Karl-Heinz Kohl

Neun Stämme

Das Erbe der Indigenen und die Wurzeln der Moderne
Cover: Neun Stämme
C.H. Beck Verlag, München 2024
ISBN 9783406813504
Gebunden, 312 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Was haben Montaignes Kulturkritik und die amerikanische Demokratie, Freuds Totemismus-Theorie und Lévi-Strauss' Strukturalismus, Brücke-Maler und Surrealisten, Hippies und die Sexuelle Revolution miteinander gemein? Karl-Heinz Kohl zeigt am Beispiel von neun Stämmen, wie diese und viele andere Theorien, avantgardistische Strömungen, Emanzipations- und Protestbewegungen vom faszinierten Blick auf indigene Völker geprägt wurden. Er erklärt, wie die Indigenen sich die Faszination des Westens selbst zunutze machten und wie eng verflochten die scheinbar so gegensätzlichen Welten in der Moderne sind. Sein Buch wird die Debatten über "kulturelle Aneignung" neu beleben.
Seit den ersten großen Entdeckungsfahrten an der Schwelle zur Neuzeit haben Berichte von fremden Ländern und Menschen die Europäer in ihren Bann geschlagen. Ihre Nacktheit hat europäische Sitten in Frage gestellt. Ihre Gesellschaftsordnungen haben Protestbewegungen beflügelt. Ihre Kunst hat die europäischen Avantgarden inspiriert. Und ethnografische Beschreibungen haben - von Friedrich Engels' materialistischer Geschichtsauffassung bis zum postkolonialen "Anthropophagismus" - zu einer Flut an Theorien geführt, die teils bis heute unser Bild vom Menschen prägen. Karl-Heinz Kohl erklärt, warum der Westen vor allem in neun Stämmen sein Alter Ego gefunden hat. Er geht den Berichten über sie nach, erzählt anschaulich, wie sie über 200 Jahre lang die europäische Kultur auf den Kopf gestellt haben, und zeigt an vielen überraschenden Beispielen, wie sich auch die indigenen Kulturen in diesem Prozess verändert haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.04.2024

Der Kontakt mit indigenen Stämmen hat die moderne Kultur stärker beeinflusst als im Allgemeinen angenommen, lernt Rezensent Thomas Wagner von Karl-Heinz Kohls Buch. Der Ethnologe beschäftigt sich unter anderem, erfahren wir, mit dem Einfluss der Tupinamba auf neuere brasilianische Kunst und zeichnet nach, wie Marx, Durkheim und andere ihre Gesellschaftstheorien mit Blick auf indigene Bevölkerungsgruppen entwickelten. Gut gefällt dem Rezensenten, dass die neuen Stämme des Titels nicht nur als Untersuchungsobjekte westlicher Wissenschaftler in den Blick kommen. Vielmehr intervenieren sie, so Wagner mit Kohl, in ihre eigene Darstellung und orientieren sich teilweise selbst am ethnologischen Wissen des Westens. Ein lehrreiches Buch, auch hinsichtlich der Debatten um kulturelle Aneignung, so das Fazit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2024

Ein lehrreiches Buch hat der Ethnologe und Religionswissenschaftler Karl-Heinz Kohl geschrieben, auch mit Blick auf Diskussionen der Gegenwart, zum Beispiel zum Thema cultural appropriation, meint Rezensent Helmut Mayer. Wie der Titel nahelegt, geht es um neun indigene Stämme und ihren Einfluss auf die Gesellschaften, die sie eroberten, kolonialisierten sowie oft weitgehend zerstörten. Die Irokesen, zum Beispiel, wurden von Friedrich Engels zum Vorbild einer utopischen, klassenlosen Gesellschaft erkoren, auch die feministische Theorie entdeckte in ihnen das Idealbild einer Gesellschaft jenseits des Patriarchats. Weiterhin beschäftigt sich Kohl laut Mayer unter anderem mit den zentralaustralischen Aranda, den brasilianischen Tupinambá sowie der Rolle indigener Entwicklung unter anderem des Freud'schen Denkens sowie des Tourismus. Popkultur und Theoriebildung hat Kohl dabei gleichermaßen im Blick, lobt Mayer, außerdem behandelt das Buch auch die Frage, inwieweit der Blick der Ethnologen auf diese Volksgruppen lediglich eine Projektion darstellt. Wichtige Gedanken, die in mancher Debatte weiterhelfen, schließt Mayer.
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