Raphaela Edelbauer

Das flüssige Land

Roman
Cover: Das flüssige Land
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2019
ISBN 9783608964363
Gebunden, 350 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist.Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 12.10.2019

Rezensent Fokke Joel fand die Geschichte über Ruth Schwarz, die auf den Spuren ihrer Eltern in der rätselhaften österreichischen Kleinstadt Groß-Einland ankommt, einfallsreich: Dass die Stadt in einem unterirdischen Loch zu versinken droht, liest er als Hinweis darauf, dass die Landschaft den psychischen Abgrund ihrer Bewohner spiegelt, denn Ruth findet bald heraus, dass in Groß-Einland kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs 800 Zwangsarbeiter ermordet wurden. Weil die Erzählerin sich immer weniger enthusiastisch mit dem Verbrechen beschäftigt, je mehr sie sich von den Groß-Einländern integriert fühlt, hätte der Roman zu einem großartigen Beispiel für die Mechanismen kollektiver Verdrängung werden können, meint der Kritiker, allerdings erscheinen ihm die Stadtbewohner dafür insgesamt doch zu sympathisch.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.2019

Rezensent Tilman Spreckelsen hat gegenüber diesem Roman über eine junge Physikerin, die den Herkunftsort ihrer Eltern, Groß-Einland, sucht, schließlich findet und vor dem Verschwinden in einem Riss bewahrt, gemischte Gefühle: Es hat ihm gefallen, dass die Progatonistin ihm von Beginn an unzuverlässig erschien, vielleicht sogar verrückt, und dass er das beim Lesen trotzdem immer wieder vergessen hat. Auch den Witz und die Spannung der Geschichte hat er bewundert. Weniger geglückt findet er, wie auffällig Landschaft, Moral und Psyche hier verknüpft werden, denn der physische Abgrund verweise auf einen psychischen, wie der Kritiker verrät. Das war ihm dann doch etwas zu offensichtlich.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 05.10.2019

Eva Pfister hätte die Exkurse über Schwarze Löcher und Blockuniversums-Theorie in Raphaela Edelbauers Debütroman gar nicht gebraucht. Auch ohne solche Erläuterungen gelangt sie mühelos in das kafkaeske Zwischenreich von Fantastik, Nazihorror und Kleinstadtbiederkeit, in das die Autorin ihre Erzählerin, eine Physikerin auf der Suche nach dem rätselhaften Geburtsort ihrer verstorbenen Eltern, schickt. Wie Edelbauer vor diesem surrealen Setting Österreichs Nazivergangenheit und seinen Umgang damit thematisiert, findet Pfister durchaus preiswürdig.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.10.2019

Rezensentin Judith von Sternburg fühlt sich mit dem Debütroman von Raphaela Edelbauer durchaus an Kafka erinnert. Wie die Autorin ihre Erzählerin, eine kurz vor der Habilitation stehende Physikerin, in eine Traumwirklichkeit abdriften lässt, an den Rand eines buchstäblichen Lochs unter einem "hyperrealistischen" Österreich, um an all das darin verscharrte Dunkle zu rühren, findet Sternburg stark, unterhaltsam, wendungsreich. Dass sich die in diesem Gesellschaftspanorama thematisierte allgemeine Verunsicherung auf die Leserin überträgt, liegt laut Sternburg an der traumartig schillernden Sprache. Eine gute Wahl für die Shortlist des Deutschen Buchpreises, findet Sternburg.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 24.09.2019

Stark findet Anne Kohlick Raphaela Edelbauers Roman über kollektive Verdrängung in einem österreichischen Dorf. Die Handlung um einen von einer ominösen Gräfin regierten Flecken, in dem nichts so ist, wie es scheint, und der buchstäblich über einem dunklen Abgrund steht, einem schwarzen Loch, in dem Zwangsarbeiter und die Zeit verschwinden, wird laut Kohlick von der Autorin mit barocker Erzähllust, schwarzem Humor und Neigung zum überraschenden Vergleich und zur Hyperbel entfaltet. Ein parabolischer, die Zeit aufhebender surrealer Anti-Heimatroman wie von Kafka, findet die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 11.09.2019

Rezensentin Hannah Engelmeier liest dieses Debüt der Österreicherin Raphaela Edelbauer als Pendant zu Karen Köhlers Roman "Miroloi". Auch "Das flüssige Land" erzählt von der Selbstfindung einer Frau in falscher Idylle, erklärt Engelmeier, versetzt mit Motiven der Archaik und Fantastik. Die 35-jährige Hochleistungsphysikerin Ruth flieht in die Provinz, deren Fundament sich nicht nur im übertragenen Sinn als hohl erweist, sondern im wörtlichen: Unter Groß-Einland befindet sich ein riesiges Loch, in das die Bewohner des Ortes alles schütten, was sie loswerden wollen. Glücklich wird die Rezensentin mit dem Roman allerdings nicht. Engelmeier stört sich dabei weniger am schnörkeligen Stil der Autorin oder den vielen Zitaten aus Ruths Habilitation als an der erwartbaren Konstruktion: Ein Publikum, das diesen Roman liest, wird nicht überrascht sein von der Enthüllung, dass auch das liebliche Groß-Einland nicht frei von historischen und gesellschaftlichen Verwerfungen ist.
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