Julia Jost

Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht

Roman
Cover: Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024
ISBN 9783518431672
Gebunden, 231 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Es ist das Jahr 1994. In einem Kärntner Dorf am Fuß der Karawanken sitzt die Erzählerin unter einem Lkw und beobachtet die Welt und die Menschen knieabwärts. Sie ist elf Jahre alt und spielt Verstecken mit ihrer Freundin Luca aus Bosnien. Zum letzten Mal, denn die Familie zieht um. Der Hof ist zu klein geworden für den Ehrgeiz der Mutter, die ausschließlich eines im Kopf hat - bürgerlich werden! Nach und nach treffen immer mehr Nachbarsleute ein, um beim Umzug zu helfen, und das Kind in seinem Versteck beginnt zu erzählen: von seiner Angst, im Katzlteich ertränkt zu werden, weil es kurze Haare hat. Weil es Bubenjeans trägt. Weil es heimlich in Luca verliebt ist. Dabei ist sie nicht die Einzige, die etwas verbergen muss. Sie kennt Geschichten über die Ankommenden, die in tiefe Abgründe blicken lassen und doch auch Mitgefühl wecken.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.03.2024

Anti-Heimatliteratur hat in Österreich Tradition, weiß Rezensent Uwe Mattheiß, Julia Jost fügt dem mit ihrem Debütroman eine neue, queere Perspektive hinzu. Die junge Ich-Erzählerin wächst in den 1990er  Jahren in Kärnten auf, in einer Region, in der der Nationalismus noch immer grassiert, in der die Lokalpolitik sich an Jörg Haider anlehnt und SS-Devotionalien zum ganz normalen Alltag gehören, erfahren wir. Darüber weiß Jost zum Glück in metaphernreicher "barocker Wortlust" zu  spotten, stellt Mattheiß fest - ein Buch, das das völkische Grauen überzeugend festhält und zugleich enttarnen und abwehren kann, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 14.03.2024

Rezensentin Iris Radisch liest Julia Josts Debütroman in der Tradition des großen österreichischen Heimatromans von Josef Winkler oder zuletzt Elfriede Jelinek. Und der Vergleich kommt nicht von ungefähr, macht Jost aus ihren Gewährsmännern und - frauen doch keinen Hehl, erkennt die Rezensentin. Nur dass der unter dem ambitionierten Titel erschienene Roman deutlich moderner erscheint, schon weil er aus der Perspektive einer queeren Elfjährigen geschrieben ist, fährt Radisch fort. Davon abgesehen aber treten sie hier alle auf, die Väter, die die nackten Hintern ihrer Söhne mit Lederriemen auspeitschen, die schwulen Bauernsöhne, die sich aufhängen, oder die Pfarrer mit SS-Vergangenheit, die sich an jungen Mädchen vergehen, resümiert die Kritikerin. Anders als bei Jelinek sind es allerdings inzwischen die Nazi-Opas, die stolz auf die Ariernachweise in der Kärntner Bauernstube blicken. Die Eltern werden indes als rückständige Boomer karikiert, die, wie der Vater der Ich-Erzählerin, mit Rechtspopulisten kungeln. Josts Konzept geht auf, meint Radisch, wenngleich sie einräumt, dass die Debütantin das sprachliche Niveau nicht durchgehend hält: Dass eine Elfjährige "den Kontrapunkt des klunzenden Klagens von Alpen und Adria" vernimmt, erscheint ihr doch arg unwahrscheinlich.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.03.2024

Eine "Entdeckung" ist Julia Josts spätes Debüt, in mehrerlei Hinsicht, für eine "echte Entdeckung" reicht es laut Rezensent Paul Jandl allerdings noch nicht ganz. Ein Mü zu sehr verfällt Julia Jost darin einem "Beschreibungsfuror", mit dem sie Unsichtbares sichtbar macht, oder anders gesagt: mit dem sie das, was seit Jahren unter den Teppich gekehrt wurde und wird, hervor holt ans Licht der Literatur, in dessen grellem Schein dies vormals Versteckte immer etwas verzerrt, etwas übertrieben erscheint - ganz so, wie es sich eben für einen Antiheimatroman gehört, so Jandl. In Josts Roman sind es vor allem Nazis, alte wie junge, welche Jost an den Beinen unterm Teppich hervor zerrt. Sie tut dies mit viel Freude an der Sprache, lesen wir, detailreich, originell, amüsant und mit einer wunderbar "heiteren Bösartigkeit", wie Elfriede Jelinek es als Fürsprecherin Josts bereits ausgedrückt hat. Die Autorin schafft allerdings noch mehr als dies. Um in der Metapher zu bleiben: Sie schüttelt den Teppich aus, nachdem sie darunter gekehrt hat und erobert ihn als heimatliches Terrain zurück, indem sie zwischen all den Nazi-Episoden die Geschichte einer unkonventionellen jungen Liebe erzählt. Mehr davon, etwas weniger episodenhaftes Erzählen, und dieser Karawanken-Epos wäre eine "echte Entdeckung" gewesen, so Jandl.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.02.2024

Rezensentin Tanja Rest kann sich dem Sound von Julia Josts Debütroman zunächst nicht entziehen. Wenn die Regisseurin sie über Jahre hinweg an den Gratschbacher Hof nach Kärnten entführt, an der Seite der zunächst elfjährigen Ich-Erzählerin, dann hört die Kritikerin die Substantive "knattern" und riecht duftende Adjektive. Auch die zwischen heiterer Lakonie und allerhand Abgründen mäandernde Geschichte, in der Jagdschützen, Schürzenjägern und Nazi-Opas ihren Auftritt haben, reißt die Kritikerin schon durch ihre Rasanz mit. Leider trägt das nur bis zur Hälfte des Buches, dann aber verliert Jost zunehmend den Überblick über ihr üppiges und kurioses Personal, räumt Rest ein. Wirklich gefeiert hätte die Kritikerin den Roman, wäre die Autorin irgendwann zu einem Kern des Ganzen vorgedrungen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 20.02.2024

Rezensentin Undine Fuchs hat Freude mit Julia Josts Roman über eine Kindheit in der Kärtner Provinz. Vor allem die gelungene Balance zwischen kindlich unschuldigem Blick und abgründigen Dorf- und Familiengeschichten, zwischen Scham und Schuld, Poesie und Prosa scheint Fuchs bemerkenswert an diesem Text. Sogkraft entwickelt das Buch für sie durch die assoziative Sprache und das sich unerbittlich entfaltende Dickicht der Geheimnisse.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.2024

Pia Reinacher lässt sich vom Titel des Debüts von Julia Jost nicht abschrecken. Der Roman über eine robuste Elfjährige in einem Kärtner Dorf, über ein Aufwachsen zwischen patriarchaler Gewalt und Beichtstuhl überzeugt Reinacher durch die kindliche Perspektive und allerhand Entlarvungspotential: dazu eine "pfiffige" Schreibe und ein "explosives" Ende. Dass die Autorin so überzeugend über die Identitätssuche ihrer Protagonistin schreiben kann, liegt wohl auch an ihrer eigenen Sozialisation in der österreichischen Provinz, vermutet Reinacher.
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