Sandra Kalniete

Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee

Die Geschichte meiner Familie
Cover: Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 2005
ISBN 9783776624243
Gebunden, 352 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Lettischen von Matthias Knoll. Sandra Kalniete führte als Außenministerin ihr Land in die EU. Sie plädiert für ein gemeinsames Geschichtsverständnis des alten und des neuen Europa zur Bewältigung der gemeinsamen Vergangenheit. Die Geschichte ihrer Familie ist ein Teil davon: 1941 im okkupierten Riga vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet, führte sie ihr Leidensweg als Zwangsdeportierte nach Sibirien, wo Sandra Kalniete geboren wurde. Erst nach Stalins Tod sollte sie mit ihren Eltern in ihre Heimat zurückkehren dürfen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.07.2005

Recht nüchtern bespricht Jasper von Altenbockum dieses Buch der ehemaligen lettischen Außenministerin Sandra Kalniete, das die Deportation ihrer Familie in einen sibirischen Gulag rekonstruiert. Wie er berichtet, fiel das Buch bei der Kritik in Ungnade, nachdem die der Autorin auf der Leipziger Buchmesse das Tabu gebrochen hatte, kommunistische und nationalsozialistische Verbrechen zu vergleichen. Dagegen findet er, dass Kalniete das Schicksal ihrer Angehörigen nicht in Form von "familiengeschichtlicher Betroffenheitslyrik" schildert. Er hebt hervor, dass die Autorin in Archiven forschte, Interviews mit Überlebenden führte, und die Sekundärliteratur über die sowjetische und deutsche Besatzungspolitik in Lettland und über die Straf- und Sonderlager des Gulag verarbeitete. Altenbockum würdigt das Buch als eine exemplarische Schilderung der genozidalen Erfahrungen des lettischen Volkes. Die Kritik an dem Buch erklärt der Rezensent mit dem Verweis auf zwei Passagen, in denen sie ihre Landsleute zu mehrfachen Opfern der Geschichte erklärt, womit Kalniete "offenbar gegen die Erinnerungsetikette" verstoße. Gegen den Vorwurf, sie relativiere den Holocaust, aber nimmt der Rezensent die Autorin in Schutz.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.06.2005

Ralf Althof zeigt sich von der Familiengeschichte der lettischen Außenministerin Sandra Kalniete, deren Eltern mit ihren Familien als Kinder nach Sibirien verschleppt wurden und dort unter schwierigsten Bedingungen bis 1957 leben mussten, sehr beeindruckt. Er lobt die Autorin für die Anschaulichkeit ihrer Schilderungen und betont, dass sich die Leser ein eindrückliches "Bild" von den extremen klimatischen und hygienischen Bedingungen vom Sibirien der 50er Jahre machen können. Kalniete wendet sich in ihrem Buch zudem auch gegen den Universalvorwurf, die Letten seien dem Faschismus durchweg zugeneigt gewesen. Das "Verdienst" der Autorin bestehe darin, dass sie mit ihrem Buch dazu beiträgt, die "Schrecken" der sibirischen Verschleppungen ins allgemeine Bewusstsein zu bringen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.05.2005

Sandra Kalniete wurde 1952 als "Verbannte" 1952 im einer sibirischen Sonderansiedlungszone geboren, Gebiet Tomsk. Dorthin waren ihre Mutter und Großmutter als "antisowjetische Elemente" 1941 deportiert worden, sie lebten in Kälte und Hunger, konnten oft nichts anderes essen als in Brennnesselsud gekochte Ratten. Kalnietes Vater und dessen Mutter traf das gleiche Schicksal 1949 in einer zweiten großen Deportationswelle. Mit Empathie und Sachkenntnis erzählt die Rezensentin Anita Kugler vom Überleben der Familie Kalniete beziehungsweise mütterlicherseits der Dreifeldes nach, und betont, dass es sich um keinen Einzelfall handelt. Aus dem gesamten Baltikum wurden bis 1949 rund 95.000 Menschen nach Sibirien deportiert wurden. Zum Teil, weil sie mit den deutschen Besatzern kollaboriert hatten, zum überwiegenden Teil aber, um der lettischen Nation das Rückgrat zu brechen. Sandra Kalnietes Erinnerungen sind kein "literarisches Meisterwerk", räumt die Rezensentin ein, aber das stört sie nicht: Es sei "sehr gut geeignet, unsere große Unwissenheit über das Schicksal der Balten, hier der Letten während der Sowjetzeit zu lindern", meint Kugler und hält es auch für ein unbestreitbares Verdienst, dass Kalniete ihre Familiengeschichte so anschaulich beschreibt, dass sie "im Gedächtnis haften" bleibt.