Günter Grass

Die Box

Dunkelkammergeschichten
Cover: Die Box
Steidl Verlag, Göttingen 2008
ISBN 9783865217714
Gebunden, 217 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Mit zehn Zeichnungen. Eigentlich ist es eine altmodische Kastenkamera, wie man sie früher Jugendlichen zum Geburtstag schenkte. Aber mit der Agfa-Box der alten Marie hat es etwas Besonderes auf sich: Seit sie in Berlin Krieg und Feuerstürme überdauert hat, blickt sie vorwärts und rückwärts. Genauer gesagt: Die mit ihr geknipsten Aufnahmen zeigen Zukünftiges und Vergangenes, zeigen bei einem Stapellauf den tragischen Untergang des Schiffes oder am Wohnzimmertisch eine Männerrunde aus uralten Zeiten. Lara entdeckt auf einem Schnappschuß das Pferd, das sie sich wünscht, Nana sieht sich mit Mutter und Vater, die getrennt leben, vereint auf dem Kettenkarussell durch die Lüfte sausen. "Mariechens Wünsch-dir-was-Box" sagen die Kinder. Marie ist Fotografin. Sie besitzt eine Leica, auch eine Hasselblad. Aber wenn der Schriftstellerfreund auf Motivsuche für seine Bücher "Knips mal, Mariechen" sagt, arbeitet sie nur mit der Box. So schreiben die Box und der Schriftsteller ihre wahren und ihre Dunkelkammergeschichten. Jahre später sitzen die acht Kinder, die nun erwachsen sind, zusammen und erinnern sich - achtstimmig, jedoch widersprüchlich, freundlich, kritisch und manchmal anklagend an den "Alten" und seine "starken" Frauen, ihre Mütter, an ihre von Marie und ihrer "Zauberbox" begleitete Kindheit.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.09.2008

Roman Bucheli, der schon Günter Grass' erstem Memoirenband, "Beim Häuten der Zwiebel" nichts abgewinnen konnte, empfindet auch die Fortsetzung "Die Box", in denen die Jahre nach Erscheinen der "Blechtrommel" bis Ende der 90er Jahre behandelt werden, als Grass den Literaturnobelpreis bekam, als reines Ärgernis. Der Autor hat als erzählerischen Einfall seinen acht Kindern das Wort erteilt, die in unüberbietbarer Schnoddrigkeit nun allerlei Belangloses über ihren Vater kundtun, mokiert sich der Rezensent. Dazu durchzieht noch die Kamera der langjährigen Grass-Freundin Maria Rama - eine geheimnisvolle "Agfa-Box", die Vergangenes, Zukünftiges, "Verborgenes und Verschwiegenes" ablichtet - die Lebenserzählung und erfüllt hier die Funktion einer Art "Über-Ich", so Bucheli wenig begeistert. Am meisten genervt hat ihn offenbar die "alberne Sprache", die den Kindern in den Mund gelegt wird und die er als bemühte "Anbiederung" an den Alltagsjargon empfindet. Vor allem aber will es ihm scheinen, dass im entschlossenen "Abarbeiten" der Lebensgeschichte die Form bei Grass mächtig gelitten hat.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.08.2008

Für Andreas Maier rächt sich nun vielleicht, dass er bis zur "Box" noch nie ein Buch von Günter Grass gelesen hat - die großen Werke wird er sich nach diesem schwachen Einstieg wohl nicht mehr vornehmen. Der Schriftsteller bespricht diese Fortsetzung von Grass' Autobiografie im Auftrag der Zeit recht beflissentlich, aber man muss sagen, ohne einen Funken Begeisterung. Ihn wundert vor allem die große Spannbreite zwischen dem recht einfachen, chronologischen Grundtext und dem Aufwand, den Grass betreibt, um diesen zu erzählen - oder vielmehr: von seinen Kindern erzählen zu lassen. Grass erfinde diese Redefiguren, die "zwar ausgedacht sind, aber doch eigensinnig und schonungslos reden sollen". Das geht für Maier nicht auf, wie er ausführlich darlegt, schon gar nicht mit dieser sprachlichen Regression, in der die erwachsenen Kinder plappern.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 26.08.2008

