, trotz seiner nicht allzu überzeugenden Darbietung sammelte er viele Anhänger um sich, die in ihm einen Vorkämpfer gegen elitäre Dünkel sahen. Das passt in unsere Zeit der "fake news", so Löffler, wie überhaupt noch andere Schwindler ihr Unwesen im Buch treiben, zum Beispiel der erfolgreiche, aber talentlose Schriftsteller William Ainsworth. Dessen Haushälterin Eliza Touchet wiederum ist die Erzählerin des Buchs sowie eine Art Alter Ego der Autorin, führt die Rezensentin aus. Eliza verachtet laut Löffler ihre Umgebung und insbesondere auch die Sklaverei, sie ist heimlich lesbisch und katholisch und schreibt obendrein noch einen Roman. Inwieweit wir Zugang zum Leben anderer und damit zu einer Art Wahrheit des Literarischen haben: darum geht es für Löffler in diesem klugen Buch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.12.2023

Dass nun auch Zadie Smith einen historischen Roman schreibt, darüber freut sich Rezensentin Caroline Jebens sehr: Im Zentrum steht der Prozess um einen Hochstapler, der behauptet, ein verschollener Adliger zu sein. Vielmehr aber noch geht es um die Fragen, die hinter diesem Prozess stehen, Fragen nach Klasse, Geschlecht und Ruhm, danach, wer im viktorianischen England weswegen verurteilt werden kann und wer über wen richtet, erfahren wir. Den "erzählerischen Anker", so Jebens, bildet dabei Eliza Touchet, die Haushälterin eines in Vergessenheit geratenen Schriftstellers, in dessen Haus Charles Dickens und William Thackeray ein- und ausgehen. Sie verfolgt die Gespräche der Männer um aufstrebende soziale Bewegungen und gibt sie mit trockenem Witz und manchmal etwas zu stark an die Autorin selbst erinnernder interpretatorischer Überlegenheit wieder - für die Kritikerin neben einer Geschichte des "Selbstbetrugs derjenigen, die um etwas betrogen wurden", auch eine spannende Auseinandersetzung Smith' mit ihren schriftstellerischen Urahnen, wie sie abschließend bekundet.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 21.11.2023

Sehr angetan ist Rezensent Paul Jandl von Zadie Smiths Roman über Arthur Orton, einen Hochstapler des 19. Jahrhunderts, der die britischen Massen mit Lügengeschichten über seine vermeintliche wohlhabende Herkunft um den Finger wickelte, schließlich jedoch im Gefängnis landete. Parallelen zu Donald Trump sind nicht zu übersehen, meint Jandl, der gleichzeitig begeistert davon ist, wie detailverliebt die Autorin sich in das historische Setting versenkt hat. Hauptfigur ist, lernen wir, Eliza Touchet, Haushälterin des Schriftstellers William Ainsworth, wodurch auch andere bekannte Literaten und Künstler der Zeit Auftritte im Buch haben. Touchets Liebesleben spielt ein wichtige Rolle im Buch, führt der Rezensent aus, außerdem werden der Sklavenhandel und der britische Kolonialismus thematisiert und mit dem Londoner Reichtum kontrastiert. Insgesamt ist das ein Roman, der schlicht sehr oft recht hat, so das Fazit.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 04.11.2023

