Jörg Ganzenmüller

Das belagerte Leningrad 1941-1944

Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern
Cover: Das belagerte Leningrad 1941-1944
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2005
ISBN 9783506728890
Gebunden, 412 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Die Belagerung Leningrads durch die Wehrmacht ist - was die Zahl der Opfer und die Permanenz des Schreckens betrifft - die größte Katastrophe, die eine Stadt im Zweiten Weltkrieg erlitt. Nahezu 900 Tage lang - vom 7. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 - war die Metropole an der Newa eingeschlossen und von der Außenwelt abgeschnitten. Als Folge dieser Blockade starben rund eine Million Menschen, die weitaus meisten durch Hunger und Mangelkrankheiten. Zum ersten Mal in der Geschichtsschreibung des Zweiten Weltkriegs werden die deutsche und die sowjetische Perspektive in einem Buch vereint. Der Autor stellt die Belagerung in den Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und beschreibt auf der Grundlage neuer Dokumente aus russischen Archiven die Reaktionen von Stalins Regime auf die existentiellen Herausforderungen der Blockade. Neben den erstaunlichen Leistungen, zu denen die sowjetische Diktatur im Krieg imstande war, finden auch die Versäumnisse und Misserfolge der Verteidiger Leningrads in dieser Darstellung ihren Platz. Das Buch revidiert gängige deutsche und sowjetische Geschichtsbilder gleichermaßen. So weist der Autor nach, dass die deutsche Belagerungsstrategie nicht dem militärstrategischen Kalkül entsprang, die Stadt einzunehmen. Die Annahme einer Kapitulation wurde von Hitler vielmehr kategorisch ausgeschlossen, da er das Ziel verfolgte, Leningrad und seine Einwohner vollständig zu vernichten.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.10.2006

Als Genozid erzähle Jörg Ganzenmüller die Geschichte der Belagerung Leningrads quasi neu. Die militärische Zielsetzung der Aushungerung, so Rezensent Michael Martens, sei zwar schon zuvor bekannt gewesen, doch habe sowohl die sowjetische als auch die bundesrepublikanische Geschichtsschreibung diese weltgeschichtlich "einmalige" Operation verschleiert. Hilfreich im schlechten Sinne sei dabei die übergroße Bedeutung von Stalingrad gewesen. Stalin habe einen "Widerstandsmythos" gebraucht, um einen erfolgreichen militärischen Widerstand fingieren zu können. Darüber hinaus könne der Autor nachweisen, dass die relative Autonomie Leningrads während der Belagerung und eine gewisse Befreiung vom Geheimdienst zu keinerlei politischer Unabhängigkeit geführt habe. Den Stalinismus, bringt es der Rezensent auf den Punkt, habe man sich in Leningrad auch ohne Stalin besorgt. 1949 habe Stalin dann sogar ein Blockademuseum in Leningrad schließen lassen, weil er an einem eigenständigen Leningrad-Mythos nicht interessiert war.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.01.2006

Beeindruckt zeigt sich Hans-Martin Lohmann von der sorgfältigen und umfangreichen Studie des Militärhistorikers Jörg Ganzenmüller. Angesichts der Tragik und Dauer der Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehmacht sei es merkwürdig, dass eine kritische Aufarbeitung der Ereignisse bisher ein Schattendasein in der deutschen Erinnerungskultur geführt habe, analysiert der Rezensent. Da Ganzenmüller auch Einblick in sowjetische Archive erhielt, sei erstmals ein vergleichender Blick möglich, der beweise, dass sowohl Stalin als auch Hilter Leningrad zum Nebenschauplatz im Krieg um Stalingrad und Moskau degradierten. In der Folge war Leningrad einem doppelten, sowohl deutschen als auch sowjetischen "Vernichtungskalkül" ausgeliefert, was die Ernährung der Bevölkerung betraf, die vorsätzlich und selektiv ausgehungert wurde. Außerdem räume Ganzenmüller mit der Legende auf, der Krieg habe die stalinistische Verfolgung außer Kraft gesetzt. Dass der Autor neben der Auswertung zahlreicher Quellen auch das Leiden der Bevölkerung nicht aus den Augen verliere, hebt für den Rezensenten die Qualität des Buches.