Tobias Lehmkuhl

Der doppelte Erich

Kästner im Dritten Reich
Cover: Der doppelte Erich
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783737101509
Gebunden, 304 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Berlin, Anfang der dreißiger Jahre. Erich Kästner befindet sich auf dem Höhepunkt seines Erfolgs: "Pünktchen und Anton" und "Das fliegende Klassenzimmer" begeistern international, "Emil und die Detektive" wird 1931 verfilmt (Drehbuch Billy Wilder). Dann die Zäsur: Als die Nazis die Macht übernehmen, entscheidet sich Kästner, in Deutschland zu bleiben. Er, der kurz zuvor noch ein Spottgedicht auf Hitler verfasst hat, muss vor Ort mitverfolgen, wie seine Bücher verbrannt werden; bald darauf erhält er Publikationsverbot. Und doch gelingt es ihm, über die Runden zu kommen, und das nicht einmal schlecht. Er schreibt unter Pseudonymen, übernimmt Auftragsarbeiten, zuletzt auch für die UFA, die längst von Goebbels politisch instrumentalisiert wird. All das wirft Fragen auf: Wie weit passte Kästner sich im Dritten Reich an, wo bekannte er Farbe? Wie schmal war der Grat, auf dem er wandelte?

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.11.2023

Rundum zufrieden ist Rezensent Julius Zimmermann mit der Biografie, die Tobias Lehmkuhl über Erich Kästner mit Fokus auf dessen Leben im Dritten Reich geschrieben hat. Dass sich der Autor ambivalent gegenüber dem Regime verhalten hat, ist kein Geheimnis, weiß Zimmermann, er ist froh, dass Lehmkuhl keine vorschnelle eindeutige Positionierung vornimmt, sondern anhand von 14 Anekdoten "verschiedene Lesarten Kästners" ermöglicht, die dafür sorgen, dass sich die LeserInnen ein eigenes Bild machen können. Dem Kritiker gefällt, dass der Biograf sich zu beschränken weiß und gar nicht erst den Versuch unternimmt, eine umfassende Neudeutung vorzulegen. Natürlich werden dabei einige Aspekte eher kurz abgehandelt, räumt er ein, aber zu viele Details wären der Lebendigkeit dieser Erzählung vielleicht auch abträglich, wird resümiert.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 31.10.2023

Dass es selbst über vermeintlich auserzählte historische Episoden wie die Bücherverbrennungen im Dritten Reich noch Neues zu lernen gibt, erfährt Rezensent Tilman Krause aus Tobias Lehmkuhls Buch. Das beschäftigt sich, so Krause, mit Erich Kästner, dem einzigen Schriftsteller, der in Deutschland blieb, obwohl seine Bücher im Feuer landeten. Krauses Buch zeigt laut Rezensent auf, dass diese erstaunliche Entscheidung damit zu tun hatte, dass Kästner die Gefahr durch die Nazis schlicht nicht so ernst nahm und in der Tat immer wieder Schlupfwinkel fand, die ihm ein vergleichsweise unbeschwertes Leben in Hitlerdeutschland ermöglichten. So wurde Kästner zwar, wie Krause nach Lehmkuhl ausführt, trotz mehrerer Versuche nicht in die Reichsschriftkammer aufgenommen, hielt sich aber mit Veröffentlichungen im Ausland und anonymen Arbeiten als Drehbuchautor gut über Wasser. Schließlich kam er, wie Lehmkuhl laut Rezensent weiter rekonstruiert, doch noch direkt mit den Nazis ins Geschäft und schrieb, abermals pseudonym, den Münchhausenfilm für die Ufa, außerdem versuchte er, von der NS-Bürokratie Entschädigungszahlungen für Bombenschäden zu erhalten. Da hat sich einer erfolgreich durchgemogelt, scheint es Krause nach der Lektüre.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2023

So ganz schlau wird man aus Patrick Bahners Kritik nicht, wer der doppelte Erich für Autor Tobias Lehmkuhl denn nun war: Hier der Sohn, der sich nicht von seiner Mutter lesen konnnte, dort der Autor, der, ja was - so eine Art verhinderter Adorno war? Oder wenigstens ein Walther Kiaulehn hätte sein können, wäre er im Dritten Reich nicht so angepasst gewesen? Wie Lehmkuhl versucht das "Zwiespältige" Kästners psychologisch, moralisch und literaturhistorisch auszuloten, findet Bahners schon interessant. Aber am Ende gibt Kästner einfach nicht genug für ihn her: zu wenig Haltung, am Ende doch nur ein "Gebrauchsschriftsteller".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2023

Rezensent Hilmar Klute liest Erich Lehmkuhls Buch über Erich Kästners Zeit im Dritten Reich insgesamt mit Gewinn, hat aber auch ein paar Einwände. Kästner ist ein nach wie vor viel gelesener Klassiker, führt Klute aus, wobei inzwischen öfter angemerkt wird, dass der sich selbst als Kritiker des Nationalsozialismus verstehende Autor die Hitlerjahre in Deutschland erstaunlich gut überstanden hat. Die Frage wie das möglich war, stellt Lehmkuhl ins Zentrum seiner Studie, so der Rezensent. Kästner war in erster Linie ein produktiver Schreibprofi, stellt Klute mit Lehmkuhl klar. Dass er sich selbst als einen Chronisten des "Dritten Reiches" verstanden habe, nehme Lehmkuhl Kästner nicht ab; stattdessen beschreibe das Buch den Schriftsteller als einen Opportunisten, der sich mehr und mehr vom Regime vereinnahmen lasse und auch oft unkritisch dessen Rhetorik übernommen habe. Zu viel Raum nehmen in dem Buch küchenpsychologische Deutungen ein, findet Klute, besser gefallen ihm Versuche, dem literarischen Werk Hinweise auf die eigene Rolle in der Nazizeit zu entnehmen. Klute ärgert sich über einige faktische Fehler und kritisiert außerdem, dass das Buch keine wirklich neuen Erkenntnisse enthält; als pointierten Beitrag zur Kästner-Exegese kann der Rezensent Lehmkuhls Studie dennoch empfehlen.
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