Uwe Wittstock

Marseille 1940

Die große Flucht der Literatur
Cover: Marseille 1940
C.H. Beck Verlag, München 2024
ISBN 9783406814907
Gebunden, 351 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

 Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Es ist das dramatischste Jahr der deutschen Literaturgeschichte. In Nizza lauscht Heinrich Mann bei Bombenalarm den Nachrichten von Radio London. Anna Seghers flieht mit ihren Kindern zu Fuß aus Paris. Lion Feuchtwanger sitzt in einem französischen Internierungslager gefangen, während die SS-Einheiten näherrücken. Sie alle geraten schließlich nach Marseille, um von dort einen Weg in die Freiheit zu suchen. Hier übergibt Walter Benjamin seinen letzten Essay an Hannah Arendt, bevor er zur Flucht über die Pyrenäen aufbricht. Hier kreuzen sich die Wege zahlreicher deutscher und österreichischer Schriftsteller, Intellektueller, Künstler. Und hier riskieren Varian Fry und seine Mitstreiter Leib und Leben, um die Verfolgten außer Landes zu schmuggeln.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.03.2024

Beeindruckt liest Rezensent Cord Aschenbrenner Uwe Wittstocks Buch über die Flucht verfolgter deutscher Exilanten aus Marseille im Jahr 1940. Entlang des Buchs zeichnet Aschenbrenner nach, wie der Amerikaner Varian Fry und dessen Emergency Rescue Committee mithalfen, zahlreiche Künstler, Komponisten, Autoren und so weiter, die sich in Frankreich sicher gefühlt hatten und von Hitlers Überfall auf das Land überrumpelt worden waren, außer Landes zu schaffen. Fry kannte keinen dieser Menschen persönlich, bevor er nach Frankreich kam, erfahren wir, aber er kannte ihre Werke und er fand für sein Unternehmen Unterstützer, wie etwa den Karikaturisten Bil Spira, der sich zum Passfälscher umschulen ließ. Aschenbrenner skizziert mit Wittstock einige Exilantenschicksale, unter anderem das Lion Feuchtwangers, und weist darauf hin, dass die Geschichte dieser Flucht zwar grundsätzlich bekannt ist, aber nie vorher in dieser Dichte und materialgesättigten Eindringlichkeit erzählt worden sei.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.03.2024

Marseille war 1940 nach dem Einmarsch der Deutschen die letzte Hoffnung vieler Emigranten, doch noch aus Europa herauszukommen - davon liest Rezensent Lukas Böckmann im neuen Buch von Uwe Wittstock, der sich den Wegen so berühmter Intellektueller wie Hannah Arendt und Lion Feuchtwanger widmet. "Fluchtpunkt all jener Schicksale" ist nicht nur Marseille, sondern auch der Journalist Varian Fry, der mit dem Emergency Rescue Committee versucht hat, so viele der berühmten Geflüchteten wie möglich zu retten, lernen wir. Dass Wittstock all seine Fäden oft über "boulevardeske Schilderungen" zusammenführt, viel aus subjektiv gefärbten Briefen und Erinnerungen zitiert, ohne dabei eine Quelle anzugeben, findet Böckmann fragwürdig. Gemeinsam mit dem für ihn nicht eingelösten Anspruch, anhand der exponierten Einzelschicksale die Wege vieler Namenloser zu erleuchten, eine Schwachstelle des Buches, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 02.03.2024

Rezensent Wolf Lepenies empfiehlt Uwe Wittstocks Buch als Hintergrundlektüre zur Netflix-Serie "Transatlantik". Das Wirken von Varian Fry und seines Emergency Rescue Committees in Marseille um 1940 bringt das Buch quellenreich und spannend zur Darstellung, meint er. Mit Sinn für die Chonologie und mit Empathie schildert Wittstock laut Rezensent Heldengeschichten, Tragödien (Benjamin!), literarische und künstlerische Leistungen unter bedrohlichsten Umständen und sogar Komisches (Alma Mahler-Werfels 12 Koffer).

