Bertrand Badiou

Paul Celan

Eine Bildbiografie
Cover: Paul Celan
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518429082
Gebunden, 580 Seiten, 68,00 EUR

Klappentext

In Zusammenarbeit mit Nicolas Geibel. Mit einem Essay von Michael Kardamitsis. Mit etwa 800 farbigen Abbildungen. Diese Biografie ist nach Reichhaltigkeit und Novität der Quellen die erste, die über den ganzen Lebensweg Paul Celans in Text und Bild umfassend Auskunft erteilt. Damit betritt sie erklärtermaßen ein Spannungsfeld und stellt sich einer doppelten Herausforderung: Denn Celan lehnte das Biografische, zumal die biografische Annäherung an seine Dichtung, entschieden ab und stand auch dem Medium der Photographie ausgesprochen skeptisch gegenüber. Lediglich eine einzige gerahmte Fotografie war in seiner Wohnung sichtbar: jenes eine Bild, das Celan von seiner Mutter besaß, die im Alter von 47 Jahren in der Ukraine von der SS ermordet wurde. Und doch versucht diese Dokumentation aus Bildern, die zu erläutern sind, und in Texten, die von Bildern begleitet werden, über Celans Leben so eindringlich wie episodisch Bericht zu erstatten. Denn jeder Anekdote und jedem Bild, wie sehr sie auch der Oberfläche verhaftet und gegen Celans apodiktische Aussage "Echte Dichtung ist antibiografisch" zu verstoßen scheinen, ist doch die ethische und poetologische Dimension seines Lebens untilgbar eingeschrieben. Und so schöpft dieses Buch aus privaten photographischen Archiven und aus Celans Nachlass, insbesondere aus den noch immer unveröffentlichten Tagebüchern, gerade an jenen Stellen, wo der Dichter von seinen seelischen Störungen und seinem dichterischen Wirken und Widerstehen wie zu sich selbst spricht. Aus ihnen wird hier zum ersten Mal ausführlich zitiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.01.2024

Der Schriftsteller Boris Schumatsky, der selbst einen Roman über Celan schreibt, kann diese Celan-Biografie von Bertrand Badiou, den er in Paris getroffen hat, nur empfehlen. Badiou hat seine Kenntnisse über Celan aus seinen Gesprächen mit Zeitzeugen gewonnen, besonders aus den Gesprächen mit Celans Frau Gisèle Celan-Lestrange und ihrem Sohn Eric. Es war eine sehr schwierige Beziehung, lesen wir. Celan, dessen Mutter im KZ ermordet wurde, schwankte zwischen Depressionen und Wahnvorstellungen, hatte immer wieder Geliebte und litt an einer "Lebenswut", die ihn bis in die Psychiatrie führte. Dazu kam eine jahrelange Hetzkampagne Claire Golls, die sich problemlos in die "antisemitische Grundstimmung der Zeit" einpasste, so Schumatsky. Dass Freunde wie Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll dazu schwiegen, erinnert den Kritiker an das heutige Schweigen bei vielen, wenn es um die Gräueltaten der Hamas geht. Insgesamt kann Badiou sehr gut die Balance halten zwischen Forschung und mündlicher Erzählung, versichert Schumatsky, der das Buch als "Ereignis" preist.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.12.2023

Rezensent Andreas Bernard tut sich schwer mit Bertrand Badious Celan-Biografie. Dass das Mammutwerk enormen Wert für die Celan-Forschung hat, möchte er dabei nicht bestreiten: Auf knapp 600 Seiten habe Badiou das Leben des Schriftstellers anhand unzähliger neuer Text- und Bilddokumente akribisch rekonstruiert; der Kritiker zollt dem "spektakulären Maß an editorischer Arbeit" Respekt. Was ihm allerdings nicht gefällt, ist der weihevolle Ton, mit dem der Biograf Celan quasi zu einem Heiligen erhebe, der alles in Gold verwandele. Diese Unterwürfigkeit führt für Bernard schließlich auch zu einem hermeneutischen Übereifer des Autors, in dem selbst ein schlichter Kalendereintrag - "Mama", am Geburtstag der Mutter - zu analytischen Ausschweifungen führt. Das scheint der Kritiker nicht mehr ernst nehmen zu können. Was ihn schließlich aber fast noch mehr stört, ist die Art und Weise, in der Badiou die poetische mit der sexuellen Sphäre in Celans Leben vermische und dabei in "irritierende" Passagen zur Erotik abdriftet. Einer neuen Leserschaft wird der Dichter in dieser auratisierenden Darstellung gerade nicht zugänglich gemacht; eher im Gegenteil, schließt Bernard skeptisch.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 11.12.2023

