Peter Handke

Mein Tag im anderen Land

Eine Dämonengeschichte
Cover: Mein Tag im anderen Land
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
ISBN 9783518225240
Gebunden, 93 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

In der Gegend gilt er als Besessener, "besessen nicht allein von einem, sondern von mehreren, vielen, gar unzähligen Dämonen". Tags geht er, der eigentlich Obstgärtner ist, durch den Ort. Leise redet er in Zungen in einer nichtexistierenden Sprache, erschreckt die Dorfbewohner mit Beschimpfungen und Schmähreden, mit Orakelsprüchen. Nur die Schwester hält zu ihm, die Eltern leben schon lang nicht mehr. Sie beobachtet, wie er anderen Lebewesen, Tieren zuspricht, und will nicht wahrhaben, dass er wie aus der Kehle eines Engels singt. Sie folgt ihm, auch an den See "mit dem anderen Land an dem Ufer gegenüber" - dort blickt ihn ein Mann an, wie er "noch keinmal von einem Menschen angeblickt worden war", und da fahren die Dämonen aus ihm heraus. So macht er sich, "nach einem freilich langgezogenen Abschied, auf den Weg hinüber ins andere Land". Peter Handke erzählt von Dämonen, die ihren Schrecken verlieren im Blick desjenigen, der sagt: "Da bist du mir ja wieder, mein Freund!" Im Moment, in dem der Besessene so ist, wie er da war. Er erzählt von einer poetischen Verwandlung, einer Befreiung, die neben den Harmonien das "unausrottbar Widerständige" bewahrt; denn: "Ohne es wird nichts. Ohne es nichts als Dasein, Dortsein, und ewig unbeseeltes Sein."

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.04.2021

Mit feiner Ironie berichtet Rezensentin Iris Radisch über Handkes erstes Post-Nobelpreis-Buch. Zunächst zählt sie die üblichen Handke-Ingredienzien auf, die hier wiederum zur Vorführung kommen, insbesondere das erzählende männliche Ich in üblich "erlösungsbedürftiger" Verfassung, wie die Kritikerin schreibt. Im mittleren Teil dieses dreiteilig angelegten Textes allerdings scheint ihr auch etwas bisher noch nicht so Gewohntes zu geschehen, nämlich eine Art "Radikalisierung der kunstreligiösen" Momente des Dichters. Ihr Urteil darüber bleibt ein wenig vage, immerhin aber fällt ein Ausdruck wie "zeitgemäße Erbauungsliteratur". Wirklich begeistert scheint die Kritikerin also nicht zu sein, dennoch verbeugt sie sich am Ende doch auch vor des Dichters "Gabe zur sanften Selbstverhöhnung".

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 17.04.2021

Rezensent Rainer Moritz ist froh, Peter Handkes neues Buch ganz entspannt und ohne den alten Kampf um Vorabexemplare lesen zu können. Die schmale Erzählung über einen Schriftsteller und ehemaligen Obstgärtner, der von einem Fischer von seinen Dämonen befreit und daraufhin endlich von seinen Mitmenschen akzeptiert wird, zeichnet sich, so Moritz, durch viele religiöse Referenzen und Bezüge aufs eigene Werk aus, sowie durch Handke-typische "aufgeladene", aber pathosfreie Bilder, lobt der Kritiker. Am Ende der Geschichte, die er außerdem als autobiografisches Psychogramm liest, stelle sich die Frage, ob dem Aufgehen in der Gesellschaft nicht erst durch das Erzähltwerden sein Wert zukomme, schließt Moritz.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.04.2021

Rezensent Paul Jandl freut sich, dass Peter Handke wieder da ist und mit ihm eine literarische Gestalt, halb Obstgärtner, halb "jesusähnliche Gestalt", ein bisschen Handke, der Schriftsteller, ist wohl auch darin, deren Verwandlung vom wütenden Außenseiter zum geläuterten Immer-noch-Außenseiter er gerne lesend verfolgt. Eine "literarische Teufelsaustreibung", die Jandl als Parabel liest auf die Nobelpreisdebatten und die Folgen und an deren Ende die heilsame und für Jandl wirklich komische Selbstironisierung des Dichters steht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.04.2021

Rezensentin Judith von Sternburg scheint erleichtert über die gut gelaunte "Offenherzigkeit" und den Mangel an Selbstmitleid und Sendungsbewusstsein im neuen Text von Peter Handke. Die Geschichte vom wütenden Obstgärtner, der in die Gesellschaft zurückfindet, liest sie als Parabel auf einen Dichter, der "in einer milden Volte" erst zu den anderen, dann zu sich selbst zurückgelangt. Liest sich für Sternburg unbeschwert, harmlos. Zu lernen findet sie auch etwas, nämlich dass einem sogar das Gewicht der Hummel zu viel werden kann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.04.2021

Es geht in diesem Buch in drei Teilen zum einen um die Beschreibung eines "exaltierten Verhaltens", voller Geschimpfe und Rückzug, an das sich der Betroffene selbst nicht erinnern kann, zweitens um ein von ihm visionär gelebtes, gutes Leben, was womöglich ein wahnhafter Zustand war, und im dritten Teil um eine Befragung von beiden Zuständen, resümiert Rezensent Tilman Spreckelsen. Er lässt sich gerne auf Spekulationen ein, ob der teils böse schimpfende Handke sich im ersten Teil selbst gemeint haben könnte, findet jedoch, dass die religiösen Bilder des zweiten Teils diese Frage gewissermaßen aufheben. Wirklich interessant und überzeugend scheint dem Kritiker der kurze dritte Teil, der das Aufschreiben des Erlebten und Gehörten als "Erlösung" anbietet. Auf ein abschließendes Urteil lässt sich er sich jedenfalls nicht ein.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.03.2021

Rezensentin Marie Schmidt ist ganz froh, dass Peter Handke und sein Erzähler ihre Rolle als Outcast noch nicht so weit perfektionieren konnten, dass sie ohne lachendes Publikum auskämen. In seinem neuen Buch versucht es Handke wiederum, indem er seinen Paria-Erzähler auf Wanderschaft schickt. Schmidt betet, dass es keine "Künstlerparabel" werde, augenblicksweise glaubt sie sogar, Handke hätte seinen alten Humor aus Zeiten der "Publikumsbeschimpfung" wiedergefunden. Allerdings meint es der Autor tatsächlich ernst mit seinem "Außenseiter-Topos", biblisch ernst sogar, stellt Schmidt betrübt fest. Für die Rezensentin hat die Heilung des Parias im Text jedoch nur wenig Wundersames oder gar Heiliges, eher ist es zum Lachen, meint sie.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 27.03.2021

Rezensent Mladen Gladic scheint erleichtert angesichts von Peter Handkes neuem Text. Wie ein Zeugnis für Daseinsfreude und Befreiung kommt ihm die Erzählung vor. Wenn Handke seinen Erzähler, einen ehemaligen Obstbauern, losschickt auf Wanderschaft und "Schreibreise", erkennt Gladic Licht am Ende des Wegs, Klarheit, Geselligkeit nach langer Umnachtung und Zurückgezogenheit. Als Geschichte einer Genesung und eines Genesenden mit Bezügen zur Bibel und zu Handkes Werk, zur Rolle des Autors in der Öffentlichkeit auch, liefert der Text dem Rezensenten nicht zuletzt "versöhnliche Varianten älterer Motive" bei Handke.

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