Edouard Louis

Anleitung ein anderer zu werden

Roman
Cover: Anleitung ein anderer zu werden
Aufbau Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783351039561
Gebunden, 272 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Sonja Finck. Mit Mitte zwanzig hat er schon mehrere Leben hinter sich: Eine Kindheit in extremer Armut, die Scham über die eigene Herkunft, die Flucht vom Dorf in die Stadt, den Aufbruch nach Paris. Er macht sich frei von den Grenzen seiner Herkunft, nimmt einen neuen Namen an, liest und schreibt wie ein Besessener, probiert sich aus, will alle Leben leben. Er trifft sich in mondänen Hotels mit Männern, die in einer Nacht so viel ausgeben wie seine Familie im Dorf in einem ganzen Jahr. Immer neue Welten erschließen sich ihm. Mit unbändiger Energie erfindet er sich wieder und wieder, schließt Freundschaften und hinterfragt doch die radikale Selbstveränderung, die sich nie ganz vollendet.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2022

Rezensent Florian Eichel schätzt Edouard Louis als genauen Beobachter, als "Forensiker der sozialen Ungerechtigkeit" gar. Vergleiche mit Stendhal, Balzac oder Maupassant scheut der Kritiker ebenfalls nicht - mehr noch: Im Gegensatz zu jenen mache Louis die feinen sozialen Unterschiede als "Tatwaffen" sichtbar. Nur leider kennt der Rezensent all das, was Louis hier in zwei Briefen an Vater und Jugendfreundin Elena schreibt, hinreichend aus den Vorgängerromanen: Aufstieg aus dem Prekariat, sexuelle und intellektuelle Erweckung in Paris, Demütigungen. Weniger Vergangenheit, dafür mehr "Mut zum Konjunktiv"- das würde Eichel gefallen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.09.2022

Kritikerin Maike Albath ist von Édouard Louis' neuem autofiktionalen Roman gebannt. Die Frage, ob man seine Herkunft hinter sich lassen kann, hat der erst dreißigjährige Autor in eindrucksvoll klare Sprache gebracht, lobt die Rezensentin. Louis lehnt sich zwar zeitweise an französische Klassiker wie Stendhal und Balzac an, findet sie, doch die Struktur des Romans ist neu. Im Kreisen um Sujets wie sozialer Aufstieg, Zugehörigkeit und Sexualität, spielen für sie nicht nur Scham und Wut eine entscheidende Rolle, sondern auch die Menschen, die Louis auf dem Weg des Aufstiegs zurückgelassen hat und an die er sich hier wendet. Dass dabei ein Großteil der angesprochenen Themen schon aus seinen anderen Büchern bekannt ist, ändert für Albath nichts an der berührenden Aktualität dieser Selbstanklage.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.09.2022

Rezensent Pablo Dominguez Andersen liest gerne noch einmal die "immer gleiche" Geschichte, die Édouard Louis sich vorgenommen habe zu erzählen: die von seinem sozialen Aufstieg aus der Arbeiterklasse im provinziellen Nordfrankreich in die intellektuelle Pariser Elite. Nach seinen drei Büchern über die eigene Kindheit, den Vater und die Mutter werde dieser Aufstieg nun noch einmal in aller Gnadenlosigkeit erzählt: von den Veränderungen des eigenen Körpers, dem gezielten Aufsuchen wohlhabender Sexualpartner, den Frauen, die ihn unterstützten, und den Unmengen an Büchern, die Louis verschlang, um Versäumtes aufzuholen, liest Andersen gerne - vor allem beeindruckt ihn das Eingeständnis des Opfers, was diese Selbstneuschöpfung erforderte: immer wieder geliebte Menschen zurückzulassen und zu verraten. Kurz scheint sich beim Kritiker ein kleiner Zweifel einzuschleichen, was den Authentizitätsanspruch von Louis' Literatur betrifft: diesen versuche der Autor einerseits zu brechen, trage ihn aber andererseits wie ein "Schutzschild" vor sich her. Am Ende erfüllt Louis' "wütende und gleichzeitig einfühlsame" Kritik an der Klassengesellschaft für den Kritiker aber doch ihren Anspruch auf politische Literatur.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 08.09.2022

Rezensent Dirk Fuhrig mag die Aufsteiger-Romane von Edouard Louis. Allerdings kennt er die Story nun auch zur Genüge. Und dass der französische Literatur-Star sie jetzt erneut, allerdings geradezu bieder und passagenweise an Romane des 19. Jahrhunderts erinnernd, erzählt, macht es für Fuhrig leider nicht besser. Dennoch folgt er bereitwillig noch einmal Louis' Lebensgeschichte vom schwulen Außenseiter aus der Provinz zum  Schüler an Frankreichs elitärster Uni, liest von Homosexualität und Prostitution - und vermisst doch den alten "Hau-drauf"-Sound. Der alten Louis mit neuem Thema - das wär's für Fuhrig.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 03.09.2022

Als gelehrigen, ja leider etwas allzu "gelehrigen Schüler" Stendhals und Balzacs liest Rezensent Tilman Krause den französischen Schriftsteller Édouard Louis. Seine Erzählung, die man unvermeidlich als autobiografische versteht, entbehrt zwar weder der Spannung, noch der Stringenz. Allerdings ist es doch im Grunde dieselbe Geschichte, die schon Balzac oder auch Eribon erzählten: Die Geschichte vom französischen Aufsteiger, der sich durch die Gunst einzelner Wohlgesonnener aus der Arbeiterschaft in das Bürgertum hin arbeitet - mit der einen entscheidenden Neuerung, dass der Aufsteiger, Erzähler und Autor in diesem Fall homosexuell ist. Betrachtet als zeitgenössische Bearbeitung dieses Narrativs kann "Anleitung, ein anderer zu werden" denn auch überzeugen, findet Krause. Um sich als eigenständiges literarisches Werk und "Lebensbild" geltend zu machen, müsste sich der Autor jedoch mehr noch lösen - von seinen Vorbildern und von seinen stereotypen Klassenbildern. Ja, so sehr ist Louis dem Klassendenken verhaftet, dass er vor lauter Klasse das Individuum nicht mehr sieht, meint der kritische Rezensent.