Die Sonntagsbeilage der
katalanischen Tageszeitung
La Vanguardia analysiert noch einmal die Hintergründe der
Madrider Bombenanschläge und des darauffolgenden Machtwechsels in Spanien (Zugang nach einfacher Registrierung). Santiago Tarin
rekonstruiert präzise, wie die Regierung von Jose Maria Aznar versuchte, die wohl von Al Qaida begangenen Bombenanschläge der baskischen Untergrundorganisation ETA in die Schuhe zu schieben. Das war ein kolossaler Fehler, wie ein von Bru Rovira interviewter
Psychologe erklärt, der für die spanische
Feuerwehr arbeitet: "Um
Schmerz ritualisieren zu können, braucht ein Mensch Schuldige. Das Opfer verzeiht keine Täuschung und Lüge. Eine der Dinge, auf die wir bei unseren Kursen Polizisten und Feuerwehrmänner am meisten hinweisen, ist, dass sie immer die
Wahrheit sagen sollen. Ein Opfer, dem nicht die Wahrheit gesagt wurde, wird sich daran immer mit
zusätzlichem Schmerz erinnern". Innenminister
Angel Acebes, der drei Tage lang, wahrscheinlich wider besseren Wissens, ETA für die Anschläge verantwortlich machte, hat derlei Seminare offensichtlich nicht besucht.
Der
Wahlsieg der Sozialisten hat indes ebenso viel mit der Mobilisierung von mehr als 2,5 Millionen Spaniern zu tun, die an den vorherigen Wahlen im Jahr 2000 nicht teilnahmen, wie Manuel Diaz Prieto
erklärt. Viele von ihnen sind erst in den achtziger Jahren geboren. Ihr Aufbegehren gegen die konservative Regierung steht für eine
neue linksalternative Generation, die sich anschickt die vorherige "konsumfreundliche, apolitische und die Freiheit höher als die Gleichheit schätzende" Kohorte abzulösen. "Sie sind in kleinen, sehr heterogenen Kollektiven zusammengeschlossen, die nach Galizien reisten, um Ölschlacke von den Stränden aufzusammeln, sie sympathisieren mit den Hausbesetzern, sie schließen sich NGO's an, und sie sind keineswegs isoliert, sondern organisieren sich in
Netzwerken. Ihr Durchbruch kam mit den Demonstrationen gegen den Irak-Krieg".
Einen Tag vor der Wahl kam es zu spontanen
Protestkundgebungen gegen die Informationspolitik der Regierung. Magda Bandera
beschreibt, wie sich diese Gegenöffentlichkeit über
Handys organisierte. "SMS-Nachrichten sind etwas Besonderes: wer sie verschickt, steht für sie gerade. Niemand führt Unbekannte im Adressbuch seines Handys. Ich glaube einem Freund mehr als dem Fernsehen, dem Radio oder einem Unbekannten", erklärt der Netzwerk-Spezialist
Javier Canada, der zu diesen Demonstrationen eigens eine
Internet-Seite einrichtete.
Francesc-Marc Alvaro
widmet dem 51-jährigen Noch-Regierungschef
Jose Maria Aznar einen ersten
Nachruf: "Die politische Karriere Aznars ist die Fabel eines Mannes, der bewusst all das zerstörte, was er mit einer außergewöhnlichen Beharrlichkeit aufgebaut hatte. Er war der
brandstiftende Architekt eines Projekts mit historischen Dimensionen: die spanische post-franquistische Rechte zu normalisieren, zusammenzuschweißen, zu modernisieren und zukunftstauglich zu machen. Dieses Unternehmen gelang ihm zufriedenstellend, bis seine Entschlossenheit sich in
Verblendung, Sturheit und Verachtung der allgemeinen Stimmung verwandelte. Sein Zentrismus war nur von kurzer Dauer. Aznar kollidierte mit Aznar".
Weitere Beiträge dieser sehr lesenswerten Beilage beschäftigen sich mit der Art und Weise, wie die spanische
Regenbogenpresse die Anschläge verarbeitete (
hier); den Schwierigkeiten, eine Organisation wie Al Qaida zu
infiltrieren (
hier); und den psychologischen
Langzeitfolgen für Menschen, die Attentate direkt oder indirekt erleben (
hier und
hier).