Raymond Geuss

Nicht wie ein Liberaler denken

Cover: Nicht wie ein Liberaler denken
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518587980
Gebunden, 267 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann. "Schlussendlich müssen wir entscheiden, welche Art von Menschen wir sein möchten, als Individuen ebenso wie als Kollektiv. Die Philosophie kann dabei eine Rolle spielen, aber wir sollten darüber hinaus auf Ressourcen zurückgreifen, die breiter sind als diejenigen, die die Philosophie zur Verfügung stellen kann." Für die meisten Menschen im "Westen" ist der Liberalismus zu einer Gegebenheit quasinatürlicher Art geworden, zu einem auf Dauer gestellten Hintergrundrauschen. Und doch gibt es in jeder Gesellschaft Winkel abseits des kulturellen Mainstreams. Der Philosoph Raymond Geuss ist in einem solchen Winkel aufgewachsen und zeichnet in seinem Buch nach, wie er in jungen Jahren mit einer ethisch-politischen Perspektive vertraut gemacht wurde, die sein Denken nachhaltig geprägt hat.
1959 kommt der begabte Sohn eines tiefkatholischen Stahlarbeiters auf ein Internat am Stadtrand von Philadelphia. Umgeben von Eisenhowers Amerika, versuchen ungarische Priester dort, den jungen Geuss zu immunisieren: gegen den repressiv-autoritären Kommunismus, dem sie entflohen waren, aber auch gegen den geistlosen liberalen Kapitalismus, in dem sie nun leben. Danach - es ist Vietnamkrieg und "1968" - geht Geuss zum Studium nach New York, wo er auf legendäre akademische Lehrer wie Sidney Morgenbesser trifft, und nach Westdeutschland, wo er das erste Mal Adorno liest. "Nicht wie ein Liberaler denken" führt  durch die intellektuellen Strömungen, die Geuss' ablehnende Haltung zu Liberalismus und Autoritarismus geformt haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.09.2023

Der hier rezensierende Philosoph Otfried Höffe folgt Raymond Geuss' intellektueller Biografie und lernt, wie der Autor unter dem Eindruck persönlicher Erfahrungen zum Kritiker des Liberalismus wurde. Dennoch entgeht Höffe nicht die Anlage des Buches als Provokation. Der Philosoph kritisiert die Dichotomie aus Liberalismus und Autoritarismus und Habermas' Diskurstheorie und präsentiert sich als Begriffsskeptiker, so Höffe. Auch Geuss' Lehrer wie Robert Paul Wolff haben ihren Auftritt, schreibt Höffe. Warum der Autor nicht die guten Seiten des Liberalismus bzw. die kontinentaleuropäischen Demokratien mit ihrer Sozialstaatlichkeit aus seiner Kritik herauslöst, kann sich Höffe allerdings nicht erklären.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2023

Für den Rezensenten Uwe Justus Wenzel hält das neue Buch des ameriianisch-britischen Philosophen Raymond Geuss zwar keine Lebenslehre bereit, dafür aber Selbstkritik im besten Sinne: aus Selbsterkenntnis. Am besten gefällt Wenzel der Band, eine Art intellektueller Autobiografie, so Wenzel, wenn der Autor in einer individuellen Lebens- und Bildungsgeschichte "farbig" und "gehaltvoll" davon berichtet, wie sich der Liberalismus kritisch (gegen sich) verwenden lässt und wie man sich als jemand, der damit aufwächst, nicht davon vereinnahmen lässt. Geuss' Begründungen und Erklärungen dazu liest der Rezensent mit Neugier, weil der Autor sich nicht auf Argumente gegen den Liberalismus beschränkt.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.06.2023

Rezensent Gustav Seibt überzeugt Raymond Geuss mit seiner intellektuellen Autobiografie nicht. Wie der 1946 in den USA geborene Autor es anstellte, kein Liberaler zu werden, vermittelt der Text laut Seibt beschreibend, nicht beweisend als "kulturkritisch schlecht gelaunter" Rundumschlag gegen heutige Verhältnisse des Überwachungskapitalismus und einer entfesselten Finanzwelt. Der Liberalismus erscheint Seibt dabei als "Pappkamerad", weil Geuss antitotalitäre Varianten, die das Individuum nicht absolut setzen, unbeachtet lasse, wie der Rezensent schreibt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.05.2023

Außergewöhnlich und bewundernswert findet Rezensent Mark Siemons, was der amerikanische Philosoph Raymond Geuss in seinem Buch bietet. In einer Abkehr vom Liberalismus und von einer Philosophie, die nur noch mit abstrakten, abgeschlossenen Theoremen operiert, plädiere der Philosoph für eine Rückbesinnung auf die konkrete historische Verankerung und Genese von (philosophischen) Annahmen, wie Siemons wiedergibt. Dafür beziehe sich Geuss stark auf seine eigene schulische Prägung an einem Internat im Philadelphia der sechziger Jahre, betrieben von geflüchteten ungarischen Priestern, deren Denken sehr von einem modernen Individualismus abwich und den Autor stark beeinflusste. Zwar könne man Geuss vielleicht vorwerfen, die Erfolge eines liberalen Denkens nicht zu berücksichtigen, überlegt Siemons; für ihn tut das aber der großen Leistung des Buchs keinen Abbruch, seine Leserschaft über die Voraussetzungen von "allzu vertrauten Annahmen" ins Grübeln zu bringen. Auch der leicht "sperrige" Schreibstil, der glatte Formulierungen "skrupulös vermeide", scheint den Kritiker nicht zu stören.