Eindeutig mehr hätte FR-Rezensent Martin Lüdke vom zweiten Teil der Autobiografie erwartet. Dabei lobt er Grass' Konzept der Lebensbeschreibung: es meistere viele Schwierigkeiten des Genres. Der Rezensent fand schon "Beim Häuten der Zwiebel" raffiniert erzählt, nur dass die Finesse im Wirbel um Grass' Waffen-SS-Mitgliedschaft untergegangen war, wie er rückblickend bedauert. Von der Ausführung in der "Box" hingegen ist Martin Lüdke enttäuscht: Die Kinder und Frauen, die vom "Alten" versammelt werden, um dessen Lebensgeschichte zu erzählen, bleiben weitgehend konturlos und ergehen sich in "belanglosen Einzelheiten", so der Rezensent. In diesen Wirren verwischt das Bild des Autors und damit auch das ganze Konzept. In den Gesprächen der Kinder findet Lüdke einen bemerkenswert sprachlosen Grass vor, der sich an die Jugendsprache der Kinder - beziehungsweise das, was Grass dafür hält - anbiedere.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.08.2008

Durchaus freundlich hat Rezensent Lothar Müller das neue Buch von Günter Grass aufgenommen. Er liest das Werk als "Familienbuch", spielen die acht Kinder von Grass, die der Autor zu Wort kommen und in seinem Tonfall über den Vater reden lässt, eine wichtige Rolle darin, ebenso übrigens wie die "Box", die alte Agfa-Kamera von Maria Rama, einer guten Freundin des Schriftstellers, die das Leben der Familie in vielen Bildern festgehalten hat. Allerdings warnt Müller, das Buch einfach als ein autobiografische Familienalbum aufzufassen. Angesichts dieser Erfahrung habe Grass den autobiografischen Stoff im vorliegenden Werk in eine Form gebracht, "die sich der historisch-faktischen Kritik entzieht". Natürlich tauchen in dem Buch jede Menge realer Personen auf, die man nach Ansicht Müllers mit entsprechendem Aufwand auch identifizieren könnte. Doch wozu? Schließlich sieht Müller die literarische Intention des Autors darin, die empirische Familie in eine Märchenfamilie zu verwandeln. Dem Märchen-Genre entsprechend konstatiert er am Ende das große Einverständnis des Erzählers mit dem Erzählten, der Zustimmung zu sich und der Welt. Freude an dem Buch wird in seinen Augen haben, wer sich vom Autor adoptieren lässt und zum Familienmitglied wird. Wer auf diese Option verzichtet, dem wird das Buch zunehmend "unheimlicher" werden. "Denn", so Müllers Resümee, "in diesem Märchen ist auf ewig Vatertag."
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2008

Andreas Platthaus scheint sich selbst ein wenig zu wundern, wie sympathisch Günter Grass ihm aus diesem autobiografischen Buch mitunter entgegentritt. Zwar lässt er sich durch die märchenhaften Tableaus und durch den vom Autor arrangierten achtstimmigen Reigen nicht täuschen - dahinter stecken die Kinder des Autors, das eigene Leben und dahinter wieder lugt niemand als der Autor selbst hervor, der ihnen seinen Sound in den Mund legt. Der von Platthaus als große Schwäche des Buches bezeichnete Umstand, dass die auftretenden Figuren marionettenhaft immer die von Ellipsen und Abbreviaturen geprägte Sprache des Autors sprechen, wird für ihn indes von der Hauptfigur, der Fotografin Marie (in realiter Grass' Freundin Maria Rama, wie Platthaus erläutert), überstrahlt. Mildernd wirken außerdem die dem Rezensenten nicht entgangenen selbstkritischen Töne und einige "philologisch interessante Erinnerungen" zu Motiven in den Büchern des Autors.
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