Ein "hinterlistiges", ein "trügerisches" Buch nennt Rezensent Richard Kämmerlings Zadie Smith' ersten historischen Roman. Wir lesen von einem eitlen Literaten in der Schreibkrise, dessen selbstbestimmter, politisch engagierter Cousine, die eine Affäre mit seiner erster Ehefrau hat, einem merkwürdigen Betrugsfall, indem ein ausgewanderter Fleischer erklärt, er sei der verschollene Erbe eines alten Adelsgeschlechts, und von jeder Menge weiterem Klatsch. Humoristisch, leichtfüßig, heiter kommt das alles zunächst daher, meint Kämmerlings, bis dann nach etwa der Hälfte der rund 500 Seiten das eigentliche Thema in die Erzählung - die bittere Realität in den bürgerlichen "Jahrmarkt der Eitelkeiten" einbricht, oder man könnte auch sagen: der unsichtbare Grund, auf dem diese Gesellschaft errichtet ist, an die Oberfläche tritt: Ausbeutung und Kolonialismus. Erschütternd, "genial-schockhaft" ist diese postkoloniale Wende laut Kämmerlings, mit der Smith alles Vorangegangene, all das vermeintlich harmlose Geschwätz und Getratsch, auch die scheinbare Progressivität einiger Figuren, in ein anderes, grelles, enthüllendes Licht rückt. In diesem Licht wird die unangenehme, zeitlose Wahrheit deutlich sichtbar: Das Wohlergehen dieser Gesellschaft wurde mit einer grandiosen Verdrängung erkauft.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 01.11.2023

Rezensentin Maike Albath ist begeistert von den "temporeichen Kurzkapiteln", die Zadie Smith in einen Roman über Großbritanniens "doppelbödiges Verhältnis" zu seiner Ex-Kolonie Jamaika verwandelt hat. Dabei überrascht Albath zuerst das Sujet: Untypisch für die Autorin erscheint der Kritikerin die Beschäftigung mit dem viktorianischen London: Es geht um den Schriftsteller Ainsworth und einen Prozess, der ihm weiteren Sinne mit Großbritanniens kolonialem Erbe zu tun hat, erfahren wir. Smith gelingt es, so Albath, das historische Umfeld genau zu rekonstruieren und integriert mit mehreren Rückblenden eine zweite Zeitebene in den Roman, staunt Albath. Ein Roman, der es schafft, auch die gegenwärtigen Verhältnisse leichthändig und zugleich scharf zu analysieren, schließt Albath.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.10.2023

Rezensent Adam Soboczynski trifft sich mit Zadie Smith in einem Pub in der Nähe des Londoner Hyde Parks, um zu erfahren, weshalb Smith erstmals einen historischen Roman geschrieben hat. Am Versuch, den Populismus der Gegenwart zu beschreiben, sei sie gescheitert, erklärt sie. Um zu zeigen, wie leicht Menschen zu Mittätern werden können, konzentrierte sie sich daher auf den historischen Fall um den fetten, grobschlächtigen Metzger Arthur Orton, der vorgab, der mehr als ein Jahrzehnt zuvor auf einer Seereise verschwundene Gentleman Tichborne Case zu sein und versuchte, dessen Erbe einzuklagen. Den Kritiker haut das "opulente" Werk einfach um: Wenn ihm Smith erzählt, wie die Massen trotz offenkundiger Gegenbeweise, aber dank intensiver medialer Berichterstattung auf den Betrug hereinfielen, erkennt Soboczynski schnell die Aktualität des Romans. Der besondere Clou ist dabei, dass es gerade die sich klassenkämpferisch und progressiv gebende Bewegung ist, die auf die Geschichte hereinfällt, fährt der Kritiker fort, der ganz nebenbei lernt, dass keine Ideologie gegen Unvernunft gefeit ist. Auch die Parallelhandlung, die sich um Tichbornes ehemaligen Sklaven Andrew Bogle dreht, zieht den Rezensenten in den Bann: Anhand von dessen Schicksal liest er von Plantagenarbeit, brutaler Sklaverei auf Jamaika oder Epidemien. Überhaupt gelingt es Smith, sämtliche Debatten und Konflikte im England des 19. Jahrhunderts zu behandeln und zu analysieren, ohne den Kritiker dabei je aus seinem "Leserausch" zu reißen. Dass Smith in ihrem dezidiert nicht postkolonial verstandenen Roman auch formal überzeugt, etwa in dem sie mit bewussten Störungen des Plots der Zerrissenheit ihrer Figuren entspricht, ist für den Rezensenten ein zusätzliches Plus.