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World Socialist Web Site

1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 07.12.2021 - World Socialist Web Site

Selbst in Amerika gibt es noch ein paar Nischen, in denen sich die klassische Linke gegen die modische wehrt. Die World Socialist Web Site ist einer der Hauptorte, wo das berühmte "1619 Project" der New York Times kritisiert wird. Dieses Projekt (unsere Resümees), für das die Journalistin Nikole Hannah-Jones den Pulitzer-Preis bekam, versucht den eigentlichen Ursprungspunkt der Vereinigten Staaten auf das Jahr 1619 zurückzuverlegen, als das erste Boot mit einer Handvoll schwarzer Sklaven anlandete. Die amerikanische Revolution, schreibt Hannah-Jones in ihrer Einleitung des Projekts, wurde im Grunde nur ausgefochten, um die "Peculiar Institution" der Sklaverei zu retten - woraufhin sich ein Sturm von Gegenstimmen erhob, auf den Jake Silverstein Anfang November in der New York Times antwortete - diese Antwort begleitete zugleich das Buch, das die New York Times jüngst über ihren neuen Blick auf die amerikanische Geschichte herausbrachte "The 1619 Project: A New Origin Story".

Hätten deutsche Zeitungen noch Kulturkorrespondenten, hätten sie vielleicht intensiver über die Debatte berichtet. Denn hier geht es, ähnlich wie in der deutschen Debatte um A. Dirk Moses um den Widerstreit zwischen Geschichte und "Narrativ", Fakten und politisch erwünschten Wahrheiten. Der Streit ist um so giftiger, als selbstverständlich auch die Trumpianische Rechte sich seiner bemächtigte und ihn für ihre Zwecke ausbeutet.

Auf der World Socialist Web Site antwortet nun der Historiker Tom Mackaman auf Silversteins Artikel und das Buch. Ihn stört schon Hannah-Jones' Grundkonzept des Projekts, an dem fast nur schwarze Historiker beteiligt waren: "Wenn nur schwarze Historiker wirklich wissen können, was in 'black history' zur Debatte steht, muss daraus folgen, dass nur Weiße in der Lage sein können, die 'weiße Geschichte' zu kennen. Daraus folgt, dass schwarze Historiker sich nicht mit Episoden der Geschichte befassen sollten, in denen die Akteure überwiegend weiß waren - zum Beispiel mit der politischen Geschichte der amerikanischen Revolution oder des Bürgerkriegs. Diese Sichtweise ist offensichtlich durch und durch reaktionär. Dennoch bedingte sie den Versuch der Times, 'fast jeden Mitarbeiter' für das 1619-Projekt auf der Grundlage der schwarzen Identität auszuwählen, wie die Zeitung bei der Vorstellung des Projekts schrieb."

Silverstein verteidigt in seinem New York Times-Artikel mit geringen Einschränkungen die These, dass die Revolution zur Verteidigung der Sklaverei ausgefochten wurde, obwohl etwa Autoren wie Leslie M. Harris in Politico eingewandt hatten , dass die Sklaverei damals von Britannien überhaupt nicht in Frage gestellt und etwa in der Karibik eifrig weiter betrieben wurde, trotz des entstehenden Abolitionismus. Silverstein verteidigt auch die Idee des "Narrativs": In Antwort auf eine Rede des Gouverneurs Ron DeSantis schreibt er: Das Bestehen auf historischer Überlieferung sei selbst ahistorisch. "Wer die 'eigentlichen Fakten' gegenüber dem Narrativ hervorhebt wie der Gouverneur und viele andere, scheint von der Prämisse auszugehen, dass Geschichte eine ein für alle Mal fixierte Sache ist. Und dass Historiker nur dafür da seien einen Bestand relevanter Fakten zu hegen und zu verbreiten."

Mackaman schreibt zu diesem Argument Silversteins und Hannah-Jones': "Ihnen gilt Narrativ schlicht als eine 'Story', die über die Vergangenheit erzählt werden kann - tatsächlich haben sie ihrem Buch den Untertitel ' A New Origin Story' gegeben. In ihrer Sicht der Dinge ist eine Geschichte so gut wie die andere."