Natascha Wodin

Der Fluss und das Meer

Erzählungen
Cover: Der Fluss und das Meer
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
ISBN 9783498003760
Gebunden, 192 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Natascha Wodin führt uns auf die Nachtseite des Lebens, zu den Außenseitern, den Einsamen, den Verwundeten: Einmal zieht ihre Erzählerin eine Spur von Mariupol am Asowschen Meer, an dem ihre Mutter aufwuchs, bis hin zur Regnitz in Franken, dem Fluss, in dem diese sich das Leben nahm. Andernorts beobachtet sie eine Nachbarin, die in ihrem baufälligen Haus buchstäblich verfault, und auf Sri Lanka begegnet sie extremem sozialen Elend und einer bedrohlichen, alles verschlingenden Natur. In einer anderen Geschichte geht es um das Schicksal eines Unbekannten, der als psychisch kranker Patient entmündigt in einer Klinik im Fichtelgebirge lebt. Dorthin, "in die dunkelsten deutschen Wälder", schickt die Erzählerin ihm eine Nachricht, und es entwickelt sich eine Brieffreundschaft, dann eine Liebe, deren Anker die verbindende, rettende Kraft der Musik ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.04.2024

Autofiktionale Prosa von großer Klarheit schreibt Natascha Wodin laut Rezensentin Katharina Granzin auch in diesem Band, der Erzählungen versammelt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind. Fünf an der Zahl sind es, sie spielen zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten, aber, findet Granzin, sie setzen sich durchaus zu einem einzigen Leben zusammen. Granzin fasst die Handlungen der Erzählungen kurz zusammen, es geht unter anderem um den Blick der Erzählerin auf ihre zunehmend verwahrloste Nachbarin und um eine Liebesgeschichte, die sich über Briefe entfaltet. Hochemotional und eindringlich sind viele der Situationen, von denen Wodin erzählt, beschreibt Granzin, aber die Untiefen bleiben hinter dem skeptischen Blick der Erzählerin weitgehend verborgen. Eben darin, in der Darstellung des Unbekannten, der nicht greifbaren Verzweiflung, sieht die Rezensentin die große Stärke dieses Buchs.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 15.02.2024

Die fünf Erzählungen, die das Buch Natascha Wodins versammelt, sind teilweise bereits älteren Datums, erläutert Rezensentin Stephanie von Oppen, und sie setzen sich chronologisch zum Lebenslauf der Autorin zusammen. Es beginnt also, fährt Oppen fort, mit einem Text zur Kindheit Wodins in einem deutschen Lager für ehemalige Zwangsarbeiter an der Regnitz - jenem Fluss, in dem sich die traumatisierte, aus Mariupol stammende Mutter der Autorin später selbst das Leben nahm. Unter den weiteren Erzählungen hebt Oppen vor allem "Das Singen der Fische" hervor, ein Text, der von einer Reise handelt, die die Erzählerin mit einem deutschen, von 68 geprägten Studenten nach Sri Lanka unternahm. Und auf der sie, zeichnet die Rezensentin nach, erkannte, dass Sri Lanka ihrer "inneren Wildnis" (Zitat Wodin) näher ist als der Student. Ein Buch, das viel von Trauer handelt und doch glücklich macht, so das positive Fazit.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.01.2024

Interessiert liest Rezensent Tobias Lehmkuhl Natascha Wodins neuen Erzählband, der mit einem Text der Autorin über ihre Mutter einsetzt, die sich einst in einem fränkischen Fluss das Leben nahm, deren Gewalterfahrung von Wodin jedoch auch mit dem Ukrainekrieg und dem in Deutschland grassierenden Hass auf Russland in Verbindung bringt. Die weiteren Erzählungen, lernen wir, arbeiten oftmals Episoden aus der frühen Phase der Bundesrepublik auf, unter anderem geht es um eine Liebesgeschichte mit einem Psychiatriepatienten und um eine linke WG in den 1970ern. Wie in ihren Romanen versteht es Wodin laut Lehmkuhl auch in diesen Erzählungen, vermittels einer auf den ersten Blick kunstlosen Sprache ein Nahverhältnis zum Leser zu etablieren. Das Hauptthema des Bandes ist, so der Rezensent, Angst, und zwar Angst davor, nicht dazuzugehören zu der Welt, die einen umgibt.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.01.2024

Großen Respekt hat Rezensent Thomas Steinfeld vor Natascha Wodins Geschichten, in denen Erinnerung und Unglück untrennbar miteinander verbunden sind. Wie in ihren anderen Büchern geht es auch hier im Kern um Wodins Herkunft aus einer Familie sowjetischer Zwangsarbeiter in Deutschland, die für Wodin mit viel Leid verbunden war. Über die "Entstehung und Entfaltung" des Unglücks denkt die Autorin in ihren fünf Geschichte nach, so der Kritiker, es geht um die Wurzeln der Familie in Mariupol, die Reise einer jungen Frau nach Sri Lanka und um den Rückzug auf einen Südpfälzischen Hof, der dem Rezensenten auch schon in Wodins Roman "Nachtgeschwister" begegnet ist. Qualitativ sind die Geschichten nicht ganz gleichwertig, so Steinfeld, aber Wodin ist ohne Zweifel eine Schriftstellerin mit herausragenden Fähigkeiten.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.01.2024

Die fünf Erzählungen Natascha Wodins, die dieser Band versammelt, beweisen laut Rezensent Wolfgang Schneider den literarischen Rang dieser Autorin. Gemeinsam haben die Geschichten die Ich-Erzählerin, führt Schneider aus, in der sich die Autorin in autofiktionaler Manier selbst verortet. Thematisch geht es, lernen wir, unter anderem um den Leidensweg der Mutter Wodins in den Mühlen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, um den Versuch, ein bürgerliches Leben zu führen, was im Blick auf eine verwahrloste Nachbarin zu scheitern droht, und um eine Liebesgeschichte, die als Brieffreundschaft beginnt. Angetrieben wird dieses Schreiben, so Schneider, von einer Leiderfahrung, die nie komplett verbalisiert werden kann und als Angst ohne Namen die Texte heimsucht.