Über Paul Celan ist fast alles gesagt worden, weiß Rezensent Paul Jandl, doch Bertrand Badiou hat in Zusammenarbeit mit Celans Sohn Eric eine Bildbiografie geschaffen, die den Dichter in viel mehr Facetten zeigt als nur der düsteren, todesfaszinierten, die das öffentliche Bild beherrscht. Badiou setzt das Leben Celans in einem "grandiosen Bild-Text-Puzzle" zusammen, lobt Jandl. Er kann dessen Zeit in Bukarest genauso mit neuem Blick sehen wie den Urheberrechtsstreit mit Claire Goll, aber auch das Familien- und Affärenleben, das sich nicht nur auf Ehefrau Gisèle Lestrange und die Liaison mit Ingeborg Bachmann beschränkt, wie der Kritiker hier aus erstmals zugänglichen Dokumenten erfährt. Besonders berührt ihn das Inventar, das am Ende des Buches und auch des Lebens des Dichters steht und neben einer Uhr den Ausweis und Fotos enthält - und einen Kalender mit Terminen, die nach Celans Suizid angesetzt waren, wie der sichtlich berührte Rezensent abschließend festhält.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.12.2023

Rezensent Martin Oehlen empfiehlt Celan-Fans die Bildbiografie von Bertrand Badiou. Der Band besticht laut Oehlen nicht nur durch genaue Recherche und Quellenarbeit, sondern auch mit unveröffentlichten Tagebuchstellen und Fotos. Faszinierend erscheint Oehlen Badious Spurensuche, die Leben, Werk und Abbildungen zueinander ins Verhältnis setzt, auch wenn sie sprunghaft ist und manches verkürzt, anderes wieder äußerst ausführlich dargestellt wird. Biografisch werden die großen Linien nachgezeichnet und Celan erscheint auch als Privatmann, so Oehlen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 28.11.2023

Ein Meilenstein der Paul-Celan-Forschung ist Bertrand Badious Bildbiographie für Rezensent Helmut Böttiger. Gründlich korrigiert oder jedenfalls komplexer gestaltet, wird in ihr ein Celan-Bild, das in dem Dichter nur den düsteren, von seiner Erfahrung als überlebender Jude nach der Shoah gezeichneten Schmerzensmann sehen will. Ins Zentrum rückt hier, vermittels teils erstmals präsentierter, teils vorher wenig bekannter Dokumente und Bilder, der Privatmensch Celan, führt Böttiger aus. Die Texte Badious kommentieren diese Quellen knapp, angestrebt wird laut Rezensent keine Komplettschau eines Lebens. Celans Jugend im Czernowitzer Ghetto wird, heißt es weiter, ebenso thematisiert wie die Zeit zwischen 1945 und 1947, die er in Bukarest verbrachte und in der er ein Bohème-Leben lebte. Insgesamt erfährt Böttiger aus Badious Buch viel über Celans diverse Geliebten aus dieser Zeit und auch aus späteren Jahren. Neben den bekannten Beziehungen etwa mit Ingeborg Bachmann und Ilana Shmueli tauchen, führt der Rezensent aus, weniger bekannte Affären auf, insgesamt wird deutlich, dass erotische Eroberungen ein wichtiger Teil seines Lebens waren. Ins Sensationslüsterne gleitet das freilich nie ab, stellt Böttiger klar. Auch Celans psychische Probleme werden neu kontextualisiert, lernen wir. Manche Fragen bleiben für Böttiger offen, etwa Celans Verhältnis zur Gruppe 47 betreffend, aber das ändert in seinen Augen nichts am Wert dieser Veröffentlichung.