Ernst Augustin

Die Schule der Nackten

Roman
Cover: Die Schule der Nackten
C.H. Beck Verlag, München 2003
ISBN 9783406509681
Gebunden, 255 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Entwicklungsroman, Reisebericht und Beschreibung eines heimlichen Soziotops, folgt der Roman "Die Schule der Nackten" territorialen Eroberungen auf der Liegewiese in der Größenordnung von Alexanderzügen, entrollt ein Drama auf Leben und Tod um die schönhüftige Juliane, die ebensogut im frühen Ninife wie in altindischen Tantrakulturen ihren Platz gefunden hätte. Und letzthin findet. Ein leidenschaftlich grimmiges Epos voller Heiterkeit, und das Ganze auf höchst begrenztem Raum unter dem sommerlichen Glockengeläut Münchens.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 02.12.2003

Zwiegespalten hat sich Wolfgang Schneider aus der "Schule der Nackten" verabschiedet: Einerseits sieht er sie als großartige Sittenkunde, eine "literarische Ethnologie der Freikörperkultur", ein gleichermaßen von Schrecken und Faszination bestimmter Reisebericht, mit dem Ernst Augustin "literarisches Neuland" betreten habe, lobt der Kritiker. Andererseits: wie schon in früheren Büchern mokiere sich der Autor über die Rituale der Esoterikgruppen, Therapiezwänge und gruppendynamische Vorgänge, denen er laut Schneider viel zu viel Platz einräume (nämlich die gesamte zweite Hälfte des Buches). Damit pfropft der Autor seiner Meinung nach dem Buch eine Handlung auf, eine Liebesgeschichte im Tantra-Yoga-Milieu, auf die Schneider liebend gern verzichtet hätte. Denn Augustins "Schule der Nackten" sei als reine Schwimmbad- und Wiesenstudie ausgesprochen originell, schwärmt der Rezensent, wo doch das Thema "Der Körper und seine Inszenierungen" gerade Hochkonjunktur und Augustin sich keineswegs den jungen schönen Körpern verschrieben habe. Bewundernd berichtet Schneider, wie Augustin alle "Klippen der Peinlichkeit" mit humoristischer Bravour umschifft habe. Nur beim Tantra-Kurs ist er laut Schneider dem eigenen Altherrenwitz aufgesessen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.10.2003

Warum gab es bisher noch keinen Roman über die Freikörperkultur?, fragt Jan Bürger, und er gibt die Antwort gleich selbst. Weil, damit es nicht "peinlich" wird, erst jemand wie Ernst Augustin kommen musste, um sich des "heiklen Themas der Nacktheit" anzunehmen. Unser Rezensent kann dieses "moralferne Lehrstück über die Haut, die Vergänglichkeit und die Leidenschaft alter Männer" gar nicht genug loben. Für ihn ist Augustin ein Autor mit unverwechselbarem Tonfall, eine Mischung aus Gottfried Benns "anatomischem Blick" und dem "Humor" Loriots. Augustin erzählt in seinem Roman die Geschichte eines alten Mannes, der in seiner Nachbarschaft ein Schwimmbad mit FKK-Abteilung entdeckt und sich dort in eine junge Frau verliebt, fasst Bürger die Handlung zusammen. Er rühmt das Buch für seine gelungenen Dialoge, seine kühne, formal und stilistisch grandiose Erzählweise und preist es hingerissen als einen literarischen "Glücksfall".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Gewagt - und gewonnen, findet Lutz Hagestedt. Ernst Augustin hat seinen Helden, den 60-jährigen Gelehrten Alexander, nackt ins Freibad geschickt, hinein in erotisch vermintes und zugleich der Erotik bares Terrain, in eine Zone des Slapsticks und der erzählerischen Wagnis. Er hat die Sache, schreibt Hagestedt bewundernd, "auf geradezu grazile Weise" gemeistert. Doch die "Erzählung über Nacktheit und Scham" geht noch weiter, Alexander findet Juliane, die Liebe seines Lebens, und die Handlung steuert im festen Griff des Altmeisters Augustin weg vom Beckenrand, hin zum Drama: Juliane nämlich kann ihn nicht lieben, sie kann "seit früher Kindheit die Berührung von Männern nicht ertragen", Alexander aber sieht sich in "prähistorische Zeit" zurückversetzt und versucht den "existenziellen Schatten" von der Geliebten zu vertreiben - er ist der Gautama, sie ist die Sita aus dem großen indischen Epos. Augustin greife "auf ein Bilderreservoir aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit zurück, um ein individuelles Glück eine kollektive Erfahrung durchlaufen zu lassen. Er beschwört", so Hagestedt, "eine emphatische Liebe, die seit Jahrtausenden währt und sich als ewiges Gleichnis wiederholt". Und wie er das tut: mit großer Kunstfertigkeit.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.09.2003

Bei diesem, seinem neunten Roman habe es sich der Autor zu einfach gemacht, schreibt Jörg Magenau. Ernst Augustins Beobachtungen unter Nacktbadern hätten zu einem hübschen Sommerfeuilleton gereicht, nicht aber zu einem ganzen Roman. Und die Satire auf Psychogruppen und andere esoterische Anwandlungen hätte der Autor in seinen früheren Büchern schon weit bissiger und besser betrieben. Etwa die Hälfte des Romans füllt Augustin zunächst mal mit seinen Beobachtungen in einem Münchener FKK-Bad, die Magenau als "genitale Freakshow" erscheinen. Männliche und weibliche Genitalien würden in allen erdenklichen Formen, Farben, Positionen beschrieben, was Magenau zu der Beobachtung veranlasst, dass Nacktheit die Distanz unter Menschen eher zu erhöhen als abzubauen scheint. Augustins alternder Protagonist, ein Althistoriker, lernt dann doch eine Dame kennen, verrät Magenau, die ihn in den Tantrakult einzuführen versucht. Der Rezensent vermutet, Augustin habe seinen sommerlichen Erkundungen unbedingt eine Geschichte abtrotzen beziehungsweise eine Handlung aufpropfen wollen, doch bleibt diese seines Erachtens dürftig. Sich über Handaufleger in Bayern zu amüsieren, sei doch eher billig und das ganze in Wirklichkeit eine traurige und keine komische Geschichte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.08.2003

Ein anstrengender Roman, stöhnt Julia Encke, und so gar kein Schmöker fürs Freibad, auch wenn das Buch unter der neuerdings angesagten Schwimmbadliteratur rangiert. Bei Augustin geht es nämlich nicht um ein normales Schwimm- oder Freibad, erläutert Encke, sondern um eine verschärfte fiktive FKK-Zone, die zu besuchen eine Prüfung für den Protagonisten wie für den Leser bedeutet. Encke fühlt sich an Martin Walsers Chauffeur aus dessen Roman "Seelenarbeit" erinnert: massenhaft quälende Seelen- und Körperarbeit deutet Encke an, ein halber Roman über das männliche Genital und den Venushügel als "Kampfansage". Nirgendwo ist es mühseliger, frei zu sein, als im Freibad, spottet die Rezensentin. Sie bedauert, dass sich Augustin nicht auf seine Recherchen über Besucherhierarchien in Schwimmbädern oder allgemein auf Rituale der Freizeitgesellschaft beschränkt hat, sondern der Geschichte etwas Konstruiertes verliehen hat, indem er seinen Antihelden mit Körperkult und Tantrasex plagt.
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