Sherko Fatah

Der große Wunsch

Roman
Cover: Der große Wunsch
Luchterhand Literaturverlag, München 2023
ISBN 9783630877372
Gebunden, 384 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Sherko Fatah erzählt eine erschütternde Vater-Tochter-Geschichte vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten, die auch das heutige Westeuropa längst erreicht haben. Eine Tochter verschwindet. Sie ist aufgebrochen, um sich in Syrien mit einem Glaubenskrieger zu verheiraten, den sie im Internet kennengelernt hat. Zurück bleibt ein Vater, der sich Vorwürfe macht. Hätte Murad seiner Tochter Naima nur mehr von seinem Herkunftsland erzählt, von dem er sich hier in Deutschland endlich gelöst hat. Hätte er ihren Fremdheitsgefühlen nur mehr Beachtung geschenkt. Vielleicht wäre sie dann nicht im Namen der Religion in eine Welt heimgekehrt, die ihr vollkommen unvertraut ist. Murad sieht nur eine Lösung: Er muss Naima finden. Und so nimmt er Kontakt zu Schleusern auf, reist in das Kurdengebiet an der türkisch-syrischen Grenze und stellt sich dabei auch seiner eigenen Vergangenheit. Als ihm die Schleuser ein Audiotagebuch präsentieren, das von einer Frau in Rakka aufgenommen wurde, mit großer Wahrscheinlichkeit Naima, entscheidet Murad, die gefährliche Reise in das Herrschaftsgebiet des Islamischen Staates auf sich zu nehmen …

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.01.2024

Sherko Fatahs neues Buch handelt, beschreibt Rezensent Jens Uthoff, von Murat, der seine Tochter Naima sucht, die aus ihrer Heimatstadt Berlin in Richtung Syrien gereist ist, um sich dem IS anzuschließen. Das Buch ist laut Uthoff durchaus als Spannungsliteratur angelegt, im Zentrum stehen allerdings Murats Reflexionen über die Mechanismen des Islamismus in der gegenwärtigen Medienwelt und auch über das Selbstverständnis und die Ausgrenzungserfahrungen muslimischer Einwanderer in Deutschland. Notwendig lückenhaft bleiben die Antworten auf viele Fragen, die das Buch aufwirft, beschreibt Uthoff, aber auch das Scheitern umfassender Erklärung kann lehrreich sein. Und brandaktuell ist das Buch nach dem Hamas-Terror des 7. Oktobers 2023 ohnehin, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 05.09.2023

Dem vermeintlichen "Stillstand der Handlung" liegt in Sherko Fatahs Buch eine "unheimliche Dynamik" zu Grunde, erfahren wir von Rezensentin Sigrid Löffler. Protagonist Murad reist in das türkische Grenzgebiet zu Syrien, um seine Tochter Naima nach Hause zu holen, nachdem diese sich dem IS angeschlossen hatte, resümiert die Kritikerin. Im Buch wird viel Zeit mit Warten verbracht, trotzdem baut sich immer größere Spannung auf: Murad, erfahren wir, wartet auf die Nachrichten von den Mittelsmänner, die ihm über Chats Informationen über seine Tochter mitteilen, wandert zum Zeitvertreib durch das kurdische Herkunftsland seines Vaters - und fühlt sich hier genauso fremd wie in Berlin. Immer mehr überkommt ihn das "Gefühl einer bodenlosen Irrealität", verstärkt durch die Grübeleien über die Fluchtursachen seiner Tochter. Warum diese sich dem IS zugewandt hat, ist die dominierende Frage, die Murad bis zum Ende nicht zu beantworten weiß, so Löffler. Fatah stellt schonungslos, die "unüberbrückbaren Fremdheiten" zwischen dem Westen und der arabischen Welt und den "entwurzelten migrantischen Pendlern dazwischen" dar - jetzt schon eine der wichtigsten Neuerscheinungen des Herbstes, jubelt Löffler.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 02.09.2023

Unwirtlich, fast unwirklich ist die Landschaft, in der Sherko Fatahs Buch spielt, so Rezensent Tobias Lehmkuhl. Die Geschichte des Protagonisten Murad, der im türkisch-irakisch-syrischen Dreiländereck seine Tochter sucht, erinnert den Rezensenten in dieser Hinsicht an das Debüt des Autoren "Im Grenzland". Die Tochter hat sich, lernen wir, dem Islamischen Staat angeschlossen, der Vater will sie mithilfe eines ein wenig mysteriösen Boten zurückholen, reflektiert aber auch seine eigene Vergangenheit sowie die Lebensgeschichte seines Vaters, der als Migrant nach Deutschland gelangte. Gar nicht mehr aufhören sollten die Landschaftsbeschreibungen, wenn es nach Lehmkuhl geht, so plastisch wird diese Welt gerade auch in ihren lebensfeindlichen Aspekten. Keineswegs falle dabei die Handlung unter den Tisch, die von Audionachrichten vorangetrieben wird, die der Bote zustellt. Warum nun hat sich die Tochter dem IS angeschlossen? Es hat vielleicht, führt Lehmkuhl aus, mit einem Gesellschaftsentwurf zu tun, der in einer unübersichtlichen Welt Sicherheiten verspricht. Freilich geht es Fatah nicht um eindeutige Antworten, stellt der Rezensent klar, sondern um die Darstellung der existentiellen Unsicherheit des Protagonisten. Auch der türkische Völkermord an den Armeniern und Eurozentrismuskritik spielen eine Rolle im Buch, lernen wir, im Zentrum steht jedoch stets Murad, dessen Lage immer hoffnungsloser wird, der aber gleichzeitig von seiner neuen Umgebung affiziert wird. Toll geschrieben und der nicht allzu ereignisreichen Handlung zum Trotz voller Spannung ist das alles, so das ziemlich enthusiastische Fazit.