Christa Wolf

Leibhaftig

Erzählung
Cover: Leibhaftig
Luchterhand Literaturverlag, München 2002
ISBN 9783630871127
Gebunden, 192 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Christa Wolf kehrt zurück aus der antiken Mythologie in unsere gegenwärtige Geschichte und beschreibt die lebensbedrohliche Krankheit einer Frau. Leibhaftig ist die namenlose Heldin ihrer neuen Erzählung einer existentiellen Krise ausgesetzt: die Krankheit bringt sie an den Rand des Todes, macht ihren Körper zum Seismographen eines allgemeinen Zusammenbruchs und damit auch zum Schauplatz für Wolfs ureigenes Thema: den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Wie ausweglos muss die Krise einer Gesellschaft sein, daß sich ihr Niedergang so in das Individuum einschreibt...

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Christa Wolfs Erzählung "Leibhaftig" erschien im Februar 2002. Die Zeitungen sprechen nur noch über die Neuerscheinungen des kommenden Herbstes. So sollen die Journale es halten. Wir brauchen das nicht zu tun. Wir lesen und lesen wieder. Und gerade habe ich Christa Wolfs Erzählung wieder gelesen. Sie ist noch großartiger, als sie es bei der ersten Lektüre war. Es ist das mutigste Buch, das seit vielen, vielen Jahren auf deutsch erschienen ist. Die Autorin erwähnt Thomas Manns "Schwere Stunde" und die Kunstfertigkeit, mit der Mann in dieser kleinen Geschichte seine eigene Krise in der Schillers verbirgt und zugleich offenbart. Christa Wolfs Erzählung bedient sich keiner anderen Person. Christa Wolf spricht von sich. Aber wer das ist, bleibt unklar. Einmal sagt sie "ich", einmal "du", dann wieder aus gewaltigem Abstand "ihr". Das ist kein erzählerischer Trick, nicht die Attitüde eines heiter-verrückten "ich bin viele". Es ist der Zustand einer Person, die in äußerster Bedrängnis ihr Ich, über das sie einmal in aller Selbstverständlichkeit verfügte, zusammen zu halten versucht...
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.03.2002

Vielen anderen Kritiken zum Trotz sieht Rezensentin Susanne Messmer in Christa Wolfs neuem Roman "Leibhaftig" kein "neues DDR-Buch", denn für sie ist es "beinahe heroisch" wie Christa Wolf hier nun "das Heroische verabschiedet", wie die Autorin das Leben "vor der eigenen Haustüre" beschreibt, ohne dabei mit der Sinnhaftigkeit großer Parabeln auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zu verweisen. "Leibhaftig" sei eine "angenehm unspektakuläre Krankheitsgeschichte", die natürlich nicht ganz ohne DDR-Erinnerungen auskommt, jene aber nicht "kausal" mit dem Zustand des Körpers belegt. Das und auch wie die Autorin ihrer Leserschaft "beinahe schelmisch" etwas ganz Neues vorsetzt, wie sie sich aus der Funktion der "Mahnerin" bewusst heraus löst und im Kleinen nicht stets die Erklärung für das Große sucht, findet die Rezensentin beachtenswert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.03.2002

Stephan Maus' ebenso umfangreiche wie vernichtenden Kritik von Christa Wolfs Erzählung "Leibhaftig" lässt sich nur schwer in Kürze wiedergeben. Die namenlose Protagonistin dieser Erzählung, fasst der Rezensent zusammen, leidet an zwei Dingen: an einem bösartigen Geschwür und an der Gesellschaft der DDR. Und dann legt er los: Dieser Text sei leider die "Hagiografie einer übersensiblen Künstlerseele", die ihren Zustand ausgesprochen fantasielos und uninspiriert in Szene setze. Herausgekommen sei "sprachliche Mangelwirtschaft", ein "abgegriffenes Daumenkino", "pathetischer Bombast", gar ein "postponiertes Potemkinsches Schwulstornament". Besonders peinlich findet der Rezensent auch Passagen, in denen sich Wolf in trendigem Vokabular übe, was beim Leser die Annahme hervorrufen könne, er halte ein Buch von Alexa von Hennig-Lange in den Händen. "Diese zusammengestümperte Chronik phantasieloser Wehleidigkeit ist ein überdosiertes Anästhetikum", schimpft Maus - das er offenbar ganz schlecht vertragen hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 28.02.2002

