Dagmar Herzog

Cold War Freud

Psychoanalyse in einem Zeitalter der Katastrophen
Cover: Cold War Freud
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518299937
Kartoniert, 380 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Hitzige Kämpfe tobten in der Folge des Zweiten Weltkrieges um das Erbe Sigmund Freuds. Die verspätete Aufarbeitung des Nationalsozialismus, die sexuelle Revolution und die Dekolonisation stießen fundamentale Transformationsprozesse in der psychoanalytischen Theorie an, die ihrerseits auf die Kultur zurückwirkten. Von den USA über Europa bis nach Lateinamerika schildert Dagmar Herzog die Deutungskämpfe einer Zunft, deren konkurrierende Theorien über Begehren, Angst, Aggression, Lust und Trauma mal konservativen, mal subversiven Zielen dienten - und hält damit ein innovatives Plädoyer für die Psychoanalyse als Erkenntnisinstrument im Dickicht der Verflechtung von Psyche und Gesellschaft.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 20.04.2024

Die US-amerikanische Historikerin Dagmar Herzog hat mit "Cold War Freud", bei Suhrkamp in der Übersetzung von Aaron Lahl erschienen, eine packende Geschichte der Psychoanalyse seit den 40er Jahren geschrieben, findet Rezensent Robert Misik. Die Dokumentation der Entwicklung des Fachs lässt deren Paradoxien nicht aus: denn unpolitisch war die Psychoanalyse nie, vielmehr changierte Freuds Lehre, so der Rezensent, zwischen Anpassung und emanzipatorischen Angriffen auf die herrschenden Verhältnisse. Von Antisemiten als "jüdische" Wissenschaft abgelehnt, verlegte sich ihr Zentrum von Europa in die USA, wo sie sich nach Herzogs Darstellung dem amerikanischen Zeitgeist der McCarthy-Ära unterordnete und entpolitisierte - bis die rebellischen Sechziger Jahre das Terrain wieder aufmischten. Auch die Rolle von postfaschistischen Psychologen bei der Erstellung von Entschädigungsgutachten für Holocaust-Überlebende in der Nachkriegszeit lässt Herzog nicht aus. Ihre widersprüchliche Globalgeschichte der Psychoanalyse liest sich bisweilen wie ein intellektueller Thriller, urteilt Misik. Er kann Herzogs Studie als ein faszinierendes Panorama des Zeitgeistes nur empfehlen.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.01.2024

Zunächst hat Rezensent Jens Balzer bei diesem Buch von Dagmar Herzog befürchtet, es könnte in seiner Beschäftigung mit der Psychoanalyse in der Nachkriegszeit lediglich für ein Nischenpublikum interessant sein, aber er lässt sich gerne eines Besseren belehren. Herzog schreibt für ihn eine gut verständliche, "umfassende Geistes- und Gesellschaftsgeschichte", die einige der vielen Schulen und Strömungen in den Blick nimmt, die sich aus der Freudschen Psychoanalyse entwickelt haben. Besonders verstörend findet der Kritiker die Passagen über psychoanalytische Praktiken in der BRD: Analytiker nutzten die Methode, um Entschädigungsansprüche KZ-Überlebender abzuwehren. Doch auch erfreulichere Entwicklungen wie Ethnopsychoanalyse und feministische Strömungen werden beleuchtet, erklärt der überzeugte Kritiker, der sich hier gerne sowohl von Potentialen als auch Grenzen der Analyse überzeugen lässt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.01.2024

Interessiert liest Rezensent Magnus Klaue Dagmar Herzogs Buch über den Wandel der Psychoanalyse. Herzog setzt, erfahren wir, mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an und rekonstruiert zunächst die Hinwendung der Psychoanalyse zu alltäglichen verhaltenspsychologischen Fragestellungen, wie sie unter anderem von Karen Horney betrieben wurde. Herzog beschreibt diesen Prozess laut Klaue als Verarmung, da er den Freudschen Sexualitätsbegriff bändigt und außerdem an protestantische Verinnerlichungsdynamiken anschließt. Weitere Themen sind, so Klaue, psychoanalytische Reaktionen auf den Kinsey-Report sowie die Fundamentalkritik an der Psychoanalyse durch die Ethnopsychoanalyse sowie Deleuze / Guattaris "Anti-Ödipus". Außerdem zeichne die Autorin nach, wie der Begriff des Traumas sich vom historischen Kontext der Behandlung von Holocaust-Opfern entfernt habe. Dem Rezensenten gefällt, dass Herzog eher auf Zweideutigkeit als auf eindeutige Urteile aus ist, die in der Übersetzung verwendete Gendersprache hingegen hält er für unangemessen.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 11.12.2023

Eine äußerst erhellende Studie über die Geschichte der Psychoanalyse hat Dagmar Herzog laut Rezensent Eckart Goebel geschrieben. Das Buch setzt in den 1940ern an und beschäftigt sich, lernen wir, unter anderem mit dem Bündnis der amerikanischen Psychoanalyse mit dem Christentum sowie mit den Folgen der Dekolonisierung, die insbesondere für den französischen Analytiker Felix Guattari, zum neuen Zentrum psychoanalytischer Theoriebildung wurde. Besonders interessiert sich Goebel für jene Passagen, die sich mit dem Blick deutscher Psychoanalytiker auf Holocaustüberlebende beschäftigen. In Gutachtertätigkeiten im Rahmen von Entschädigungsprozessen offenbarte sich, zeichnet Goebel Herzogs Recherchen nach, oftmals eine erschreckende Gefühlskälte, den Klägern wurde Eigennutz unterstellt, eine Traumatisierung Jahre nach den Erfahrungen in den Lagern ausgeschlossen. Dass die Posttraumatische Belastungsstörung erst 1980 in das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen aufgenommen wurde, war, so Goebel nach Herzog, Teil des Problems, in der Psychoanalyse dominierte lange die Ansicht, dass nur Kindheitserfahrungen bleibenden Schaden anrichten können. Kaum verborgen lauerte, argumentiert die Autorin laut Rezensent, unter vielen dieser Ansichten der Antisemitismus, zudem wurde lange nicht erkannt, dass der Holocaust auch psychologisch eine völlig neue Herausforderung darstellte.