Selbst in Amerika gibt es noch ein paar Nischen, in denen sich die klassische Linke gegen die modische wehrt. Die
World Socialist Web Site ist einer der Hauptorte, wo das berühmte "
1619 Project" der
New York Times kritisiert wird. Dieses Projekt (unsere
Resümees), für das die Journalistin
Nikole Hannah-Jones den Pulitzer-Preis bekam, versucht den eigentlichen Ursprungspunkt der Vereinigten Staaten auf das Jahr 1619 zurückzuverlegen, als das erste Boot mit einer Handvoll schwarzer Sklaven anlandete. Die
amerikanische Revolution, schreibt Hannah-Jones in ihrer Einleitung des Projekts, wurde im Grunde nur ausgefochten, um die "Peculiar Institution" der
Sklaverei zu retten - woraufhin sich ein Sturm von Gegenstimmen erhob, auf den Jake Silverstein Anfang November in der
New York Times antwortete - diese Antwort begleitete zugleich
das Buch, das die
New York Times jüngst über ihren neuen Blick auf die amerikanische Geschichte herausbrachte "The 1619 Project: A New Origin Story".
Hätten deutsche Zeitungen noch Kulturkorrespondenten, hätten sie vielleicht intensiver über die Debatte berichtet. Denn hier geht es, ähnlich wie in der deutschen Debatte um A. Dirk Moses um den Widerstreit zwischen Geschichte und "Narrativ", Fakten und
politisch erwünschten Wahrheiten. Der Streit ist um so giftiger, als selbstverständlich auch die
Trumpianische Rechte sich seiner bemächtigte und ihn für ihre Zwecke ausbeutet.
Auf der
World Socialist Web Site antwortet nun der Historiker
Tom Mackaman auf Silversteins Artikel und das Buch. Ihn stört schon Hannah-Jones' Grundkonzept des Projekts, an dem
fast nur schwarze Historiker beteiligt waren: "Wenn nur schwarze Historiker wirklich wissen können, was in 'black history' zur Debatte steht, muss daraus folgen, dass nur Weiße in der Lage sein können, die 'weiße Geschichte' zu kennen. Daraus folgt, dass schwarze Historiker sich nicht mit Episoden der Geschichte befassen sollten, in denen die Akteure überwiegend weiß waren - zum Beispiel mit der politischen Geschichte der amerikanischen Revolution oder des Bürgerkriegs. Diese Sichtweise ist offensichtlich
durch und durch reaktionär. Dennoch bedingte sie den Versuch der
Times, 'fast jeden Mitarbeiter' für das 1619-Projekt auf der Grundlage der schwarzen Identität auszuwählen, wie die Zeitung bei der Vorstellung des Projekts schrieb."
Silverstein
verteidigt in seinem
New York Times-Artikel mit geringen Einschränkungen die These, dass die Revolution zur Verteidigung der Sklaverei ausgefochten wurde, obwohl etwa Autoren wie Leslie M. Harris in
Politico eingewandt hatten , dass die Sklaverei damals von Britannien
überhaupt nicht in Frage gestellt und etwa in der Karibik eifrig weiter betrieben wurde, trotz des entstehenden Abolitionismus. Silverstein verteidigt auch die Idee des "Narrativs": In Antwort auf eine Rede des Gouverneurs Ron DeSantis schreibt er: Das Bestehen auf
historischer Überlieferung sei selbst ahistorisch. "Wer die '
eigentlichen Fakten' gegenüber dem Narrativ hervorhebt wie der Gouverneur und viele andere, scheint von der Prämisse auszugehen, dass Geschichte eine ein für alle Mal
fixierte Sache ist. Und dass Historiker nur dafür da seien einen Bestand relevanter Fakten zu hegen und zu verbreiten."
Mackaman schreibt zu diesem Argument Silversteins und Hannah-Jones': "Ihnen gilt Narrativ schlicht
als eine '
Story', die über die Vergangenheit erzählt werden kann - tatsächlich haben sie ihrem Buch den Untertitel ' A New Origin Story' gegeben. In ihrer Sicht der Dinge ist eine Geschichte
so gut wie die andere."