Matthias Jügler

Maifliegenzeit

Roman
Cover: Maifliegenzeit
Penguin Verlag, München 2024
ISBN 9783328602897
Gebunden, 160 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind - und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stößt Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schließen lassen?

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 28.03.2024

Obwohl er beim Mauerfall erst fünf Jahre alt war, gelingt Matthias Jügler mit seinem neuen Roman ein bedrückend zutreffendes Bild der DDR, meint Rezensent Helmut Böttiger: Es geht um ein Paar, dessen Sohn angeblich kurz nach der Geburt verstorben ist, der in Wahrheit aber zur Adoption freigegeben wurde. Diese Fälle hat es in der DDR tatsächlich gegeben, nur wenige davon sind aufgeklärt, weiß Böttiger. Im Roman treffen Vater und Sohn nach vierzig Jahren aufeinander, verschiedene Zeitebenen werden miteinander verschränkt, das Schweigen, die Schuldgefühle durchziehen den Roman ebenso wie Allegorien zum Angeln, die dem Buch mit den als Ködern genutzten Maifliegen auch seinen Titel gegeben haben, so der Kritiker, der diese Geschichte so unheimlich wie eindrucksvoll findet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.03.2024

Rezensent Ulrich Seidler begibt sich mit Matthias Jügler unter die Oberfläche, unter die vermeintlichen Wahrheiten, dorthin, wo ein Geheimnis lauert, bereit, die Fiktion eines runden Ich zu zerstören. Das Ich gehört dem Protagonist des Buches, der Ende der 1970er Vater eines Sohnes wurde - nur, dass das Kind kurz nach der Geburt starb, oder zumindest glaubte Hans das. Die Mutter des Kindes hatte schon damals Zweifel, erfahren wir, was auch zum Ende der Ehe mit Hans führt, Hans selbst wird erst Jahrzehnte später, nach der Wende, von seinem doch noch lebenden Sohn kontaktiert. Dieser Schock dringt früh ins Buch ein, erläutert Seidler, im Folgenden geht es darum, wie sich eine Realität neu zusammensetzt. Am Ende seiner weitgehend auf ein Urteil verzichtenden Rezension verweist Seidler auf die historischen Wurzeln des Stoffes, die in einer langen Reihe von immer noch nicht aufgeklärten Verdachtsfällen vorgetäuschter Säuglingstode in der DDR zu verorten sind.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2024

Matthias Jügler widmet sich in seinem neuen Roman einem erst in Ansätzen aufgearbeiteten Aspekt der DDR-Unrechtsgeschichte, nämlich der Vortäuschung von Säuglingstoden zwecks Adoption, klärt uns Rezensentin Melanie Mühl auf. Im Zentrum des Buchs steht ein solcher Leidtragender, Hans, der erst im Rentenalter Kontakt zu seinem Sohn aufnimmt. Vorher hatte er nicht glauben wollen, dass sein Kind tatsächlich noch am Leben ist. Daran zerbrach auch die Beziehung zur Mutter des entführten Kindes, die von Anfang an Zweifel an den Auskünften der Ärzte hatte, resümiert Mühl. Die Geschichte erzählt Jügler unpathetisch und ohne Umschweife, lobt die Kritikerin, die den Roman als wichtigen Beitrag zur literarischen Aufarbeitung des DDR-Erbes würdigt.
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Buch in der Debatte

Efeu 11.04.2024
Spürbar ungebührlich findet es Andreas Platthaus in der FAZ, dass der Leiter des Literaturhauses Leipzig, Thorsten Ahrend, den Schriftsteller Matthias Jügler vor einer Lesung aus dessen Roman "Maifliegenzeit" um einen Beleg gebeten hat für dessen in der Nachbemerkung zu seinem Roman gefallene Behauptung: "Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass es in der DDR Fälle von vorgetäuschtem Säuglingstod gab." Ahrend beruft sich auf Studien, die keinen Nachweis dafür erbringen konnten, Jügler wiederum auf anekdotisches Wissen - die Lesung ist abgesagt. "Was ist das für ein Verständnis von Literatur, vor allem ihrer Fähigkeit, über Dinge, die nicht nach juristischen (oder auch journalistischen) Kriterien belegbar sind, zu erzählen und damit eine Debatte zu eröffnen", ärgert sich Platthaus. "Dass Jügler keine Lust hatte, sich von vorneherein auf unliterarisches Terrain zu begeben, ist verständlich. Er ist kein Archivar, er ist Romancier. Romane ziehen ihre Berechtigung nicht aus Wahrheit, sondern aus Wahrhaftigkeit." Dass systematisch Säuglinge entführt wurden, lege Jügler im übrigen eh nicht nahe: "'In der DDR' ist für Menschen, die lesen können, eine probate Orts- und Zeitbestimmung. Wer darin eine Systembeschreibung sieht, macht sich die Gleichsetzung von Diktatur und Alltag zu eigen, die gerade von Ostdeutschen immer wieder kritisiert wird." Unser Resümee