Mit der Erzählung "Leibhaftig" hat sich Christa Wolf davon emanzipiert, "Krankheit als Metapher" zu deuten, meint Rezensent Lothar Müller. Zwar trägt auch diese Erzählung autobiografische Züge, und auch hier wird eine schwere Erkrankung, ein lebensbedrohlicher Blinddarmdurchbruch, beschrieben, doch steht nicht die Krankheit, sondern die Genesung im Mittelpunkt, berichtet der Rezensent. Und gerade diese "Wende" im Werk von Christa Wolf überrascht Müller genug, um die Erzählung literarisch "interessant" zu finden. Wolf hat es geschafft, so Müller, die symbolische Überhöhung des individuellen Leidens an der Gesellschaft zu überwinden und sogar gelegentlich selbstironische, satirische, sarkastische und scherzhafte Töne angeschlagen. Am Ende siegt nicht das Leid, sondern die Lebenslust, schreibt Müller und ist überzeugt, dass Christa Wolf mit dieser Erzählung "ein starkes Stück Rekonvaleszentenliteratur" geschrieben hat.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.02.2002

Schön schon der Titel, schwärmt Rolf Michaelis und doziert ein bisschen über das darin enthaltene Partizipialadjektiv. Soll er. Auch das Thema der Krankengeschichte "als Heilsgeschichte" kann er durchs Wolfsche Gesamtwerk verfolgen. Uns interessiert vor allem, was ihm an der Novelle gefallen hat. Da wären einmal die "freundliche Ironie" und die "genaue Beobachtung", mittels deren die Autorin ihren Kranhausbericht, das Protokoll des Krankwerdens und der Heilung, verfasst. Zum andern aber ist es der innere Monolog, der diesem Bericht über Äußerlichkeiten unterlegt ist. Hier, so Michaelis, mischten sich Gegenwart und Vergangenheit, die Geschichte der Erzählerin und die ihres Landes im letzten Vorwendejahr, eine Ruinenlandschaft deutscher Geschichte tue sich auf, mit deren Zeichnung die Autorin zu ihrer Abrechnung mit Faschismus und Sozialismus finde. Dass Wolf dabei "manchmal heftig das Pedal für mythologische und symbolische Untertöne" bedient (an Bezügen zu Dantes Höllenfahrt fehlt es auch nicht), erscheint Michaelis halb so schlimm: "Der dichte, gut gearbeitete Text hält das aus."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.02.2002

Beatrix Langner beschreibt Christa Wolfs neues Buch als "Bewusstseinsprosa" und meint das offenkundig als Kompliment, denn sie bescheinigt dem Text "charmante Heiterkeit" und "übermütiges Erzähltemperament". Es geht um eine Frau, die Ende der 80er Jahre mit zusammengebrochenem Immunsystem im DDR-Krankenhaus liegt und fantasiert und sich erinnert. Konkreter wird das Referat der Rezensentin leider nicht, dafür erfährt man, dass sie eine "Steigerung der Bildkraft bis an den Rand es Erhaben-Pathetischen" ausgemacht hat (findet sie gut) und dass es um den "Transitraum Seele" geht (findet sie auch gut). Problematisch wird es dagegen, wo "politische Metaphorik" ins Spiel kommt, wo sich Wolf an der Aufarbeitung des Versagens der DDR-Intellektuellen versucht. Der Schaden scheint aber nicht zu groß, denn die Besprechung endet mit einer Hymne auf die Autorin, die mit ihrem Text in "Bereiche des Nichtsichtbaren, Nichthörbaren, Nichtfassbaren" vorgedrungen sei.
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