Hans Jürgen von der Wense

Routen I

Südniedersachsen
Cover: Routen I
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2023
ISBN 9783751809528
Gebunden, 434 Seiten, 48,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Reiner Niehoff. Der Privatgelehrte, Fragmentariker, Übersetzer, Collagekünstler, Komponist, Landschaftsforscher, Briefkünstler Hans Jürgen von der Wense (1894-1966) legte in dreißig Jahren auf seinen Wanderungen 27 000 Kilometer zurück - aber auf kleinstem Raum. Meter für Meter, stets mit der topografischen Karte in der Hand, erforschte er sein Terrain, die deutschen Mittelgebirge im Grenzgebiet von Südniedersachsen, Ostwestfalen und Nordhessen. Hier kannte und feierte er jeden Baum, jeden Berg, jeden Bach und jedes Dorf. Seine Wanderungen waren Kurzschlüsse zwischen regionaler Mikroskopie und universaler Erfahrung. Und er übersetzte, was er auf seinen Wegen erlebte, in ekstatische Briefe, geschwinde Tagebucheinträge, luzide Kleinstnotate, Fotografien, Aphorismen und fantastische Messtischblatt-Erläuterungen. Die Sammlung dieses verspäteten Frühromantikers mit futuristischem Tempo, dieses Archäologen des Übersehenen, Vergessenen und Untergegangenen umfasste bei seinem Tod etwa 15 000 beidseitig beschriebene, nach Flussverläufen geordnete Blätter. Nach Landschaften geordnet, seine genauen Routen exakt verzeichnet, liegen Wenses ungebundene Aufzeichnungen nun erstmals vor. So lässt sich, was ihn außer sich brachte, vor Ort aufsuchen - oder vor Schrift.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.02.2024

Großartig, so Rezensent Jan Röhnert, dass nun zumindest ein Ausschnitt des einmaligen Werks Hans Jürgen von der Wenses veröffentlicht ist. Röhnert rekapituliert Leben und Werk des Außenseiterliteraten, der, unterstützt von einem Gönner, Jahrelang deutsche Mittelgebirgslandschaften durchstreifte und eine einmalige Art des Nature Writing kultivierte. Naturwissenschaft und Poesie gehen, beschreibt der Rezensent, bei Wense auf berückende Art und Weise ineinander über, in Bruno-Latourscher Manier wird das Lokale mit dem Terrestrischen verknüpft, jedes Stück Erde kann so zum Zentrum des Kosmos werden. Der vorliegende Band widmet sich Wenses Wanderungen durch Ostfalen, und Röhnert legt dem Leser nahe, selbst auf den Spuren dieses Buches, die Gegend um Göttingen zu erkunden. Doch auch wer nur bei der Lektüre bleibt, dem kann, da ist sich Röhnert sicher, diese Prosa die Augen öffnen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.01.2024

Rezensent Eberhard Geisler liest mit viel Vergnügen die Aufzeichnungen Hans Jürgen von der Wenses. Dabei lernt der Rezensent "den Raum zwischen Paderborn und Fulda" aus der Sicht des Autors besser kennen, der sich in einem dem Band vorangestellten Brief als aus der Zeit gefallen beschreibt. Wense war ein früher "nature writer", der der "gelösten Zunge der Natur" beim Wandern lauschte, so Geisler. Er fertigte auch Notizen über berühmte Persönlichkeiten dieser Region an, zum Beispiel den Philosophen Karl Friedrich Christian Krause, was allerdings oftmals nicht über eine bloße Erwähnung hinausgeht, moniert Geisler. Das "brillante" Nachwort von Reiner Niehoff geht nochmal auf Wenses unkonventionelle Art des Schreibens ein und unterstreicht diese "Einladung an uns alle", Wenses Spuren an der Weser zu finden, lobt Geisler letztlich.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.10.2023

Eine Entdeckung ersten Ranges ist Hans Jürgen von der Wense für Christian Schüle. Der Autor und obsessive Wanderer hatte, führt Schüle aus, zwischen 1932 und 1966 die Gegend um Göttingen literarisch kartografiert; Reiner Niehoff gibt diese Schriften nun heraus, dem vorliegenden Band sollen zwei weitere folgen. Von der Wenses Blick schweift nicht in die Ferne, so der Rezensent, sondern findet ein ganzes Universum im kleinen, in der eigenen Umgebung. Sprachgewandt spüre er der Ästhetik der Natur nach und nehme noch den kleinsten Grashalm zum Anlass etymologischer und kulturgeschichtlicher Exegesen. Was die Menschen mit der Natur anrichten ist von der Wense ein Gräuel, führt Schüle aus, was das Buch wiewohl keineswegs im aktivistischen Gestus geschrieben, zu einem Dokument des literarischen Umweltschutzes macht. Der Autor widmet sich der Heimat, meint Schüle, aber nicht in geläufig selbstversichernder Manier, vielmehr zielt er auf das Mysteriöse, Vergessene im Bekannten. Nicht zuletzt begeistert den Rezensenten der sprachliche Reichtum der Prosa, die über Natur zu schreiben vermag wie über Musik und Bildhauerei. Zuletzt lobt Schüle auch noch Niehoffs Nachwort, das einen perfekten Einstieg in dieses Großwerk der Außenseiterliteratur ermöglicht.