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 01.03.2024

Florian Illies hat mit "1913" vorgemacht, was Uwe Wittstock mit seiner Geschichte der "großen Flucht der Literatur" aus Deutschland perfektioniert, lobt Rezensent Hans von Trotha: Ein kulturhistorisches Erzählverfahren, bei dem Zitate und anekdotisch dichte Erzählbruchstücke aus wechselnden Zeiten und Perspektiven mit einander verschnitten werden, was es ermöglicht, komplexe Themen mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren flott, pointiert, unterhaltsam, und berührend zu erzählen, ohne die vielschichtigen Zusammenhänge zu vernachlässigen. Eine der Schwächen dieses Verfahrens, so von Trotha, ist jedoch, dass es zu Verkürzungen und Überspitzungen verführt. Wittstock entgeht dieser Gefahr, zumal seine Geschichten und das handelnde Personal an sich schon derart interessant und packend sind, dass es keiner solcher Überspitzungen bedarf. Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Franz Werfel und viele weitere von ähnlicher Prominenz - sie alle saßen 1940 auf der Flucht vor den Nazis in Marseille fest - jede ihrer Geschichten wäre ein eigenes Buch wert, findet von Trotha. Wittstock arrangiert sie geschickt zu einem panoramaartigen Mosaik mit zeitloser Bedeutung - zeitlos, so lange irgendwo auf der Welt Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.2024

Vom filmhaften Sog der Schilderungen Uwe Wittstocks lässt sich Rezensent Joseph Hanimann gerne mitreißen: Der Autor nimmt ihn mit in das Marseille der Jahre 1940 und 1941, das von jüdisch-deutschen Emigranten geprägt wird. Vielfältige Einblicke in das Schicksal von Schriftstellern und Philosophen, die vor den Nazis fliehen mussten, wie Hannah Arendt, Walter Benjamin oder Heinrich Mann, bietet Wittstock, so Hanimann. Manchmal sind die Schilderungen für Hanimann fast zu lebendig, er fragt sich, ob diese "subjektiven literarischen Erinnerungen" wirklich so gut tragen. Zudem hat der Kritiker das Gefühl, dass bei all diesen individuellen Schicksalen, der Kontext manchmal ein wenig verloren zu gehen droht. Dennoch ein spannender Einblick, der sich für ihn so atemberaubend liest "wie ein historischer Thriller."
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 15.02.2024

Erstaunlich, so Rezensent Hilmar Klute, dass bisher noch niemand ein Buch geschrieben hatte, das die Schicksale der vor den Nationalsozialisten flüchtenden Künstler und Intellektuellen in einer Gesamtschau betrachtet. Uwe Wittstock, freut er sich, hat dies nun getan, und zwar indem er das Marseille des Jahres 1940 ins Zentrum stellt. Viele Naziverfolgte haben sich, zeichnet Klute mit Wittstock die Historie nach, nach Frankreich geflüchtet, und nun, da auch hier keine Sicherheit mehr gegeben ist, hoffen sie auf Weiterreise. Zum Retter vieler, fährt die Zusammenfassung fort, wird der Amerikaner Varian Fry mit seinem Emergency Rescue Committee, ein Idealist, der nicht Deutschland, aber die deutsche Kultur liebt. Klute skizziert entlang des Buchs einige Schicksale, unter anderem das Lion Feuchtwangers und Hannah Arendts und weist außerdem darauf hin, dass zwar viele, längst aber nicht alle Geschichten, um die es hier geht, gut ausgehen. Auch über Details der französischen Kollaboration mit Nazideutschland lernt man manches von Wittstock, heißt es weiter. Insgesamt ein beeindruckendes, klug montiertes und keineswegs verkitschtes, sondern eng an den Quellen entlang geschriebenes Werk, so das ziemlich enthusiastische Resümee.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.02.2024

Ein enorm wichtiges Buch hat Uwe Wittstock geschrieben, urteilt Rezensent Florian Illies, und zwar weil es uns ermöglicht, die Geschichte des Selbstmords Walter Benjamins auf der Flucht vor den Nationalsozialisten zu ergänzen um die Geschichte vieler Künstler und Intellektuellen, die gerettet werden konnten. Das Buch behandelt, erfahren wir, die Zeit zwischen Mai 1940 und August des Folgejahres, und beschreibt, wie in Marseilles gestrandete Verfolgte des Nazi-Regimes nach Fluchtmöglichkeiten suchten - und sie zu Hunderten fanden, insbesondere dank des Amerikaners Varian Fry und seines Emergency Rescue Committees, seiner amerikanischen und deutschen Mitstreiter und auch französischer Grenzbeamter, die sich den Flüchtenden oftmals nicht in den Weg stellten. Extrem präzise ist Wittstock in seiner Aufarbeitung diverser Erinnerungsberichte, so Illies, einerseits nüchtern in der Darstellung der rechtlichen Zwickmühle, in der sich die Flüchtenden befanden, andererseits anschaulich in erzählerischen Miniaturen zum Beispiel über die Flucht Alma Mahler-Werfels und Heinrich Manns. Ein dringend notwendiges Buch und außerdem brandaktuell, resümiert Illies.