Zeruya Shalev

Nicht ich

Roman
Cover: Nicht ich
Berlin Verlag, Berlin 2024
ISBN 9783827014764
Gebunden, 208 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Wie überlebt man es, die Familie für eine neue Liebe zu verlassen?Wer weiß schon, was der Erzählerin in diesem halben Jahr wirklich geschah. Die junge Frau, die noch nicht einmal ihren Namen verrät, tischt uns eine Geschichte nach der anderen auf. Nur eins scheint klar: Sie hat Mann und Tochter für ihren Geliebten verlassen und nun zerbricht sie daran. Der Spiegel, den sie sich erzählend vorhält, scheint in Stücke gesprungen und in jeder Scherbe schillert eine andere Version. Trauer, Verlassenheit, Angst und Wut lassen sie die Welt als Apokalypse des Schmerzes erleben … Als dieser provokante Klagegesang von 30 Jahren erstmals erschien, rief er in Israel wütende Empörung hervor.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 19.01.2024

Rezensent Carsten Hueck freut sich über die deutsche Erstveröffentlichung von Zeruya Shalevs Debütroman. Dass der Text über die Selbstbefreiung einer jungen Mutter so frisch wirkt, liegt für Hueck einerseits am Thema, das vor 30 Jahren so noch kaum jemand anpackte, andererseits an Shalevs "eruptiver", dichter Darstellung von Gewaltfantasien und Verzweiflung. Manchmal scheint es Hueck, als kotze sich die Protagonistin die Seele aus. Gegen die (damaligen) Rollenklischees der israelischen Gesellschaft setzen sich Figur und Text gleichermaßen beeindruckend zur Wehr, findet Hueck.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.01.2024

Seiner Zeit voraus war Zeruya Shalevs Debütroman in seinem Erscheinungsjahr 1993, so Rezensent Carsten Hueck. Jetzt erscheint er erstmals auf deutsch und präsentiert eine Seite der Bestsellerautorin Shalev, die bislang hierzulande unbekannt war. Wild, eruptiv und wütend ist diese Prosa, erfahren wir, die Autorin zeichnet in immer neuen Variationen das Bild einer in sich zerrissenen Weiblichkeit. Die Ich-Erzählerin zieht gegen aktuelle und ehemalige Männer in ihrem Leben vom Leder, erfahren wir, auch das Verhältnis zu ihrer Tochter bleibt ambivalent, außerdem vermischen sich Wirklichkeit, Imaginationen und Ängste, was unter anderem dazu führt, dass schon einmal statt ihr ihr Mann schwanger wird. Ein wuchtiges, von mündlichen Sprachtraditionen beeinflusstes und inzwischen, in Zeiten literarischen Empowerments, hochaktuelles Buch ist das, schließt der beeindruckte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 06.01.2024

Die Mühe, die die Lektüre von Zeruya Shalevs Debütroman kostet, verschweigt Rezensentin Mara Delius nicht. Sie aber lässt sich bereitwillig auf das Erzählexperiment ein, das sie auch als Studie über ein "postmodernes Frauen-Ich" liest. Worum geht es? Eine Frau verfällt über ihre Doppelrolle als Mutter und Ehefrau dem Wahnsinn, hat oder hatte eine Affäre, ganz klar wird das nicht. Denn eine kohärente Handlung gibt es nicht, erklärt Delius, vielmehr reihen sich "somnambule" Szenen aneinander, Splitter, aus denen sich das "Ich" der Erzählerin zusammensetzen lassen soll. Dabei gelingt es aber nicht immer, die Erzähllinien zusammenzuführen, fährt die Rezensentin fort, der hier eine Frau mit Penis oder ein Mann mit Gebärmutter begegnet. Das "sphärische" Sinnieren über Frauen und Männer ist nicht ganz Delius' Sache. Wie Shalev aber die "Hyperwahrnehmung" der Erzählerin, deren Ich sich im Zuge der Auflösung ganz befreit, gestaltet, scheint der Kritikerin geglückt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.01.2024

Rezensent Felix Stephan bedauert, dass Zeruya Shalevs Debütroman trotz seiner 30 Jahre noch aktuell ist wie am ersten Tag. Shalevs surrealistisch gefasster Bewusstseinsstrom einer jungen Mutter, der laut Stephan nicht nur unbarmherzig das "unaufgeräumte" Liebesleben der Figur offenlegt, sondern auch Verdrängtes der israelischen Geschichte ans Licht holt, scheint ihm erstaunlich treffsicher und leider wieder sehr lesenswert.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.01.2024

Als Zeryua Shalevs Debütroman vor dreißig Jahren erschien, galt er als Skandal. Und wenn man Adam Soboczynskis Kritik liest, ahnt man, weshalb der Roman am liebsten in den Giftschrank verbannt worden wäre: Wie eine verbotene Substanz erscheint ihm der Roman, der ihn in einen "bewusstseinserweiternden" Rausch versetzt. Dabei geht es vordergründig erstmal nur um eine Frau, die Mann und Kind für einen wenig aufregenden Liebhaber verlassen hat und ihren Entschluss bald bereut. Wie Shalev davon aber erzählt, in surrealen Episoden, ist von geradezu "bizarrer Pracht", versichert der Kritiker, der uns ein paar Einblicke beschert: Der Vater der Erzählerin etwa verwandelt sich in eine Kuckucksuhr, dem verlassenen Ehemann wächst eine Gebärmutter, die Tochter erscheint als "kalte Puppe", während die unter verschiedenen Namen auftretende Erzählerin Teddys pflanzt. Soboczynski bemüht sich eine Weile, all das zu deuten und kommt schließlich auf die Idee, Freuds Traumtheorie anzuwenden, um zumindest einige Bilder zu entschlüsseln. Das mag ein wenig Mühe erfordern und mancher Leserin wird all das zu "überdreht" vorkommen, räumt der Kritiker ein. Für ihn aber ist Shalevs Debüt nicht zuletzt dank Anne Birkenhauers exzellenter Übersetzung eine "flirrende Offenbarung".